Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wein, aber bit unkomplizier Te t
Pommesbude, Partylocation, Galerie oder Datin – in Düsseldorf erfinden sich Weinbars neu. Sie setzen auf junges Publikum und Spaß am Ge
DDraußen bilden sich Warteschlagen, ein Türsteher regelt den Einlass. Drinnen tönt Musik aus den Boxen, Leute tanzen, an den Wänden flackern Spielfilme, der Stuck an der Decke ist aufgemalt. Dabei halten die Gäste weder Bier noch Cocktail in der Hand, sondern Gläser mit hochwertigen Weinen. Als die „Fett-Weinbar“vor knapp eineinhalb Jahren eröffnete, war sie noch ein Geheimtipp. Heute ist es dort sogar donnerstags so voll, dass man sich aneinander vorbeiquetschen muss. Woher kommt dieser Hype um die Weinbar, die abends zum Club wird?
Betreiber Walid El Sheikh wollte sich mit dieser neuen Form der Weinbar von dem etwas „verstaubten“Image lösen. Gäste, die bei Klaviermusik über das Getränk in ihrem Glas philosophieren, gibt es hier nicht. „In den klassischen Weinbars wird sehr lange über Wein gesprochen und darüber hinaus unterhalten sich viele kaum über andere Dinge“, sagt El Sheikh. Mit der Fett-Weinbar wollte er genau das Gegenteil erreichen: „Die Menschen können natürlich dort durch den Konsum von Wein ins Gespräch kommen. Das soll aber ganz unkompliziert sein. Wein ist dabei nur eines von vielen Themen.“
Entspannt soll es sein. Am frühen Abend sitzen die Gäste noch an den Tischen und unterhalten sich, später wird die Musik lauter, das Licht wird gedimmt, die Tische werden zur Seite geschoben und die Gäste tanzen. Auf der Weinkarte: knapp 180 Positionen, zwischen 30 und 300 Euro. „Mit diesem Konzept wollte ich den Trend neu setzen“, sagt El Sheikh. „Viel mehr auf den ‚Easy Drinking’Aspekt des Weins. Das wird auch gefordert.“
Design und Ambiente der Bar hat der Gastronom wohl durchdacht. An zwei Wänden in der Bar flackern Filme ohne Ton, etwa der Stummfilm „Metropolis“von 1927. „Bewegtbilder gehören gerade bei den jüngeren Menschen einfach dazu. Ich versuche damit, die Aufmerksamkeit mehr in den Raum und weg vom Handy zu bringen.“Dafür wählte der Betreiber, der Schauspiel studiert hat, Filme mit „tollen Farben und Bildern“. Dazu laufen Hits aus den 90ern, Neue Deutsche Welle oder auch mal Karnevals- und Weihnachtslieder. Für diesen unkomplizierten Zugang zu Wein können sich offenbar nicht nur Jüngere begeistern, die Altersspanne reicht auch mal bis 70. Für Konzepte wie diese Weinbar brauche es Mut. „Ich wollte die Kombination von Wein und Konsum komplett neu denken.“
Das tun viele Gastronomen in Düsseldorf. Sie interpretieren Weinbars neu – als Partylocation, Imbiss oder Dating-Event. Wein funktioniert selbst auf dem Wochenmarkt, das zeigt Concept Riesling am Carlsplatz. Bei jedem Wetter sammeln sich dort Hunderte Menschen, um gemeinsam Wein zu trinken. Nur wenige Meter entfernt hat im Juli an der Bilker Straße eine neue Weinbar mit besonderem Programm eröffnet. In „Vino’s Weinbar“wird gedatet, Kunst ausgestellt, Livemusik gespielt und die Gäste entscheiden mit, was auf die Wein-Karte kommt.
