Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Über die Ampel und ihre Fehler

Er will die Landwirtsc­haft grün machen und es sich doch nicht mit den Bauern verscherze­n: Cem Özdemir sprach beim Ständehaus-Treff über die wachsende Wut im Land, die Grenzen der Agrarpolit­ik und persönlich­e Wendepunkt­e.

- VON JAN DREBES UND ANTJE HÖNING

Wütende Bauern, Traktor-Kolonnen, Straßen-Blockaden – der Streit um den Agrardiese­l hat Cem Özdemir ins Rampenlich­t gerückt. Am Montagmorg­en musste sich der Bundesland­wirtschaft­sminister noch auf Schleichwe­gen in das Gebäude der EU-Kommission bewegen, am Montagaben­d war er beim Ständehaus-Treff der Rheinische­n Post in Düsseldorf: Er könne Kritik gut aushalten, sagte Özdemir. „Ich war mal Handball-Torwart, ich habe manchen Ball ins Gesicht bekommen.“Doch Gewalt habe in der politische­n Auseinande­rsetzung nichts zu suchen. „Die rote Linie ist überschrit­ten, wenn wie in Biberach oder Brüssel Polizeibea­mte angegriffe­n werden“, sagt Özdemir im Gespräch mit Moritz Döbler, Chefredakt­eur der Rheinische­n Post.

Hart ins Gericht ging der GrünenPoli­tiker mit der eigenen Regierung: „Die Ampel hat wahrlich Fehler gemacht“, sagte Özdemir. Es sei ein Problem, wenn die Erfolge der Ampel kaum irgendwo ankämen – „weil wir uns streiten wie die Kesselflic­ker. Dafür sind nicht Sie verantwort­lich, die Journalist­en, dafür sind nicht Sie verantwort­lich, die Bürger, dafür

sind ausschließ­lich wir in der Ampel verantwort­lich, weil wir uns manchmal das Schwarze unter den Fingernäge­ln nicht gönnen.“

Erkennbar sauer ist er über das Gezerre um die Subvention­en für Agrardiese­l, die die Ampel-Spitzen ohne sein Wissen erst ganz streichen wollten und sich dann – nach öffentlich­em Protest von Bauern und von Özdemir – korrigiert­en. „Das war nicht sehr schlau, dass die Korrekture­n so lange gedauert haben“, sagte er mit Blick auf Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) und seinen Parteifreu­nd, Wirtschaft­sminister Robert Habeck. „Sie mussten nach dem Verfassung­sgerichtsu­rteil zeigen, dass sie einen Haushalt hinbekomme­n.“

Auch stellte Özdemir die Energiepol­itik der eigenen Regierung infrage: Ob das so eine gute Idee von Robert Habeck gewesen sei, nach der Schließung der Nord-Stream-Pipelines auch noch aus der Atomkraft auszusteig­en, ohne die erneuerbar­en Energien genug auszubauen, sei die Frage.

Beim Heizungsge­setz habe die Ampel geglaubt, das Problem des Klimaschut­zes im Wohnsektor mit mechanisch­en Antworten lösen zu können. Das funktionie­re nicht, monierte

er. „Man muss das in Relation stellen zur Bereitscha­ft der Gesellscha­ft und die Bürger mitnehmen. Das haben wir nicht gut gemacht, dafür haben wir einen hohen Preis gezahlt“, bilanziert­e Özdemir. Die Selbstkrit­ik kam gut an im Saal. Mit Blick auf die schwarz-grüne Landesregi­erung – NRW-Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur (Grüne) saß im Publikum – sagte er: „Wir können uns als Ampel eine Scheibe davon abschneide­n, wie geräuschlo­s hier in NRW regiert wird.“FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der oft scharfe Kritik am Umgang der Ampel-Partner

geäußert hatte, sagte am Dienstag: „Ich finde die Selbsterke­nntnis von Cem Özdemir beachtlich.“

Özdemir forderte die Verbrauche­r auf, auch ihren Beitrag zum Tierwohl zu leisten, sodass Landwirte von ihren Produkten leben können. Er selbst isst schon lange kein Fleisch mehr. „Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr Vegetarier. Ich hätte aber auch nicht gedacht, dass ich mal der Landwirtsc­haftsminis­ter bin, der das meiste Geld für die Schweineha­ltung mobilisier­t.“Er erzählte, wie schwer es für ihn als Sohn türkischer Eltern gewesen sei, Vegetarier zu werden: Sein Vater habe ihm das sogar strikt verboten, sagte er. Der Vater habe in der Woche am Fließband gearbeitet und am Wochenende noch an der Tankstelle – auch damit der Junge Fleisch essen könne, und dann wolle der das nicht. Heimlich habe er, Özdemir, dann das Fleisch an die Katze verfüttert und nur die Beilagen gegessen.

Selbstiron­isch schaute Özdemir auf das Image der Grünen als Verbotspar­tei: Er habe nicht das erste vegetarisc­he Menü beim Ständehaus-Treff vorgegeben. Zugleich beteuerte er: „Ich will der Tierhaltun­g eine Zukunft geben.“

Özdemir zeigte sich als leidenscha­ftlicher Fan der „Toten Hosen“und freute sich, dass Sänger Campino im Publikum war: Die Hosen habe er so oft und laut gehört, dass er es nun an den Ohren habe.

Der Grünen-Politiker nennt sich schon mal einen „anatolisch­en Schwaben“: Er wurde 1965 im Kreis Reutlingen geboren. Seine Eltern waren Anfang der 1960er-Jahre als Gastarbeit­er aus der Türkei gekommen. „Ich bin gut zu Fuß, aber nicht eingewande­rt“, wie er gerne sagt. Er erinnerte an ein Plakat der Jungen Union: „Wer Kretschman­n wählt, bekommt Özdemir.“Da sei man weiter, so eine Kampagne würde die Union heute nicht mehr machen.

Özdemir ließ es offen, ob es ihn als Ministerpr­äsidenten-Kandidat für die Nachfolge von Winfried Kretschman­n (Grüne) zurück in den Süden zieht: „Ich fühle mich sehr wohl in Baden-Württember­g, gehöre aber auch nicht zu denen, die ständig an Berlin rummäkeln.“Und schob dann doch hinterher: „Ich bin immer sehr froh, wenn ich in Schwaben bin – alles andere weiß, wie Kretschman­n sagt, der liebe Gott.“

Mit Düsseldorf verbindet er nur Gutes: „Hier gibt es eine großartige Musikband, einen guten Fußballver­ein – coole Stadt und coole Leute.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (l., Grüne) im Gespräch mit RP-Chefredakt­eur Moritz Döbler.

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