Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die härtesten Häuser
Es braucht viel Mut, um aus einem Bunker einen Wohn- oder Kulturbau zu machen. In Düsseldorf haben sich das drei Teams getraut. Die Ergebnisse: Wohnungen mit fantastischen Aussichten, fast energieautark, mal günstig, mal luxuriös, und eine Musikbar wie in
DDurch ein großes Panoramafenster fällt der Blick von Achim Hüren gen Westen. Hier oben, vom vierten Stock aus, ist der ein paar Hundert Meter entfernte Kirchturm gut zu sehen. „Das ist St. Benediktus. Für einen Heerdter geht es nicht besser“, sagt der 65-Jährige. Der Düsseldorfer lebt mit seiner Familie in einem anderen Heerdter Wahrzeichen, das früher jedoch ein Schandfleck war: im ehemaligen Bunker an der Pariser Straße. Der stand Jahrzehnte als grauer, hässlicher Klotz gegenüber dem Heerdter Krankenhaus am Straßenrand. Dass aus ihm einmal ein Ort mit Traumwohnungen werden würde, war nicht zu ahnen. Der Name des Gebäudes entpuppte sich als Programm: In einem animierten Film war schon vor dem Baustart zu sehen, wie aus dem Bunker der „Papillon“wurde, der sich auffaltet und weitere Kuben und Terrassen andockt. Ein einmaliges und geradezu fantastisch anmutendes Projekt, das bei der Immobilienmesse Mipim in Cannes 2016 mit dem Award für das am besten revitalisierte Gebäude ausgezeichnet wurde.
In den vergangenen zehn Jahren sind drei Hochbunker in Düsseldorf umgebaut worden, in Heerdt und Gerresheim ganz oder fast komplett für Wohnzwecke, in Bilk überwiegend für Kunst und Kultur. Alle drei Fälle zeigen: Man benötigt Pioniergeist, Tatkraft und eine etwas verschrobene Lust auf Abenteuer, um sich auf ein solches Vorhaben einzulassen. Dass es zuweilen anders kommt, zeigte der Schutzbau am Hermannplatz in Flingern. Dieser wurde dem Erdboden gleichgemacht, jetzt steht dort ein großer Wohnkomplex im Altbaustil. Auch dem alten Löbbecke-Museumsbunker am Zoopark und dem Hammer Bunker erging es so.
Hintergrund für diese Entwicklung ist die Aufgabe der Zivilschutzbindung 2007. Danach konnten die Bunker von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) verkauft werden. Nur noch einer dieser Schutzbauten in Düsseldorf ist noch im Eigentum der Bima. Zwar hat der Bund mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die aktive Verwertung der bereits entwidmeten Bunker ausgesetzt. Es gibt aber Ausnahmen, so die Bima zu unserer Redaktion. Einer dieser wenigen Fälle sei der Hochbunker an der Paulsmühlenstraße in Benrath, über dessen Verkauf die Bima mit der Stadt spreche.
In einem Bunker zu wohnen, ist ein Ausnahmefall, der gerne bestaunt wird. Wenn die Hürens Besuch bekommen und der erstmals zu Gast ist, „fällt meistens die Kinnlade herunter“, sagt Achim Hüren. Der Ausblick ist phänomenal, die Wohnung aber auch. Wer hat schon ein großes Stück Treibholz, das fast schon ein halber Baum ist, über dem Tisch hängen? Wer hat ein großes rechteckiges Stück der Decke an dem besagten Fenster als Leuchtfläche ausgestaltet? Die Hürens haben Effekte gesetzt oder sie erkannt. So war die 2,50 Meter dicke Betonwand an einer Stelle schadhaft und wies dort ein Loch in Form eines U-Bootes auf. Obgleich direkt daneben ein Schild angebracht worden war, diese Schadstelle bitte zu belassen, war das Loch auf einmal von Arbeitern beseitigt worden. Ein Beton-Restaurator stellte den gewünschten Zustand wieder her.
