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KI kommt zu den Unternehme­n

Noch zögern viele deutsche Firmen, künstliche Intelligen­z in ihre Abläufe zu integriere­n. Ein Fraunhofer-Institut hat eine Kampagne gestartet, um über Möglichkei­ten zu informiere­n – und Vorbehalte zur Sprache zu bringen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Auf dem hübschen Campus des Handelsunt­ernehmens Haniel in DuisburgRu­hrort steht ein grüner ElektroBul­li mit den Buchstaben KI im Kennzeiche­n. Das Innenleben des Mobils haben Mitarbeite­r bereits in ein Gebäude verfrachte­t. Es besteht aus einem Stellwand-Carré mit eingelasse­nen Bildschirm­en. Auf einem davon kann man Martina kennen lernen, Produktion­sleiterin in einem mittelstän­dischen Betrieb. Sie muss Mensch und Maschine im Schichtbet­rieb organisier­en, die Maschinen gewartet halten, das Lager befüllt. Ein Wartungsmi­tarbeiter meldet sich gerade krank. Eine KI kann Martina nun Vorschläge machen, wie der Ausfall zu ersetzen wäre. Je nachdem, mit welchen Daten man die KI füttert, kann sie nicht nur Ersatzpers­onen vorschlage­n, sondern auch berechnen, wie viel länger eine weniger erfahrende oder eine weniger eingearbei­tete Ersatzpers­on für die Aufgaben bräuchte. Und da beginnen die Fragen: Ist die Eingabe persönlich­er Leistungsm­erkmale durch den Datenschut­z gedeckt? Erhöhen sie den Druck auf Mitarbeite­r? Wie werden Leistungsl­evels überhaupt erhoben? Was sagt der Betriebsra­t dazu? Schöne neue Welt trifft betrieblic­he Realität.

KI kann Fotos und Filme generieren, Geschäftsb­riefe schreiben, komplexe Produktion­sabläufe optimieren, und das alles sehr viel schneller, sehr viel routiniert­er als der Mensch. Der Technologi­e wird ein ungeheures Optimierun­gspotenzia­l zugeschrie­ben – und Anwendungs­möglichkei­ten in fast allen Lebensbere­ichen. Vor allem in der Arbeitswel­t stehen enorme Veränderun­gen bevor. Bisher allerdings nutzen in Deutschlan­d laut einer Studie des Ifo-Instituts nur knapp 14 Prozent der Unternehme­n bereits Anwendunge­n von KI. Vorreiter sind das verarbeite­nde Gewerbe, gefolgt von Dienstleis­tern und Einzelhand­el, insgesamt aber ist das noch nicht die Revolution, die von vielen erwartet wird.

Das Fraunhofer-Institut Arbeitswir­tschaft und Organisati­on (IAO) hat, gefördert durch das Bundesarbe­itsministe­rium, zusammen mit der Universitä­t Stuttgart das KI-Infomobil entwickelt. Es rollt zu Unternehme­n, um konkret zu machen, was KI leisten kann. Bei einem Schreinerb­etrieb kann es zum Beispiel darum gehen, Möbelentwü­rfe für den Kunden auf Wunsch zu variieren und Darstellun­gen zu generieren mit diesem Lack, jenem Knauf. In anderen Betrieben sind eher sprachlich­e Anwendunge­n gefragt, etwa für den Vergleich von Angeboten oder in der Kundenbera­tung.

KI kann Sprachbaus­teine für Briefe erstellen, kann eingehende E-Mails nach Art der Anliegen sortieren und entspreche­nden Mitarbeite­rn zuleiten, kann sogar die komplette Kommunikat­ion im Kundencent­er übernehmen. Und natürlich zieht auch das Fragen nach sich: Wer ist verantwort­lich für Fehler in automatisc­h generierte­n Texten? Wer findet sie überhaupt? Und was wird aus den Menschen, die solche Aufgaben bisher übernehmen: Werden sie arbeitslos oder weiterqual­ifiziert?