Zuvor war dort eine Galerie und die Kunst sollte auch in der Weinbar nicht verschwinden. An den Wänden hängen deshalb ausgewählte Werke von lokalen Künstlern, über einen QR-Code können die Gäste diese direkt kontaktieren. Alle zwei Wochen gibt es zudem Veranstaltungen mit Livemusik im Gewölbekeller. In der unteren Etage sorgen nur Lichterketten für Sicht, die Betreiber sprechen selbst von dem „zauberhaftesten Gewölbekeller in Düsseldorf“. In dieser Atmosphäre wird es auch mal romantisch. Regelmäßig lernen sich zwölf Frauen und zwölf Männer dort beim „Wein-Dating“kennen. Im Zehnminutentakt wird der Tisch gewechselt, nach jedem dritten Wechsel gibt es ein neues Glas. „Wir wollten Dating aus einem sterilen und offiziellen Rahmen raus und in eine entspannte und schöne Atmosphäre bringen“, sagt Lünenstraß. „So ist das erste Thema schon mal einfach: Was trinkst du eigentlich gerade?“Der Wein soll ganz unverbindlich als Gesprächsstart dienen. Dabei soll es aber nicht bleiben: „Auf den Tischen liegen außerdem Conversation-Starter, die Hilfestellung geben, wenn gerade ein Thema fehlt.“
Als die drei Gründer und Freunde mit „ihrem Herzensprojekt“angefangen haben, standen rund 20 Positionen auf der Weinkarte, hauptsächlich aus Deutschland. Diese erste Auswahl wurde mit einem Sommelier
erarbeitet. Mit den Wünschen der Gäste wurde die Karte erweitert. „Im Sommer hat zum Beispiel fast niemand nach Rotwein gefragt, das wurde im Winter mehr. Also haben wir mehr Rotweine aufgenommen.“Die Karte wachse zwar immer weiter, aber der Plan sei nicht, eine möglichst große, sondern eine an die Gäste angepasst Karte zu haben. „Unser Fokus liegt darauf, dass die Gäste einen schönen Abend mit Wein haben.“
Wer eine riesige Auswahl haben will, sollte sich etwas aus der Stadt entfernen und nach Derendorf fahren. Denn das Rocaille an der Ulmenstraße bietet mehr als 2000 Weine aus aller Welt an. „Wir sind mit der Auswahl deutschlandweit führend und wurden schon mehrfach als beste Weinbar ausgezeichnet“, sagt Betreiber Michael Spreckelmeyer. Auf diese Auswahl seien auch schon zahlreiche internationale Gäste aufmerksam geworden, die bei ihren Besuchen in Düsseldorf dann das Rocaille ansteuerten, sie kamen aus Brasilien, New York oder Dublin.
Im Bistro setzt das Rocaille auf hochwertige Einrichtung, an den Wänden hängen Werke aus der Kunstakademie, im Hintergrund läuft ruhige Musik – „weniger Elektro, dafür mehr Gitarre“. Für Weinliebhaber bietet das Rocaille zudem einen Ort, an dem sie ganz in Ruhe und exklusiv die hochwertigen Tropfen testen können. Und zwar in der Wein-Bibliothek, umgeben von etwa 5000 Weinflaschen.
Bei der großen Auswahl können Gäste zwischen verschiedenen Weinkarten wählen: Es gibt 35 bis 40 offene Weine, die glasweise ausgeschenkt werden können, mit der „Sommelier Choice“werden besondere Weine vom Team hervorgehoben, inklusive Beschreibung zu Wein und Geschmack. Die nächste Stufe ist die große Weinkarte, die schon eher wie ein Buch wirkt – sich darin für einen Wein zu entscheiden, scheint unmöglich. „Dafür kennt man sich entweder aus oder lässt sich beraten“.
So, wie sich Weinbars in Düsseldorf entwickelt haben, haben sie das verstaubte Image längst abgelegt, findet Spreckelmeyer. „Es ist das komplette Gegenteil geworden. Wir wollten ein entspanntes Ambiente und eine lässige Atmosphäre schaffen.“Weltweit seien
Weinbars in vielen Städten mittlerweile die „coolsten Plätze“.
Da das Rocaille in Derendorf und nicht in der Innenstadt liegt, steuern viele Gäste das Lokal bewusst an. Die Entscheidung, nach Derendorf zu gehen, hat Spreckelmeyer sehr bewusst getroffen. „Der Stadtteil ist im Wandel, in den vergangenen acht Jahren hat sich schon viel getan.“Das Lokal sei das ganze Jahr über mehrere Abende im Voraus ausgebucht. Besonders voll wird es während der Prowein-Messe, die Mitte März wieder in Düsseldorf stattfindet, dann kämen wieder Wein-Liebhaber aus aller Welt in das Lokal.
Das Kontrastprogramm zu Bistro-Küche und Patisserie gibt es am Graf-Adolf-Platz. Im alten Berliner Imbiss hat dort im vergangenen Jahr mit dem „Pelican Fly“eine Kombi aus Weinbar und Imbiss eröffnet. Sommelier Toni Askitis betriebt das Pelican Fly gemeinsam mit Fabian Veldmann, ihnen war wichtig, einen Raum für Wein ohne Eintrittsbarriere zu schaffen. Und das ist den beiden gelungen. In dem Imbiss an der Kreuzung Friedrichstraße und Graf-Adolf-Platz stehen Pommes und Wein im Fokus – „und Hip-Hop-Beats, welche Kombi könnte besser sein?“, fragt Toni Asikits, ohne eine Antwort zu erwarten.
Aber wie gut passen Pommes und Wein zusammen? „Sowohl Wein als auch Pommes passen zu allem“, sagt der Sommelier. Die Weine seien so ausgewählt, dass sie mit den Gerichten harmonieren, die meisten seien fruchtig und süß. Dazu gibt es Pommes, Currywurst, Ölsardinen und Sandwiches. Neben der umfangreichen Weinauswahl können auch Bier und Softgetränke bestellt werden – wie im Imbiss halt. „Diejenigen, die die Kombination eher skurril finden, können das einfach mal ausprobieren.“
Tagsüber kommen die Gäste eher für Pommes in der Mittagspause, abends steht der Wein im Mittelpunkt. „Wir füllen den Imbiss mit Leben, abends ist viel los.“Auf
den Fensterbänken stehen unzählige mit Lichterketten dekorierte Weinflaschen, die bunt leuchten. Hinter der Theke hängt eine Tafel, auf der die Auswahl an offenen Weinen zu sehen ist. Meistens sind das zehn bis 15. Über den QR-Code auf der Karte kann aber aus rund 500 Weinen gewählt werden.
