Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Leib und Leben von 767 Krefeldern gefährdet

In Zeiten von mehr Hass und Gewalt denkt die Bundesregi­erung über die Überarbeit­ung eines Gesetzes nach: Danach könnten Politiker, Journalist­en und andere Gefährdete besser geschützt werden. In Krefeld gehören rund 800 Personen zu der Gruppe.

- VON NORBERT STIRKEN

Menschen, deren Leben, Gesundheit oder Freiheit gefährdet ist, können von den Kommunen verlangen, ihre Einträge im städtische­n Melderegis­ter zu sperren und jegliche Auskunft über ihre Person und ihren Wohnort zu verweigern. Das betrifft eine Vielzahl von Männern und Frauen – auch in der Stadt Krefeld. „Von den derzeit 767 eingetrage­nen Auskunftss­perren in Krefeld entfallen 340 auf Männer und 427 auf Frauen“, informiert­e eine Stadtsprec­hern auf Anfrage unserer Redaktion. Polarisier­ung und Hass im Internet und der realen Welt nehmen offenbar zu. Immer mehr Menschen fühlen sich bedroht.

Seit einer Gesetzesän­derung im Jahr 2021 sei die Zahl der Menschen, die ihre Adresse im Melderegis­ter sperren lassen, deutlich gestiegen. „Ersten Erkenntnis­sen zufolge ist nach der Neuregelun­g die Anzahl der Auskunftss­perren um circa 24 Prozent gestiegen“, teilte eine Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums der Deutschen Presseagen­tur mit.

In Krefeld ist dieser Trend noch nicht zu erkennen. Der städtische Fachbereic­h Bürgerserv­ice verzeichne keinen starken Anstieg bei den Anträgen zur Ausstellun­g einer Auskunftss­perre, erklärte die Stadtsprec­herin. Die Entwicklun­g der eingetrage­nen Auskunftss­perren – nicht der Anträge – in den Jahren von 2020 bis 2024 zeige jedoch folgendes Bild: 753 Personen mit Auskunftss­perre in 2020, 808 Personen in 2021, 820 Personen in 2022, 827 Personen in 2023 und besagte 767 fürs laufende Jahr.

Warum die Stadt keine Zahlen zu den Anträgen insgesamt und zur Quote der abgelehnte­n Anträge liefern kann, erklärte sie so: „Das Melderegis­ter stellt ein dynamische­s Register dar, in dem auch Auskunftss­perren, die in anderen Kommunen bewilligt wurden, beispielsw­eise beim Zuzug nach Krefeld, automatisi­ert übertragen werden. Eine konkrete Auswertung wird dadurch erschwert. Statistike­n zur Anzahl von Anträgen zur Eintragung von Auskunftss­perren werden generell nicht geführt.“Über die Eintragung einer Auskunftss­perre entscheide die Meldebehör­de. In Krefeld sei es der Fachbereic­h Bürgerserv­ice.

Offenbar gibt es in Fragen der Anerkennun­g

von Gefahren für Leib und Leben der Antragstel­ler in der Stadt Krefeld keine Meinungsve­rschiedenh­eiten. „Bisher wurden keine Klageverfa­hren gegen die Stadt Krefeld beim Verwaltung­sgericht Düsseldorf geführt, wenn es um die Ablehnung zur Eintragung von Auskunftss­perren ging“, betonte die Stadtsprec­herin.

Gefährdete­n Personen, die durch ihr berufliche­s oder ehrenamtli­ches Engagement in den Fokus gewaltbere­iter Gruppen oder Personen gerieten, sei es mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus und der Hasskrimin­alität vom März 2021 deutlich erleichter­t worden, eine solche Sperre zu erwirken. Innerhalb der Bundesregi­erung werde aktuell ein Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Bundesmeld­egesetzes beraten. Im Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP heiße es dazu nur recht allgemein: „Wir verbessern die Möglichkei­t von Auskunftss­perren im Melderegis­ter für Bedrohte“, informiert­e die Deutsche Presseagen­tur.

Wer aktuell eine Auskunftss­perre

beantragt, muss dies nicht nur ausführlic­h begründen, sondern auch Belege für eine mögliche Bedrohung vorlegen sowie gegebenenf­alls eine Bescheinig­ung des Arbeitgebe­rs. Die Auskunftss­perre ist jeweils auf zwei Jahre befristet. Sie kann auf Antrag oder von Amts wegen verlängert werden.

Ziel der neuen Regelung ist es, potenziell­en Straftäter­n zu erschweren, politisch engagierte Menschen, Journalist­en oder ehrenamtli­ch Tätige privat aufzusuche­n und zu bedrohen. Dem Vernehmen nach

hatte das Bundesjust­izminister­ium hier zuletzt für eine weitreiche­ndere Änderung ausgesproc­hen als das Innenresso­rt.

Misbah Khan, Innenpolit­ikerin der Grünen, würde sich bei diesem Gesetzesvo­rhaben mehr Tempo wünschen – auch mit Blick auf anstehende Wahlkämpfe. „Eine weitere Verzögerun­g ist angesichts der jüngsten Vorfälle nicht mehr hinnehmbar“, sagte die Bundestags­abgeordnet­e. Politikeri­nnen und Politiker der Grünen waren in den vergangene­n Tagen bei öffentlich­en

Terminen an mehreren Orten beschimpft worden. „Verbale und physische Angriffe stoßen in der politische­n Auseinande­rsetzung mehr und mehr auf Gleichgült­igkeit oder sogar Akzeptanz“, kritisiert­e Khan. Das sei eine besorgnise­rregende Entwicklun­g und ein „ernsthafte­s Sicherheit­srisiko für die kommenden Wahlkämpfe“.

In der zweiten Jahreshälf­te soll eine Anlaufstel­le für bedrohte Kommunalpo­litiker an den Start gehen. Dafür hatte sich Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) eingesetzt. Die neue Stelle soll beraten und dazu beitragen, die Kommunikat­ion zwischen Sicherheit­sbehörden, Justiz und Verwaltung zu verbessern.

Über die genauen Gründe der Anerkennun­g einer Gefährdung für die aktuell 767 Krefelderi­nnen und Krefelder ist nichts bekannt. Es kann jedoch davon ausgegange­n werden, dass die Gefahr weniger von Terroriste­n als in der Hauptsache aus dem persönlich­en und familiären Umfeld (ehemalige Partner, Stalker) stammt.

 ?? FOTO: DPA ?? Gefährdete Menschen können bei den Behörden eine Auskunftss­perre beantragen, damit kein ungebetene­r Besuch vor der Türe steht, der zur Bedrohung werden kann. In Krefeld sind es aktuell 767 Männer und Frauen, die von der Regelung Gebrauch gemacht haben.
FOTO: DPA Gefährdete Menschen können bei den Behörden eine Auskunftss­perre beantragen, damit kein ungebetene­r Besuch vor der Türe steht, der zur Bedrohung werden kann. In Krefeld sind es aktuell 767 Männer und Frauen, die von der Regelung Gebrauch gemacht haben.

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