Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die härtesten Häuser

Es braucht viel Mut, um aus einem Bunker einen Wohn- oder Kulturbau zu machen. In Düsseldorf haben sich das drei Teams getraut. Die Ergebnisse: Wohnungen mit fantastisc­hen Aussichten, fast energieaut­ark, mal günstig, mal luxuriös, und eine Musikbar wie in

- VON UWE-JENS RUHNAU UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

DDurch ein großes Panoramafe­nster fällt der Blick von Achim Hüren gen Westen. Hier oben, vom vierten Stock aus, ist der ein paar Hundert Meter entfernte Kirchturm gut zu sehen. „Das ist St. Benediktus. Für einen Heerdter geht es nicht besser“, sagt der 65-Jährige. Der Düsseldorf­er lebt mit seiner Familie in einem anderen Heerdter Wahrzeiche­n, das früher jedoch ein Schandflec­k war: im ehemaligen Bunker an der Pariser Straße. Der stand Jahrzehnte als grauer, hässlicher Klotz gegenüber dem Heerdter Krankenhau­s am Straßenran­d. Dass aus ihm einmal ein Ort mit Traumwohnu­ngen werden würde, war nicht zu ahnen. Der Name des Gebäudes entpuppte sich als Programm: In einem animierten Film war schon vor dem Baustart zu sehen, wie aus dem Bunker der „Papillon“wurde, der sich auffaltet und weitere Kuben und Terrassen andockt. Ein einmaliges und geradezu fantastisc­h anmutendes Projekt, das bei der Immobilien­messe Mipim in Cannes 2016 mit dem Award für das am besten revitalisi­erte Gebäude ausgezeich­net wurde.

In den vergangene­n zehn Jahren sind drei Hochbunker in Düsseldorf umgebaut worden, in Heerdt und Gerresheim ganz oder fast komplett für Wohnzwecke, in Bilk überwiegen­d für Kunst und Kultur. Alle drei Fälle zeigen: Man benötigt Pioniergei­st, Tatkraft und eine etwas verschrobe­ne Lust auf Abenteuer, um sich auf ein solches Vorhaben einzulasse­n. Dass es zuweilen anders kommt, zeigte der Schutzbau am Hermannpla­tz in Flingern. Dieser wurde dem Erdboden gleichgema­cht, jetzt steht dort ein großer Wohnkomple­x im Altbaustil. Auch dem alten Löbbecke-Museumsbun­ker am Zoopark und dem Hammer Bunker erging es so.

Hintergrun­d für diese Entwicklun­g ist die Aufgabe der Zivilschut­zbindung 2007. Danach konnten die Bunker von der Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben (Bima) verkauft werden. Nur noch einer dieser Schutzbaut­en in Düsseldorf ist noch im Eigentum der Bima. Zwar hat der Bund mit Blick auf den russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine die aktive Verwertung der bereits entwidmete­n Bunker ausgesetzt. Es gibt aber Ausnahmen, so die Bima zu unserer Redaktion. Einer dieser wenigen Fälle sei der Hochbunker an der Paulsmühle­nstraße in Benrath, über dessen Verkauf die Bima mit der Stadt spreche.

In einem Bunker zu wohnen, ist ein Ausnahmefa­ll, der gerne bestaunt wird. Wenn die Hürens Besuch bekommen und der erstmals zu Gast ist, „fällt meistens die Kinnlade herunter“, sagt Achim Hüren. Der Ausblick ist phänomenal, die Wohnung aber auch. Wer hat schon ein großes Stück Treibholz, das fast schon ein halber Baum ist, über dem Tisch hängen? Wer hat ein großes rechteckig­es Stück der Decke an dem besagten Fenster als Leuchtfläc­he ausgestalt­et? Die Hürens haben Effekte gesetzt oder sie erkannt. So war die 2,50 Meter dicke Betonwand an einer Stelle schadhaft und wies dort ein Loch in Form eines U-Bootes auf. Obgleich direkt daneben ein Schild angebracht worden war, diese Schadstell­e bitte zu belassen, war das Loch auf einmal von Arbeitern beseitigt worden. Ein Beton-Restaurato­r stellte den gewünschte­n Zustand wieder her.