Der Heerdter Bunker hat durch die vielen Anbauten sein Erscheinungsbild stark verändert, die ursprüngliche Kubatur des Komplexes ist nur noch zu erahnen. Die Fassaden und angesetzten Blöcke sind weiß, grau oder in Edelstahl ausgeführt. Die Größe der 24 Wohnungen liegt zwischen 92 und 306 Quadratmeter. 23 Autos können über breite Aufzüge zu den Wohnetagen auf Terrassen gebracht werden, hinzu kommen 26 Stellplätze in einer Tiefgarage. Neben den Carports gibt es Terrassen, die bis zu 220 Quadratmeter messen. Darauf stehen neben den obligatorischen Grills auch Saunen oder Whirlpools.
Die Hürens haben in ihrem Carport einen Schrank und einen Strandkorb platziert, der je nach Sonnenstand oder Windeinfall gedreht wird. Glasscheiben auf der Umfassung verhindern, dass es zu sehr windet.
Schon im Treppenhaus ist der Ausnahmecharakter eines solchen Umbaus zu erkennen. Die Diamantseilsägen brauchten neun Monate, um die tonnenschweren Blöcke aus den Wänden zu schneiden. Die kreisförmigen, teils unebenen Schnittkanten wirken wie riesige Schnecken aus der Urzeit, die als Fossilien Jahrmillionen überstanden haben. Die Sägen haben Lüftungsrohre durchtrennt sowie auch Gleisschotter der Rheinbahn und Kiesel vom nahen Rheinufer. So spiegelt das Material den Standort des Bunkers – in den Kriegsjahren wurde beim Anrühren des Betons genommen, was immer man in der Nähe finden konnte.
Die Technik im Papillon ist ausgefeilt. Es gibt eine App zur Steuerung der Heizung und eine dezente Dauerbelüftung, sodass auch im Urlaub eine Schimmelgefahr praktisch nicht vorhanden ist. Ein Clou ist die Eisspeicherheizung. 400.000 Liter Wasser lassen beim Wechsel des Aggregatzustandes jede Menge Energie entstehen. Im Winter wird über Wärmetauscher damit geheizt, im Sommer schmilzt das Wasser und sorgt für eine Kühlung der Räume. Die Hürens haben niedrige Nebenkosten. Im Winter müsse man später die Fußbodenheizung anstellen und im Sommer bleibe es in den Räumen länger kühl. „Der Beton ist träge.“
Warum lassen sich Investoren auf Bunkerabenteuer ein? In Heerdt wollte erst Helge Achenbach einen Kunstbunker gestalten, dann gehörte der Bau dem Sänger der Zillertaler Schürzenjäger, der jedoch 2009 mit einem Ferrari tödlich verunglückte. Dann trat ein Duo mit Heimatliebe auf den Plan. Zwei Heerdter Jungs, so steht es auf einer Tafel vor dem Haus, wollten aus dem Bunker den Papillon machen: Peter Jung und Andreas Bahners, die ihren Stadtteil, in dem lange kaum Projekte angepackt wurden, nach vorne bringen wollten.
Bahners ist ein arrivierter Immobilienentwickler, der sagt, dass er mit der Erfahrung von heute das Projekt wohl niemals gewagt hätte. Umso stolzer ist er, dass das Gebäude nun dort in seiner Einzigartigkeit steht. Vor gut zehn Jahren wurden die Wohnungen für Preise von 2800 bis 4200 pro Quadratmeter verkauft, was sich im Nachhinein als viel zu niedrige Kalkulation erwies. „Wir waren zu früh“, sagt Bahners heute, mit Blick auf die Preisentwicklung der letzten Jahre. Hinzu kam: Alle Wohnungen sind unterschiedlich, jede ist anders geschnitten, alle haben ein anderes Parkett. Dann gab es immer wieder Kostensteigerungen, schon das Herausschneiden von 5000 Tonnen Beton kostete mehr als eine Million Euro. Um mehr Raumhöhe
zu bekommen, wurden neue Decken gegossen und zwei Etagen aufgesetzt.
