Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Sing mit, Düsseldorf!
Die Karnevalsmusik aus der Landeshauptstadt st oft im Schatten der Kölner Nachbarn. Aber mit te politischen Texten und Partystimmung machen die Bands aus Düsseldorf von sich reden. Wie du jecke Musik eine Gemeinschaft entsteht.
WWährend der Regen Jacken durchweicht und graue Wolken den Himmel bedecken, kann Janette Barkow nicht anders als zu tanzen. Gemeinsam mit ihren Freundinnen wippt sie im Takt. „Es ist egal, wo du herkommst, egal, was du machst, es ist ganz egal, was du bist oder hast“, tönt es aus den Lautsprechern. Die Worte bewegen an diesem Tag Hunderte Menschen vor dem Düsseldorfer Rathaus. Dort tanzen Gruppen mit aufwendig geschminkten Gesichtern, Paare singen laut mit. „Ich liebe die Swinging Funfares“, sagt Barkow. Die Band steht an diesem Altweiber-Donnerstag auf der Bühne im Stadtkern. Es ist der Karneval, der die Menschen hierhergeführt hat. Verbunden sind sie nun durch die Musik.
Nur wenige Tage zuvor ist im Radschlägersaal der Rheinterrasse eine ähnliche Nähe zu spüren. Düsseldorfer stehen vor langen Tafeln, die Tischdecken sind mit Konfetti und Luftschlangen bedruckt. Arm in Arm schaukelt die Menge von links nach rechts. Auf der Bühne formt Björn Beeren, Frontmann der Band Alt Schuss, seine Finger zu einem Herz. In dem von Deckenstrahlern in buntes Licht getauchten Saal wird das zu einem politischen Symbol. Beeren singt: „Form’ ein Herz gegen Hass, für das Leben und den Spaß.“Zuvor hat er an die Demo gegen Rechtsextremismus mit rund 100.000 Teilnehmern auf den Rheinwiesen erinnert. Der Musiker spricht von „braunem Mist“im Internet. „Schickt uns gerne ein Selfie mit dem Hashtag ,Herz gegen Hass’“, sagt er zu seinem Publikum.
Früher schien es manchmal so, als fehle es der Düsseldorfer Karnevalsmusik an Identität. Die großen Nachbarn aus Köln feierten da schon mit Songs wie „Viva Colonia“(2003) ihre Stadt und sich selbst. Obwohl bekanntlich ja gerade im Karneval die Rivalität zwischen den Städten gepflegt wird, dominierte mancherorts auch in Düsseldorf die Kölner Musik. Doch längst setzen auch immer mehr Bands aus der Landeshauptstadt auf eigene Lieder mit einer Botschaft und bringen Partystimmung auf Sitzungen sowie auf die Straße.
Zwar sei Musik zum Klatschen, Schunkeln oder im Polka-Rhythmus noch immer typisch Karneval. Das sei aber nicht mehr alles, sagt Stefan Kleinehr. So sind beispielsweise bei den Jecken auch rockige Töne eingezogen. Kleinehr ist Vizepräsident des Comitee Düsseldorfer Carneval (CC), er empfängt an diesem Tag in seinem Büro in Niederkassel. Gegenüber dem Eingang vermittelt ein rechteckiges Leinwandbild mit einer Skizze des Rheinturms Heimatverbundenheit. „Wenn man einfach irgendetwas singt, wird das kein Hit“, sagt Kleinehr. „Wir müssen die Leute dort erreichen, wo sie sind, sie müssen sich in den Songs wiederfinden.“
Obwohl der Ex-Prinz oft auf Bühnen steht, bis in dieser Session moderierte er etwa die TV-Sitzung der Düsseldorfer Karnevalisten, ist er auch ein Mann im Hintergrund. Als Eventagentur-Geschäftsführer managt er viele Düsseldorfer Bands im Karneval, außerdem die bekannte kölsche Gruppe Brings. Weil er Mitglied im CC-Vorstand ist, beeinflusst er zusätzlich die Musik der jeweiligen Düsseldorfer Session. Denn in jedem Jahr beauftragt das CC eine Gruppe mit einem Mottolied. Seit dem Start der Session 2023/2024 heißt dieses „Wat et nit all jöwt“von Hermes und Band.