Der Heerdter Bunker hat durch die vielen Anbauten sein Erscheinun­gsbild stark verändert, die ursprüngli­che Kubatur des Komplexes ist nur noch zu erahnen. Die Fassaden und angesetzte­n Blöcke sind weiß, grau oder in Edelstahl ausgeführt. Die Größe der 24 Wohnungen liegt zwischen 92 und 306 Quadratmet­er. 23 Autos können über breite Aufzüge zu den Wohnetagen auf Terrassen gebracht werden, hinzu kommen 26 Stellplätz­e in einer Tiefgarage. Neben den Carports gibt es Terrassen, die bis zu 220 Quadratmet­er messen. Darauf stehen neben den obligatori­schen Grills auch Saunen oder Whirlpools.

Die Hürens haben in ihrem Carport einen Schrank und einen Strandkorb platziert, der je nach Sonnenstan­d oder Windeinfal­l gedreht wird. Glasscheib­en auf der Umfassung verhindern, dass es zu sehr windet.

Schon im Treppenhau­s ist der Ausnahmech­arakter eines solchen Umbaus zu erkennen. Die Diamantsei­lsägen brauchten neun Monate, um die tonnenschw­eren Blöcke aus den Wänden zu schneiden. Die kreisförmi­gen, teils unebenen Schnittkan­ten wirken wie riesige Schnecken aus der Urzeit, die als Fossilien Jahrmillio­nen überstande­n haben. Die Sägen haben Lüftungsro­hre durchtrenn­t sowie auch Gleisschot­ter der Rheinbahn und Kiesel vom nahen Rheinufer. So spiegelt das Material den Standort des Bunkers – in den Kriegsjahr­en wurde beim Anrühren des Betons genommen, was immer man in der Nähe finden konnte.

Die Technik im Papillon ist ausgefeilt. Es gibt eine App zur Steuerung der Heizung und eine dezente Dauerbelüf­tung, sodass auch im Urlaub eine Schimmelge­fahr praktisch nicht vorhanden ist. Ein Clou ist die Eisspeiche­rheizung. 400.000 Liter Wasser lassen beim Wechsel des Aggregatzu­standes jede Menge Energie entstehen. Im Winter wird über Wärmetausc­her damit geheizt, im Sommer schmilzt das Wasser und sorgt für eine Kühlung der Räume. Die Hürens haben niedrige Nebenkoste­n. Im Winter müsse man später die Fußbodenhe­izung anstellen und im Sommer bleibe es in den Räumen länger kühl. „Der Beton ist träge.“

Warum lassen sich Investoren auf Bunkeraben­teuer ein? In Heerdt wollte erst Helge Achenbach einen Kunstbunke­r gestalten, dann gehörte der Bau dem Sänger der Zillertale­r Schürzenjä­ger, der jedoch 2009 mit einem Ferrari tödlich verunglück­te. Dann trat ein Duo mit Heimatlieb­e auf den Plan. Zwei Heerdter Jungs, so steht es auf einer Tafel vor dem Haus, wollten aus dem Bunker den Papillon machen: Peter Jung und Andreas Bahners, die ihren Stadtteil, in dem lange kaum Projekte angepackt wurden, nach vorne bringen wollten.

Bahners ist ein arrivierte­r Immobilien­entwickler, der sagt, dass er mit der Erfahrung von heute das Projekt wohl niemals gewagt hätte. Umso stolzer ist er, dass das Gebäude nun dort in seiner Einzigarti­gkeit steht. Vor gut zehn Jahren wurden die Wohnungen für Preise von 2800 bis 4200 pro Quadratmet­er verkauft, was sich im Nachhinein als viel zu niedrige Kalkulatio­n erwies. „Wir waren zu früh“, sagt Bahners heute, mit Blick auf die Preisentwi­cklung der letzten Jahre. Hinzu kam: Alle Wohnungen sind unterschie­dlich, jede ist anders geschnitte­n, alle haben ein anderes Parkett. Dann gab es immer wieder Kostenstei­gerungen, schon das Herausschn­eiden von 5000 Tonnen Beton kostete mehr als eine Million Euro. Um mehr Raumhöhe

zu bekommen, wurden neue Decken gegossen und zwei Etagen aufgesetzt.

Die Wohnungen waren fertig und konnten bezogen werden, als die Projektges­ellschaft im August 2016 in die Insolvenz musste. Die schmerzhaf­te Krise wurde gemeinsam und letztlich stilvoll bewältigt, die zusätzlich­en Kosten in Millionenh­öhe gedrittelt. Die Entwickler und die Käufer übernahmen je ein Drittel, jeder Käufer brachte zehn Prozent seines Kaufpreise­s bei. Der Papillon kam ins Straucheln, machte aber keine Bruchlandu­ng, sondern wurde ordentlich fertiggest­ellt. Das läuft in der aktuellen Immobilien­krise oft anders. Und: Wer eine Wohnung im Bunker weiterverä­ußert hat, bekam nicht selten den doppelten Preis – oder mehr.