Die Wohnungen waren fertig und konnten bezogen werden, als die Projektgesellschaft im August 2016 in die Insolvenz musste. Die schmerzhafte Krise wurde gemeinsam und letztlich stilvoll bewältigt, die zusätzlichen Kosten in Millionenhöhe gedrittelt. Die Entwickler und die Käufer übernahmen je ein Drittel, jeder Käufer brachte zehn Prozent seines Kaufpreises bei. Der Papillon kam ins Straucheln, machte aber keine Bruchlandung, sondern wurde ordentlich fertiggestellt. Das läuft in der aktuellen Immobilienkrise oft anders. Und: Wer eine Wohnung im Bunker weiterveräußert hat, bekam nicht selten den doppelten Preis – oder mehr.
Dass Bunkerprojekte bei Finanzierern vor diesem Hintergrund Skepsis auslösen, ist nachvollziehbar. Da bekommen Entwickler auch mal den Satz zu hören, man solle doch mit dem Umbau anfangen und wiederkommen, wenn der Ausbau anstehe – dann gebe es vielleicht einen Kredit.
David Wodtke kann mit so etwas gelassen umgehen. Er hat sein Leben lang mit Herausforderungen zu tun und schon mit Anfang 20 mit seinem besten Freund Häuser gebaut, ohne Handwerker zu beauftragen. Architekt ist er dennoch geworden und Entwickler geblieben. Dass er einmal einen Bunker kaufen und umbauen würde, zeichnete sich schon vor 25 Jahren ab. Da stand er mit gerade mal 16 in Berlin vor dem Bunker Friedrichstraße. Sich darauf eine Wohnung zu bauen, reizte ihn. Das machte dann ein Kunstsammler, was Wodtke keinesfalls frustrierte, sondern ihn dazu brachte, seinem Traum treu zu bleiben.
Zwei Staffelgeschosse hat er auf den ehemaligen Bunker an der Gerresheimer Glashütte aufgesetzt, er lebt und arbeitet dort nun. Der Blick zum Wald und auf die Stadt ist grandios. Der Planer mit viel Bauerfahrung ist die Herausforderung pragmatisch angegangen. Seine Kalkulation sah so aus: „Ich hatte nur den Preis für das Grundstück bezahlt, der Rohbau stand ja bereits darauf. Also musste ich schauen, dass das Herausschneiden des Betons preiswerter sein würde als ein neuer Rohbau.“
Nachdem er Angebote eingeholt hatte, gründete Wodtke kurzerhand eine eigene Firma für das Betonsägen. Er belegte mit Freunden und Familienangehörigen Kurse, erhielt von der Firma Hilti einen Prototypen und machte sich ans Werk. Dass die Einschnitte so schön schlank und hoch ausgefallen sind, hat auch damit zu tun, dass solche Formen niedrigere Kosten verursachen als zahlreiche Vierecke. Um zu sparen, wurde ein Drittel der Blöcke auf der Baustelle zerkleinert. Ähnliches machte man in Heerdt, wo der tiefe Bunkerkeller mit dem Schnittgut aufgefüllt wurde.
Der Gerresheimer Bunker ist auch ein Beispiel dafür, wie preisgedämpftes Wohnen ohne Subvention funktionieren kann. Es gibt 27 Wohnungen, von denen zwei 55 Quadratmeter groß sind, die übrigen liegen zwischen 80 und 115 Quadratmeter und sind für Familien reserviert. Es gibt für jede Wohnung lange Wartelisten. Die Kaltmiete liegt bei 12,30 Euro, was laut Wodtke bei Neubauten „locker zwei Euro unter Durchschnitt ist“. Hinzu kommen recht niedrige Nebenkosten, die bei 1,70 Euro pro Quadratmeter liegen. Der 41-Jährige hat den flachen Anbau (früher war dort die Krankenstation der Glashütte) für zwölf neue Wohnungen aufgestockt und darauf eine Photovoltaik-Anlage gesetzt. Es gibt Energiespeicher und ein Blockheizkraftwerk, sodass das Ensemble zu 95 Prozent energieautark ist.
