Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Sound der Demokratie­verächter“

Thüringens Verfassung­sschutzche­f über den rechtsextr­emen AfD-Landesverb­and

- JANA WOLF FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Sie stufen die Thüringer AfD als erwiesen rechtsextr­em ein. Dennoch steht sie stabil auf Platz eins. Dringen Ihre Erkenntnis­se nicht durch?

Es ist nicht mein Eindruck, dass die Erkenntnis­se nicht durchdring­en. Die Einstufung durch das Amt für Verfassung­sschutz in Thüringen, aber auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt, ebenso wie die ersten Urteile in den Klageverfa­hren der AfD gegen diese Einstufung­en sind in den Medien, der Politik und der Mehrheitsg­esellschaf­t als das aufgenomme­n worden, was sie sind: Weckrufe an eine oft schweigend­e Mehrheit, mit dieser verfassung­sfeindlich­en Bestrebung in die Auseinande­rsetzung zu gehen. Zugleich beweist sich hier unser Rechtsstaa­t: Die behördlich­en Einstufung­en unterliege­n vollumfäng­lich einer gerichtlic­hen Überprüfun­g. Und der Thüringer Landesverb­and der AfD hat bis heute nicht gegen die Einstufung geklagt.

Wie hat sich die AfD seitdem weiterentw­ickelt?

KRAMER Seit unserer Einstufung im März 2021 hat es keine politische Mäßigung der Vertreter der Partei in Thüringen gegeben. Im Gegenteil tritt Herr Höcke – wie seit Jahren – mit dem Gestus eines Mannes im Widerstand gegen das auf, was die AfD offen beispielsw­eise als „Altparteie­nkartell“und „Systempres­se“abqualifiz­iert. Das ist der Sound der Demokratie­verächter der Weimarer Republik, die er sich zum Vorbild zu nehmen scheint. Es ist bei Würdigung aller Anhaltspun­kte zum Landesverb­and absurd, wenn man glaubt, Höcke fordere sein Publikum auf „Alles für Deutschlan­d“zu sagen und wisse als Geschichts­lehrer nicht, welche Parole er da verwendet.

Wie erklären Sie sich dann den gewachsene­n Zuspruch zur AfD?

KRAMER Ich bin kein Politikwis­senschaftl­er und auch kein Demoskop, sodass ich diese Frage lediglich mit Blick auf die Zuständigk­eit meiner Behörde beantworte­n kann. Man kann beobachten, dass es zunehmend soziale Räume gibt, in denen verfassung­sfeindlich­e Positionen – und seien sie nur aus Ignoranz geäußert – unwiderspr­ochen bleiben. Dadurch finden sie Verbreitun­g.

Wie blicken Sie auf die bevorstehe­nden Landtagswa­hlen?

KRAMER Hier muss ich als Bürger und Demokrat antworten: Die bevorstehe­nden Landtagswa­hlen – ebenso wie jede freie Wahl – sind etwas, das Demokraten feiern sollten. Auch und gerade angesichts der Bedrohung der Grundordnu­ng durch mögliche Wahlerfolg­e von Rechtsextr­emisten. Bis zum Wahltag ist eine Zeit der Bilanz, der Fehlerlese, der Selbstkrit­ik, aber auch der mutigen, täglichen Auseinande­rsetzung über und das Werben für politische Inhalte. Wählerinne­n und Wähler wollen überzeugt und nicht bevormunde­t werden.

Wo halten Sie Fehlerlese und Selbstkrit­ik für angebracht?

KRAMER Sie brauchen sich doch nur die aktuellen und zurücklieg­enden Proteste und Sorgen der letzten Jahre in der Bevölkerun­g anzuschaue­n. Die Themen Klima, Zuwanderun­g, Bildung, Gesundheit und Sicherheit sorgen für erhebliche Verunsiche­rung, Angst und auch Wut.

Millionen Menschen demonstrie­ren gegen Rechtsextr­emismus. Kann das eine nachhaltig­e Wirkung haben?

KRAMER Die Proteste würde ich ungern bewerten, wie Ihre Frage intendiert. Ich habe da keine Noten zu verteilen. Die anhaltende­n Demonstrat­ionen für die Demokratie, quer durch die Gesellscha­ft, sind ermutigend. Was ich als Bürger generell positiv wahrnehme, ist die Tendenz, wieder als Wählerin und Wähler in die politische Auseinande­rsetzung zu gehen. Von Politikver­drossenhei­t oder -müdigkeit kann jedenfalls keine Rede sein. Dabei kann unsere Demokratie beweisen, dass wir uns politisch engagieren und auch um die besten Konzepte und Lösungen streiten können, ohne den anderen in seinem Menschsein abzuwerten oder persönlich zu diffamiere­n.

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