Der Sänger des Vierer-Ensembles, Michael Hermes, steht an einem Montag im Februar in der Brauerei Füchschen an der Ratinger Straße. Um ihn herum befindet sich eine Menschentraube. Es ist so voll, dass sich selbst die Köbes nur langsam durch die Menge bewegen können, die Tabletts mit einer Hand über dem Kopf balancierend. Die Stimmung ist schon vor dem Auftritt der Band ausgelassen. Hermes singt als erstes „Wat et nit all jöwt in Düsseldorf, wat et
nit all jöwt.“Clowns, eine Gruppe im Leopardenkostüm und Matrosen klatschen im Rhythmus, winken mit den Armen. Wenig später stimmt der 57-Jährige den Karnevalshit „Ann-Kathrin“an. Währenddessen läuft er durch den Raum, wird Teil der schunkelnden Menge. „Ann-Kathrin, vor Glück bin ich besoffen“, singt er. „Ann-Kathrin, du hast mein Herz getroffen“, antwortet der Saal.
Michael Hermes war lange als Solokünstler unterwegs. „Ich wollte aber schon immer mit einer Band spielen“, sagt er. Nach der Corona-Pandemie gründete er 2022 Hermes und Band. „Die Leute als Alleinunterhalter zu animieren, ist im Karneval mittlerweile schwierig geworden“, sagt auch Goran Kostic. Der traditionelle „Mann met de Quetsch“sei ein eher auslaufendes Modell. Kostic arbeitet hauptberuflich als Musiklehrer, ist Sänger und Bassist bei Hermes und Band. Zu der Gruppe gehören mit Boris Marinkovic (Gitarre) und Schlagzeuger Darko Markovic außerdem zwei Endzwanziger.
Obwohl Songs wie „Ann-Kathrin“oder „Wat et nit al jöwt“aktuell auf den Sitzungen der Düsseldorfer Jecken hoch- und runtergespielt werden, sind es doch die Kölner Lieder, die Hitlisten anführen. Beim WDR4-Jeckduell liegen in diesem Jahr die Räuber mit „Oben unten“vorne. Online stimmten Hörer so ab, dass nun die ersten 15 Plätze mit Bands aus der Domstadt belegt sind. Darunter finden sich bekannte Namen wie die Höhner, Bläck Fööss, Cat Ballou und Brings. Auf Rang 16 stehen dann die Düsseldorfer Swinging Funfares mit ihrem Song „Jetzt erst recht!“und direkt dahinter die Rhythmussportgruppe mit „Rheinfeiern“.
Was die Bands aus den benachbarten Städten unterscheidet? Im Vergleich fehle es den Düsseldorfern zeitweise an Präsenz und Lobby, sagt Goran Kostic. Das mache sich beispielsweise bei der Suche nach Sponsoren bemerkbar. „Die Kölner Musik hat die größere Verbreitung“, sagt auch CCVizepräsident Stefan Kleinehr, der selbst bei den Swinging Funfares Trompete spielt. Die Bigband hat mehr als 200 Auftritte pro Jahr. „Davon sind rund 40 Prozent in Düsseldorf, 60 Prozent in Köln, Bonn, Aachen oder anderen Städten“, sagt Kleinehr. Er wünsche sich manchmal von Düsseldorfer DJs „mehr Mut“, auch Songs aus der Landeshauptstadt zu spielen.
Die Kölner und Düsseldorfer Karnevalsmusik als Wettbewerb zu betrachten, findet Uwe Willer nicht fair. „In Köln gibt es unglaublich viele Bands, die von ihrer Musik leben“, sagt der Düsseldorfer Karnevalsprinz der Session 2023/2024. Die Voraussetzungen seien beispielsweise allein durch die Größe der Stadt ganz andere. Grundsätzlich halte er es ähnlich wie der berühmte Kabarettist Loriot: „Karneval ohne Musik ist möglich, aber sinnlos.“Erst kürzlich habe ihn ein musikalisches Erlebnis sehr gerührt. So führten Jungen und Mädchen der Paul-Klee-Schule an der Gerresheimer Straße für ihn und Venetia Melanie einen Tanz auf. Zwischendurch zitierten die Grundschüler Passagen aus dem Lied „Düsseldorfer Nächte“. „In dem Song steckt unglaublich viel drin“, sagt Willer. Mit dem Lied wollen die Swinging Funfares unter anderem ein Zeichen
gegen Ausgrenzung und für ein gemeinsames Miteinander setzen. Die Vorführung der Grundschüler sei „unglaublich schön und integrativ“gewesen, sagt Willer.