Unterm Strich blieb Wodtke nur vier Prozent über den angesetzten Baukosten. Die Mieten erhöht er übrigens nicht, einzig beim Mieterwechsel denkt er darüber nach. Wer das für sozial hält, liegt nicht falsch. Dazu passt, dass es im Bau eine Kita gibt und eine Wohngruppe für Jugendliche, die soziale Selbstständigkeit anstreben. Zwei Etagen sind für Geschwisterwohnen reserviert. Sechs- bis zwölfjährige Kinder, die aus einer Familie genommen werden mussten, leben mit der Unterstützung von Sozialarbeitern in der Wohngruppe Löwenherz.
Der Bilker Bunker ist ebenfalls ein Projekt mit großem öffentlichen Nutzen, beim Wohnen allerdings spielt er in der LuxusLiga. Auf dem Dach des Bunkers an der Aachener Straße entstanden zwei Etagen mit insgesamt fünf Wohnungen, deren Verkauf die Planungsleistungen des Investors und zum Gutteil den Umbau des Bunkers finanzieren sollen. Zwei Einheiten sind verkauft, anders als in Heerdt liegt hier der Quadratmeterpreis bei knapp 13.000 Euro. Zu haben sind nun noch Wohnungen mit 97, 114 und 164 Quadratmetern, wobei der Preis der größten inzwischen von 2,4 auf 2,15 Millionen Euro reduziert wurde. Entsprechend edel ist die Ausstattung. Beton,
Holz und Glas bestimmen das Bild, ebenso Designermöbel und die Leuchten von Licht im Raum, vielen Düsseldorfern von der Graf-Adolf-Straße noch gut in Erinnerung.
Dass es heute einen Kunst- und Kulturbunker gibt, hat wesentlich mit dem Engagement der Bürgerschaft zu tun. Die wehrte sich vehement gegen den Abriss des Bunkers für ein Wohnprojekt. Der Bau wurde schließlich unter Schutz gestellt und fand in Andreas Knapp und seinem Büro Küssdenfrosch einen Entwickler, der auf den Umbau von Bestandsbauten spezialisiert ist. 4,5 Millionen Euro wurden aufgebracht, um den Bunker zu sanieren. Zwei Millionen Euro schossen Bund und Stadt zu, die übrige Summe brachte Küssdenfrosch auf. Eine gemeinnützige GmbH hat den Bunker nun für einen Euro angemietet und bewirtschaftet ihn. Im vorigen August wurde Eröffnung gefeiert, es startete die erste Kunstausstellung.
Die Keller-Bar Schleuse Zwei öffnete und spielt Geld ein, dort kann man mittwochs bis samstags in coolem Ambiente einen Schluck trinken und DJ-Klängen lauschen – nach New York oder Berlin muss man wegen eines solchen Angebots jedenfalls nicht mehr reisen. Es gibt auch Live-Musik und Performances. Im Tiefkeller können unterschiedlich gestaltete Multiräume stundenweise gemietet werden, die Bandbreite reicht von der Barbie-Kuschel-Atmo bis zum Schepper-Look mit zwei Schlagzeugen. Richtig: Musikunterricht gibt es im Bunker auch schon. Auf zwei Ebenen sind Showrooms, die derzeit vermietet werden. Zu Bilk passt die Fahrrad-Garage im zweiten OG, die Plätze kosten je nach Größe zwischen 30 und 60 Euro im Monat – ganz schön happig, dafür ist die Lademöglichkeit inklusive.
Der Bilker Bunker ist eine Bereicherung für Düsseldorf. Ob sich der Kunstbetrieb refinanzieren kann und die Umbaukosten wieder eingespielt werden, wird sich zeigen. Man benötigt für ein solches Projekt halt Pioniergeist, Tatkraft, Abenteuerlust – und das Glück, dass dieser hässliche Frosch am Ende tatsächlich ein Prinz ist.