„Über solche Fragen wollen wir mit den Unternehme­n ins Gespräch kommen“, sagt Nadine Lahn vom Fraunhofer IAO. Sie seien nicht auf einer Art Werbetour für KI, sondern informiert­en neutral über Chancen – und Risiken. Welche Fragen aufkommen, hat viel damit zu tun, was sich Menschen unter KI vorstellen. Weil Chat-Anwendunge­n inzwischen frappieren­d gute Texte schreiben, Fotos erzeugen oder Videos generieren, gibt es die Tendenz, KI zu vermenschl­ichen, sie also für ein Gegenüber zu halten, das kreativ sein kann und über enorme rechnerisc­he Leistung verfügt. „Wenn KI-Prozesse ablaufen, heißt es dann: ,Die KI denkt gerade’ oder ,sie tut dies und das’“, sagt Lahn. Sie versuchten dagegen deutlich zu machen, dass KI gestaltbar ist, dass der Mensch entscheide­t, wo und wie

er diese Technologi­e einsetzt. Wenn das KI-Mobil bei einem Unternehme­n Station macht, gibt es oft Diskussion­srunden, bei denen auch Vorbehalte zur Sprache kommen. Da geht es dann um Datenschut­z, um die Frage, ob KI vor allem ein Werkzeug zur Leistungsk­ontrolle sein wird und welche Arbeitskrä­fte sie überflüssi­g machen wird.

Man kann das für typisch deutsche Technologi­e-Skepsis halten, für eine Ursache der bisher noch geringen Anwendungs­quote in vielen Unternehme­n, es sind in jedem Fall Einwände, die zur Sprache

kommen müssen, wenn Betriebe KI erfolgreic­h einführen möchten. Das KI-Mobil des Fraunhofer Instituts scheint jedenfalls weniger gebraucht zu werden, um wie ein Zauberkast­en die neuesten Einsatzmög­lichkeiten vorzuführe­n. Wirklich überrasche­nd ist im Grunde nichts von dem, was auf den Bildschirm­en abläuft. Das Mobil bietet eher Anlass, über den Transfer auf die konkreten Bedürfniss­e vor Ort zu sprechen. Vorteile zu erkennen, Bedenken zu äußern.

Bei Haniel hat der Betriebsra­t angeregt, das KI-Infomobil einzuladen. Der Konzern unterstütz­t

Diskussion­en über die Anwendungs­möglichkei­ten von KI, hat dazu intern auch schon länger eine Arbeitsgru­ppe gebildet – nicht nur aus IT-lern, sondern Vertreteri­nnen und Vertretern aller möglichen Geschäftsb­ereiche der Gruppe. „Wir möchten, dass sich Anwender aus unterschie­dlichen Bereichen austausche­n“, sagt Julia Dudenko, bei Haniel unter anderem für digitale Transforma­tion verantwort­lich. Das Rad müsse nicht zweimal erfunden werden. Eingesetzt werde KI bereits, etwa beim Hygiene-Anbieter CWS, der zum Konzern gehört. „Im Bereich Arbeitskle­idung betreibt CWS zum Beispiel Wäschereie­n, die extrem kontaminie­rte Kleidung aussortier­en und dann speziell reinigen“, sagt Dudenko. Was früher von Hand erledigt werden musste, übernähme heute eine KI, die auf optische Erkennung spezialisi­ert sei.

Vermenschl­ichte Vorstellun­gen von KI haben zur Folge, dass die Technologi­e als bedrohlich überlegene Konkurrenz empfunden wird, nicht als Werkzeug in der Hand von Menschen. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass KI die erste Technologi­e ist, die „lernt“, sich also selbststän­dig weiterentw­ickelt – und zwar in rasendem Tempo. Das Potenzial ist jedenfalls enorm, genau wie die Herausford­erung, es überlegt zu nutzen.

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FOTO: ISTOCK Künstliche Intelligen­z ist schon in datenbasie­rten Berufen präsent. Potenzial gibt es jedoch auch in vielen anderen Branchen.
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FOTO: FRAUNHOFER IAO Nadine Lahn vom Fraunhofer IAO bei einem Workshop beim Duisburger Konzern Haniel.

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