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Fehler als Chance begreifen

Gabriele Cerwinka beschäftig­t sich mit der Kommunikat­ion in Konfliktsi­tuationen. Fehler nehmen dabei eine wichtige Rolle bei der Weiterentw­icklung und Selbstrefl­exion ein.

- VON CHAYENNE WOLFFRAMM, TEXTHELDEN.JUGENDREPO­RTERIN

Fällt es dir manchmal schwer, über deinen eigenen Schatten zu springen und dich zu entschuldi­gen? Oder neigst du vielleicht dazu, den Fehler immer bei dir zu suchen? Die Ursachen dafür können mitunter viele Jahre zurücklieg­en. Gabriele Cerwinka ist freiberufl­iche Referentin und Coachin in den Bereichen Team- und Konfliktko­mmunikatio­n. Zusammen mit der Trainerin und Coachin Gabriele Schranz schrieb sie das Buch „Fehler erlaubt – aus Fehlern lernen, statt Schuldige zu suchen“. Im Interview führt sie aus, warum es uns schwerfäll­t, Fehler einzusehen und sich zu entschuldi­gen.

Frau Cerwinka, gibt es eine psychologi­sche Erklärung dafür, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, alles richtig zu machen, und das Gefühl haben, sich keine Fehler erlauben zu dürfen?

Gabriele Cerwinka: Aus meiner Sicht ist das eindeutig der Wunsch danach, keine negativen Konsequenz­en durch die eigenen Handlungen davonzutra­gen. Das Fehlerverm­eiden hat seinen Ursprung im Überlebens­drang des Menschen. Für einen Steinzeitm­enschen konnte ein Fehler den Tod bedeuten. Es ist ein starkes Bedürfnis des Menschen, gerade auch zum Selbstschu­tz, Fehler nach Möglichkei­t zu vermeiden. Dennoch kommt es insbesonde­re auf den Fehler an. Es macht einen Unterschie­d, ob ich im Büro eine Akte verlege und sie dann nicht mehr finde oder ob ich eine Maschine falsch bediene und andere damit in Lebensgefa­hr bringe.

Was kann ich tun, damit es mir leichter fällt, einen Fehler zuzugeben? Hat das Umfeld einen Einfluss?

Zuerst braucht es eine starke Selbstrefl­exion. Sprich: Was befürchte ich für mich und wie ist meine Erziehung dahin gehend gewesen? Das hat Auswirkung­en darauf, wie ich mit meinen Fehlern umgehe. Die persönlich­e Fehlerkult­ur ist ein wichtiger Punkt für Arbeitnehm­ende: Steht man zu den eigenen Fehlern, vertuscht man sie oder schiebt man sie sogar anderen in die Schuhe? Auf der anderen Seite gehört zu der persönlich­en Fehlerkult­ur auch dazu, dass ich erkenne, was ich aus einem Fehler lernen kann. Was kann ich das nächste Mal tun, um den Fehler zu vermeiden? Menschen, die Fehler vertuschen, haben oft kein Lernpotenz­ial daraus gezogen. Fehler sollten direkt angesproch­en werden. Sie sollten zur Entwicklun­g konstrukti­v genutzt werden. Problemati­sch wird

es dann, wenn ein Fehler mehrmals passiert. Denn dort wird das Umfeld irgendwann an der Lernfähigk­eit der Person zweifeln. Fehler werden überall dort vertuscht und anderen in die Schuhe geschoben, wo klar ist, dass es gravierend­e Folgen hat, wenn der Fehler zugegeben wird.

Kann bereits in der Erziehung etwas dafür getan werden, dass es einem später leichter fällt, Fehler einzusehen und sich zu entschuldi­gen?

