Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
KI kommt zu den Unternehmen
Noch zögern viele deutsche Firmen, künstliche Intelligenz in ihre Abläufe zu integrieren. Ein Fraunhofer-Institut hat eine Kampagne gestartet, um über Möglichkeiten zu informieren – und Vorbehalte zur Sprache zu bringen.
Auf dem hübschen Campus des Handelsunternehmens Haniel in DuisburgRuhrort steht ein grüner ElektroBulli mit den Buchstaben KI im Kennzeichen. Das Innenleben des Mobils haben Mitarbeiter bereits in ein Gebäude verfrachtet. Es besteht aus einem Stellwand-Carré mit eingelassenen Bildschirmen. Auf einem davon kann man Martina kennen lernen, Produktionsleiterin in einem mittelständischen Betrieb. Sie muss Mensch und Maschine im Schichtbetrieb organisieren, die Maschinen gewartet halten, das Lager befüllt. Ein Wartungsmitarbeiter meldet sich gerade krank. Eine KI kann Martina nun Vorschläge machen, wie der Ausfall zu ersetzen wäre. Je nachdem, mit welchen Daten man die KI füttert, kann sie nicht nur Ersatzpersonen vorschlagen, sondern auch berechnen, wie viel länger eine weniger erfahrende oder eine weniger eingearbeitete Ersatzperson für die Aufgaben bräuchte. Und da beginnen die Fragen: Ist die Eingabe persönlicher Leistungsmerkmale durch den Datenschutz gedeckt? Erhöhen sie den Druck auf Mitarbeiter? Wie werden Leistungslevels überhaupt erhoben? Was sagt der Betriebsrat dazu? Schöne neue Welt trifft betriebliche Realität.
KI kann Fotos und Filme generieren, Geschäftsbriefe schreiben, komplexe Produktionsabläufe optimieren, und das alles sehr viel schneller, sehr viel routinierter als der Mensch. Der Technologie wird ein ungeheures Optimierungspotenzial zugeschrieben – und Anwendungsmöglichkeiten in fast allen Lebensbereichen. Vor allem in der Arbeitswelt stehen enorme Veränderungen bevor. Bisher allerdings nutzen in Deutschland laut einer Studie des Ifo-Instituts nur knapp 14 Prozent der Unternehmen bereits Anwendungen von KI. Vorreiter sind das verarbeitende Gewerbe, gefolgt von Dienstleistern und Einzelhandel, insgesamt aber ist das noch nicht die Revolution, die von vielen erwartet wird.
Das Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat, gefördert durch das Bundesarbeitsministerium, zusammen mit der Universität Stuttgart das KI-Infomobil entwickelt. Es rollt zu Unternehmen, um konkret zu machen, was KI leisten kann. Bei einem Schreinerbetrieb kann es zum Beispiel darum gehen, Möbelentwürfe für den Kunden auf Wunsch zu variieren und Darstellungen zu generieren mit diesem Lack, jenem Knauf. In anderen Betrieben sind eher sprachliche Anwendungen gefragt, etwa für den Vergleich von Angeboten oder in der Kundenberatung.
KI kann Sprachbausteine für Briefe erstellen, kann eingehende E-Mails nach Art der Anliegen sortieren und entsprechenden Mitarbeitern zuleiten, kann sogar die komplette Kommunikation im Kundencenter übernehmen. Und natürlich zieht auch das Fragen nach sich: Wer ist verantwortlich für Fehler in automatisch generierten Texten? Wer findet sie überhaupt? Und was wird aus den Menschen, die solche Aufgaben bisher übernehmen: Werden sie arbeitslos oder weiterqualifiziert?
„Über solche Fragen wollen wir mit den Unternehmen ins Gespräch kommen“, sagt Nadine Lahn vom Fraunhofer IAO. Sie seien nicht auf einer Art Werbetour für KI, sondern informierten neutral über Chancen – und Risiken. Welche Fragen aufkommen, hat viel damit zu tun, was sich Menschen unter KI vorstellen. Weil Chat-Anwendungen inzwischen frappierend gute Texte schreiben, Fotos erzeugen oder Videos generieren, gibt es die Tendenz, KI zu vermenschlichen, sie also für ein Gegenüber zu halten, das kreativ sein kann und über enorme rechnerische Leistung verfügt. „Wenn KI-Prozesse ablaufen, heißt es dann: ,Die KI denkt gerade’ oder ,sie tut dies und das’“, sagt Lahn. Sie versuchten dagegen deutlich zu machen, dass KI gestaltbar ist, dass der Mensch entscheidet, wo und wie
er diese Technologie einsetzt. Wenn das KI-Mobil bei einem Unternehmen Station macht, gibt es oft Diskussionsrunden, bei denen auch Vorbehalte zur Sprache kommen. Da geht es dann um Datenschutz, um die Frage, ob KI vor allem ein Werkzeug zur Leistungskontrolle sein wird und welche Arbeitskräfte sie überflüssig machen wird.
Man kann das für typisch deutsche Technologie-Skepsis halten, für eine Ursache der bisher noch geringen Anwendungsquote in vielen Unternehmen, es sind in jedem Fall Einwände, die zur Sprache
kommen müssen, wenn Betriebe KI erfolgreich einführen möchten. Das KI-Mobil des Fraunhofer Instituts scheint jedenfalls weniger gebraucht zu werden, um wie ein Zauberkasten die neuesten Einsatzmöglichkeiten vorzuführen. Wirklich überraschend ist im Grunde nichts von dem, was auf den Bildschirmen abläuft. Das Mobil bietet eher Anlass, über den Transfer auf die konkreten Bedürfnisse vor Ort zu sprechen. Vorteile zu erkennen, Bedenken zu äußern.
Bei Haniel hat der Betriebsrat angeregt, das KI-Infomobil einzuladen. Der Konzern unterstützt
Diskussionen über die Anwendungsmöglichkeiten von KI, hat dazu intern auch schon länger eine Arbeitsgruppe gebildet – nicht nur aus IT-lern, sondern Vertreterinnen und Vertretern aller möglichen Geschäftsbereiche der Gruppe. „Wir möchten, dass sich Anwender aus unterschiedlichen Bereichen austauschen“, sagt Julia Dudenko, bei Haniel unter anderem für digitale Transformation verantwortlich. Das Rad müsse nicht zweimal erfunden werden. Eingesetzt werde KI bereits, etwa beim Hygiene-Anbieter CWS, der zum Konzern gehört. „Im Bereich Arbeitskleidung betreibt CWS zum Beispiel Wäschereien, die extrem kontaminierte Kleidung aussortieren und dann speziell reinigen“, sagt Dudenko. Was früher von Hand erledigt werden musste, übernähme heute eine KI, die auf optische Erkennung spezialisiert sei.
Vermenschlichte Vorstellungen von KI haben zur Folge, dass die Technologie als bedrohlich überlegene Konkurrenz empfunden wird, nicht als Werkzeug in der Hand von Menschen. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass KI die erste Technologie ist, die „lernt“, sich also selbstständig weiterentwickelt – und zwar in rasendem Tempo. Das Potenzial ist jedenfalls enorm, genau wie die Herausforderung, es überlegt zu nutzen.