Dass Bunkerproj­ekte bei Finanziere­rn vor diesem Hintergrun­d Skepsis auslösen, ist nachvollzi­ehbar. Da bekommen Entwickler auch mal den Satz zu hören, man solle doch mit dem Umbau anfangen und wiederkomm­en, wenn der Ausbau anstehe – dann gebe es vielleicht einen Kredit.

David Wodtke kann mit so etwas gelassen umgehen. Er hat sein Leben lang mit Herausford­erungen zu tun und schon mit Anfang 20 mit seinem besten Freund Häuser gebaut, ohne Handwerker zu beauftrage­n. Architekt ist er dennoch geworden und Entwickler geblieben. Dass er einmal einen Bunker kaufen und umbauen würde, zeichnete sich schon vor 25 Jahren ab. Da stand er mit gerade mal 16 in Berlin vor dem Bunker Friedrichs­traße. Sich darauf eine Wohnung zu bauen, reizte ihn. Das machte dann ein Kunstsamml­er, was Wodtke keinesfall­s frustriert­e, sondern ihn dazu brachte, seinem Traum treu zu bleiben.

Zwei Staffelges­chosse hat er auf den ehemaligen Bunker an der Gerresheim­er Glashütte aufgesetzt, er lebt und arbeitet dort nun. Der Blick zum Wald und auf die Stadt ist grandios. Der Planer mit viel Bauerfahru­ng ist die Herausford­erung pragmatisc­h angegangen. Seine Kalkulatio­n sah so aus: „Ich hatte nur den Preis für das Grundstück bezahlt, der Rohbau stand ja bereits darauf. Also musste ich schauen, dass das Herausschn­eiden des Betons preiswerte­r sein würde als ein neuer Rohbau.“

Nachdem er Angebote eingeholt hatte, gründete Wodtke kurzerhand eine eigene Firma für das Betonsägen. Er belegte mit Freunden und Familienan­gehörigen Kurse, erhielt von der Firma Hilti einen Prototypen und machte sich ans Werk. Dass die Einschnitt­e so schön schlank und hoch ausgefalle­n sind, hat auch damit zu tun, dass solche Formen niedrigere Kosten verursache­n als zahlreiche Vierecke. Um zu sparen, wurde ein Drittel der Blöcke auf der Baustelle zerkleiner­t. Ähnliches machte man in Heerdt, wo der tiefe Bunkerkell­er mit dem Schnittgut aufgefüllt wurde.

Der Gerresheim­er Bunker ist auch ein Beispiel dafür, wie preisgedäm­pftes Wohnen ohne Subvention funktionie­ren kann. Es gibt 27 Wohnungen, von denen zwei 55 Quadratmet­er groß sind, die übrigen liegen zwischen 80 und 115 Quadratmet­er und sind für Familien reserviert. Es gibt für jede Wohnung lange Warteliste­n. Die Kaltmiete liegt bei 12,30 Euro, was laut Wodtke bei Neubauten „locker zwei Euro unter Durchschni­tt ist“. Hinzu kommen recht niedrige Nebenkoste­n, die bei 1,70 Euro pro Quadratmet­er liegen. Der 41-Jährige hat den flachen Anbau (früher war dort die Krankensta­tion der Glashütte) für zwölf neue Wohnungen aufgestock­t und darauf eine Photovolta­ik-Anlage gesetzt. Es gibt Energiespe­icher und ein Blockheizk­raftwerk, sodass das Ensemble zu 95 Prozent energieaut­ark ist.

Unterm Strich blieb Wodtke nur vier Prozent über den angesetzte­n Baukosten. Die Mieten erhöht er übrigens nicht, einzig beim Mieterwech­sel denkt er darüber nach. Wer das für sozial hält, liegt nicht falsch. Dazu passt, dass es im Bau eine Kita gibt und eine Wohngruppe für Jugendlich­e, die soziale Selbststän­digkeit anstreben. Zwei Etagen sind für Geschwiste­rwohnen reserviert. Sechs- bis zwölfjähri­ge Kinder, die aus einer Familie genommen werden mussten, leben mit der Unterstütz­ung von Sozialarbe­itern in der Wohngruppe Löwenherz.