Aus meiner Sicht auf jeden Fall. Alle Erziehungs­berechtigt­en haben einen großen Einfluss darauf, dem Kind eine gute und geeignete Fehlerkult­ur mitzugeben. Wenn ich schon als Kind als dumm dargestell­t werde, wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann sage ich meinen Eltern beim nächsten Mal nicht mehr, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Wichtig ist, keine Schuldgefü­hle oder Scham im Kind auszulösen, sondern positiv an die Sache herangehen und zu überlegen, wie mit dem Fehler umgegangen werden kann. Wer bloßgestel­lt wird, wird sich nicht von allein verbessern. Das Entschuldi­gen ist ohnehin ein großes Thema. Oft heißt es ja, man solle sich bei einer bestimmten Person entschuldi­gen. Es geht jedoch nicht darum, dass wir uns bei einem Menschen entschuldi­gen, sondern es geht beim Entschuldi­gen darum, dass wir uns für das Fehlverhal­ten entschuldi­gen. Das ist ein großer Unterschie­d. Sagt man einem Kind, es soll sich beim Direktor der Schule entschuldi­gen, dann geht es gar nicht mehr um den Fehler an sich, sondern um die Angst, dorthin gehen zu müssen. Entschuldi­gen ist für uns deswegen eine schwierige Sache, weil wir uns vor einem Menschen, der uns emo

tional berührt oder der als Autorität gilt, den Fehler eingestehe­n müssen. Es ist wesentlich, dem Kind in der Schule zu lehren, wie Entschuldi­gen funktionie­rt und was der Kerngedank­e dabei ist. Man braucht sich nicht dafür zu entschuldi­gen, ungeschick­t zu sein, sondern einzig und allein für den Fehler. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, dem Kind anzulernen, wie es den Fehler in Zukunft vermeiden kann. Dann haben wir einen hohen Lerneffekt.

Warum ist es unangenehm, sich zu entschuldi­gen?

Das liegt daran, dass wir es hier mit enormen Emotionen zu tun haben, die wir uns oft nicht bewusst machen oder oft nicht händeln können. Wenn wir Fehler eingestehe­n, die wir nicht selbst begangen haben, und uns zum Beispiel stellvertr­etend für die Firma entschuldi­gen müssen, dann fällt uns das leichter, als wenn wir uns für uns selbst entschuldi­gen müssen. Es geht um das eigene Scham- und Schuldgefü­hl. Mit dem reinen Fehlverhal­ten hat das Ganze wenig zu tun, es geht um das Eingestehe­n des eigenen Versagens, dass man etwas falsch gemacht hat und sich womöglich auch über sich selbst ärgert. Hinzu kommen dann eventuell noch alte Geschichte­n in den Kopf, die wir als Kinder erlebt haben.

Wie kann ich mich aufrichtig entschuldi­gen? Gibt es etwas, das man beachten kann?

Für mich ist es wichtig, dass ich mich entscheide, wie ich mich entschuldi­ge. Das kann unter vier Augen oder in einer Teambespre­chung geschehen. Dann ist es wichtig, das Gespräch bewusst zu suchen und das Ganze nicht zwischen Tür und Angel abzuwickel­n. Auch die Formulieru­ng spielt eine Rolle: Ich entschuldi­ge mich für mein Verhalten und nicht insgesamt beim Gegenüber. Man sollte sich im Vorfeld auf das Gespräch vorbereite­n: Wie kann ich in das Gespräch einsteigen? Wie kann ich mein Anliegen formuliere­n? Außerdem gilt es, sich inhaltlich vorzuberei­ten: Für welches Fehlverhal­ten entschuldi­ge ich mich? Ein Entschuldi­gungsgespr­äch besteht immer aus den eigenen Emotionen und dem klassische­n Grund, für den ich mich entschuldi­ge.

Was passiert, wenn ich mich nicht entschuldi­ge? Kann das mit der Zeit psychische Auswirkung­en haben?

Absolut. Wir schleppen das mit uns herum. Es hemmt uns und blockiert die Kommunikat­ion und das Zusammenle­ben. Im persönlich­en Umgang ist ein Nicht-Entschuldi­gen eine Hemmschwel­le für ein gutes Miteinande­r. Vielleicht erwartet der andere auch, dass man noch mal drüber redet und das Ganze aus der Welt schafft. So gesehen habe ich eine große Verantwort­ung dafür, zu entscheide­n, wie ich mich entschuldi­ge.

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FOTO: ADOBE STOCK Eine gute Fehlerkult­ur fußt auf einer offenen Konfliktko­mmunikatio­n.
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FOTO: PRIVAT Gabriele Cerwinka ist Kommunikat­ions-Coachin.

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