Damit das die Gäste nicht überfordert, beraten die Sommeliers. „Die Leute sollen hier eine gute Zeit haben, deshalb wollen wir das alles so ungezwungen wie möglich gestalten“, sagt Askitis. Er hole so vor allem Jüngere ab, die gerade den Zugang zu dem Getränk finden. Auch wer gar keine Ahnung von Wein hat, müsse das nicht verheimlichen. „Das Thema sollte unkompliziert sein“, sagt Askitis. „Ich möchte das kleine Einmaleins des Weins für alle verständlich erklären.“Dafür betreibt der Sommelier auch den Kanal „#asktoni“in den sozialen Medien und beantwortet dort alle Fragen rund um Wein – ganz egal wie banal.
Im Pelican Fly lernt er selbst immer wieder neue Tropfen kennen. Montags können Gäste ihre eigenen Flaschen mitbringen, „das kostet zehn Euro Korkengeld – und ein Schlückchen für den Sommelier“. Viele Menschen haben besondere Weine im Regal stehen, Askitis wollte ihnen einen Raum dafür schaffen, diese auch zu trinken. Hinzu kommen neue Events: An Valentinstag wird abends in der Weinbar gefeiert. Und auch Winzer kommen in den Imbiss, um Weinproben zu veranstalten.
Neben diesen Neuerfindungen zieht „die erste klassische Weinbar der Stadt“, wie die Betreiber sie nennen, auch neun Jahre nach ihrer Eröffnung noch ein bunt gemischtes Publikum an. Die Bar „Eiskeller“am Rande der Altstadt trägt ihren Namen, weil sich dort früher der Keller befand, der den Düsseldorfer Fürstenhof mit Eis versorgte. Nun ist es eine Vinothek. „Wir wollten damals einen Ort schaffen, an dem auch einfach ein Glas Wein getrunken werden kann“, sagt Inhaberin Dorina Sill. Denn davor habe es in Düsseldorf nur die Kombination von Restaurant und Weinbar gegeben, Dorina Sill und Klaus Wählen wollten dem entgegensteuern. „Wir hatten Glück, dass genau in dieser Zeit Wein
immer populärer wurde.“
In den vergangenen neun Jahren hat sich kaum etwas an dem Konzept geändert. In den Eiskeller kommen Gäste nicht zum Feiern, sondern um gemütlich ein Glas Wein zu trinken. In dem alten Backsteingewölbe sorgen frühere Fabriklampen für schummriges Licht, die Tische sind aus den Holzplanken alter Güterwagen gefertigt, die Stühle mit gebrauchtem Leder bezogen. Es läuft französische Musik, „nie zu laut oder wie bei einer Party“, sagt Dorina Sill. Es ist ein Umfeld, das ganz unterschiedliche Zielgruppen anspricht. „Im Sommer sitzen viele junge Frauen in Gruppen auf der Terrasse. Aber auch viele Besucherinnen der Oper oder Tonhalle kommen mal im Abendkleid vorbei.“Auch feste Stammtische kommen regelmäßig in den Eiskeller.
Auf ihrer Weinkarte finden die Gäste eine Auswahl aus 400 Positionen, 60 Prozent davon sind Bio- oder Naturweine. Sill und Wählen wollen ihren Gästen in der Eiskellerbar aber auch andere und seltenere Tropfen näherbringen. Zum Beispiel: „Orange Wein“, ein Weißwein, der wie ein Rotwein hergestellt wird. Die Hemmschwelle sei anfangs groß gewesen, doch mit den Jahren immer kleiner geworden. „Bei uns kann man jeden Wein auch erst mal probieren, bevor man ihn bestellt“, sagt Sill. „Wir raten den Gästen, den ‚Orange Wein‘ einfach mal zu kosten und sich ein eigenes Bild zu machen.“So komme es immer häufiger vor, dass sich Gäste mit dem Getränk beschäftigen und offener dafür sind, etwas Neues zu probieren.
Dass sich andere Gastronomen austoben und neue Konzepte schaffen, sieht man selbst in der traditionellen Eiskellerbar gerne. Das sei keine Konkurrenz, sagt Sill, ganz im Gegenteil. „Je mehr Weinbars es gibt, umso mehr Menschen werden dadurch erreicht. Dadurch verliert man keine Gäste, sondern gewinnt eher welche dazu.“So ist jede Bar, egal ob klassisch oder kreativ, egal ob ruhig oder ausgelassen, egal ob für Anfänger oder Experten, ein Gewinn für die Weinwelt. Beim Blick auf die Vielfalt der Lokale in Düsseldorf wird klar: Die Weinbars haben sich längst von ihrem „verstaubten“Image gelöst.