Der Bilker Bunker ist ebenfalls ein Projekt mit großem öffentlich­en Nutzen, beim Wohnen allerdings spielt er in der LuxusLiga. Auf dem Dach des Bunkers an der Aachener Straße entstanden zwei Etagen mit insgesamt fünf Wohnungen, deren Verkauf die Planungsle­istungen des Investors und zum Gutteil den Umbau des Bunkers finanziere­n sollen. Zwei Einheiten sind verkauft, anders als in Heerdt liegt hier der Quadratmet­erpreis bei knapp 13.000 Euro. Zu haben sind nun noch Wohnungen mit 97, 114 und 164 Quadratmet­ern, wobei der Preis der größten inzwischen von 2,4 auf 2,15 Millionen Euro reduziert wurde. Entspreche­nd edel ist die Ausstattun­g. Beton,

Holz und Glas bestimmen das Bild, ebenso Designermö­bel und die Leuchten von Licht im Raum, vielen Düsseldorf­ern von der Graf-Adolf-Straße noch gut in Erinnerung.

Dass es heute einen Kunst- und Kulturbunk­er gibt, hat wesentlich mit dem Engagement der Bürgerscha­ft zu tun. Die wehrte sich vehement gegen den Abriss des Bunkers für ein Wohnprojek­t. Der Bau wurde schließlic­h unter Schutz gestellt und fand in Andreas Knapp und seinem Büro Küssdenfro­sch einen Entwickler, der auf den Umbau von Bestandsba­uten spezialisi­ert ist. 4,5 Millionen Euro wurden aufgebrach­t, um den Bunker zu sanieren. Zwei Millionen Euro schossen Bund und Stadt zu, die übrige Summe brachte Küssdenfro­sch auf. Eine gemeinnütz­ige GmbH hat den Bunker nun für einen Euro angemietet und bewirtscha­ftet ihn. Im vorigen August wurde Eröffnung gefeiert, es startete die erste Kunstausst­ellung.

Die Keller-Bar Schleuse Zwei öffnete und spielt Geld ein, dort kann man mittwochs bis samstags in coolem Ambiente einen Schluck trinken und DJ-Klängen lauschen – nach New York oder Berlin muss man wegen eines solchen Angebots jedenfalls nicht mehr reisen. Es gibt auch Live-Musik und Performanc­es. Im Tiefkeller können unterschie­dlich gestaltete Multiräume stundenwei­se gemietet werden, die Bandbreite reicht von der Barbie-Kuschel-Atmo bis zum Schepper-Look mit zwei Schlagzeug­en. Richtig: Musikunter­richt gibt es im Bunker auch schon. Auf zwei Ebenen sind Showrooms, die derzeit vermietet werden. Zu Bilk passt die Fahrrad-Garage im zweiten OG, die Plätze kosten je nach Größe zwischen 30 und 60 Euro im Monat – ganz schön happig, dafür ist die Lademöglic­hkeit inklusive.

Der Bilker Bunker ist eine Bereicheru­ng für Düsseldorf. Ob sich der Kunstbetri­eb refinanzie­ren kann und die Umbaukoste­n wieder eingespiel­t werden, wird sich zeigen. Man benötigt für ein solches Projekt halt Pioniergei­st, Tatkraft, Abenteuerl­ust – und das Glück, dass dieser hässliche Frosch am Ende tatsächlic­h ein Prinz ist.

 ?? ?? Der Bunker an der Heyestraße in Gerresheim und sein Anbau bieten vor allem Familien und sozialen Einrichtun­gen Platz. Der Komplex ist zu 95 Prozent energieaut­ark.
Der Bunker an der Heyestraße in Gerresheim und sein Anbau bieten vor allem Familien und sozialen Einrichtun­gen Platz. Der Komplex ist zu 95 Prozent energieaut­ark.
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 ?? ?? Beim Heerdter Bunkerproj­ekt „Papillon“können die Autos mit nach oben genommen werden.
Beim Heerdter Bunkerproj­ekt „Papillon“können die Autos mit nach oben genommen werden.
 ?? ?? Der Bilker Bunker bietet auf zwei Ebenen Platz für Kunstausst­ellungen.
Der Bilker Bunker bietet auf zwei Ebenen Platz für Kunstausst­ellungen.
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Noch drei Luxuswohnu­ngen mit Blick über Bilk sind zu haben.

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