Die Generationen verbinden an einem Sonntagabend in der Rheinterrasse auch die Musiker von Alt Schuss. Der neun Jahre alte Jonas steht in seinem Harry-Potter-Kostüm auf der Bühne, eine Brille ins Gesicht geschminkt. Der Zauberumhang weht ein wenig hinter ihm her, als er zu Sänger Björn Beeren läuft. Der Band-Frontmann beugt sich zu ihm und singt: „Mer donn jähn fiere, schunkle, lache, so wie du ons halt kenns! So semmer all, m’r Düsseldorfer Pänz“. Im Publikum tanzt Jonas‘ Mutter Liane Eichhorn. „Gänsehaut“, ruft Beeren ins Mikrofon, als alle Karnevalisten im Saal in den Refrain einstimmen. Regelmäßig bittet die Band zu „Düsseldorfer Pänz“Kinder auf die Bühne.
Neben den Swinging Funfares gehört Alt Schuss zu den am längsten bestehenden Düsseldorfer Karnevalsbands. Ihren Debütauftritt hatten die Musiker 2003. Von den Gründern ist allerdings nur noch Bassist Nadko Dimitrov dabei. Mit Peter Hey verlässt bald der aktuelle Schlagzeuger die Gruppe. Nachwuchssorgen muss sich die Band aber nicht machen: „Bei einem Casting für Piddis Nachfolge hatten wir um die 30 Bewerber“, sagt Keyboarder Rolf Königs. So wird demnächst Gunnar Gries für Alt Schuss trommeln. Der Musiker gehörte auch schon zur Band Kokolores.
An diesem Abend feiern die Musiker von Alt Schuss auch nach dem Gig noch mit dem Publikum, schreiben ein Autogramm für Jonas. So viel Zeit bleibt nicht immer, manchmal fahren die Bands im Stundentakt zu Auftritten. Ein Nervenkitzel ist das nicht nur für die Künstler selbst, sondern auch für die Crews im Hintergrund. Seit fünf Jahren gehört Marcel Rinka zum Team, das vor Ort die Auftritte von Alt Schuss organisiert. Weil beim Sitzungskarneval das Bühnenprogramm streng getaktet ist, bleiben durchschnittlich nur etwa zwei Minuten für den Aufbau. Dann müssen Verstärker
und Instrumente, zum Beispiel das Keyboard, aufgebaut werden. Meistens gehe dabei alles gut, sagt Rinka. Es sei aber auch schon mal ein Instrument von der Bühne gerollt. Was ihm an seinem Job gefällt: „Wir bekommen noch einmal einen ganz anderen Eindruck von der Band und wir erleben Karneval Backstage.“
An einem Freitagabend schiebt die Crew der Rhythmussportgruppe eilig ein Schlagzeug auf die Bühne. Direkt dahinter folgen die Musiker in schwarz-hellblauen Trikots, die ihr Markenzeichen sind. Die Band ist von einem Auftritt aus Niederkassel in die Stadtmitte gefahren und hat unterwegs im Stau gestanden. Gerade noch rechtzeitig steht sie nun auf der Bühne. „Hey, ich will mit dir rheinfeiern, alle flussauf und flussab nur am Rhein feiern“, stimmt Sänger Jeffrey Amankwa an. Schon nach wenigen Zeilen springen die Besucher im Saal, die Arme bewegen sich im Takt. Wenn die Rhythmussportgruppe auftritt, dann wird gefeiert.
Die neun Männer gehören zu den Senkrechtstartern im Düsseldorfer Karneval. Als „sehr generationenkompatibel“beschreibt etwa Prinz Uwe I. die Musiker. Die Anfangbis Mitte-Dreißiger haben sich während des Studiums an der Robert-Schumann-Musikhochschule kennengelernt, gründeten die Band 2015. Mit Karneval hatten sie zunächst nicht viel am Hut, bis Lothar Hörning, Präsident der Prinzengarde Blau-Weiss, und Stefan Kleinehr auf sie aufmerksam wurden. Seitdem spielen sie auch auf den Sitzungen der Narren. Zuletzt traten sie unter anderem in der Kölner Lanxess-Arena auf.
„Lokalpatriotismus für eine Stadt ist nicht unser Thema“, sagt Gitarrist Niklas Dahlheimer. Die Musik sei offen für alle, bekräftigt Lukas Lohner (Keyboards). Und so ist den Bandmitgliedern, die unter anderem aus Westfalen und Baden-Württemberg ins Rheinland gezogen sind, die Köln-Düsseldorf-Rivalität längst nicht mehr wichtig. Die Botschaft ihrer Lieder ist klar: Es ist egal, woher das Publikum kommt. Hauptsache, es fühlen sich alle verbunden durch die Musik.