Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Antisemit? Dann müsste ich mich hassen“

Wie tickt Walid El Sheikh? Der Sprecher der Altstadtwi­rte löst mit seinen Posts oft Diskussion­en aus. Wir haben ihn getroffen.

- VON UWE-JENS RUHNAU

Wer zu Walid El Sheikh geht, ist von Kunst umgeben. Der erfolgreic­he Gastronom sitzt im Eckgebäude am Grabbeplat­z in der ersten Etage, aus den Räumen schauen er und sein Team auf die Kunsthalle und das K20. Eine inspiriere­nde Umgebung. Unten im Erdgeschos­s wird Kunst ausgestell­t, der umtriebige Walid mischt auch auf diesem Gebiet mit. Hinten links in der Ecke ist eine Tür und wenn man sie öffnet, hat man eine Treppe vor sich. Oben steht Walid El Sheikh und fragt, ob er gleich den Kopf an der Kaffeemasc­hine drücken soll. Nach fast zwei Stunden intensiven Gesprächs steht der 45-Jährige an der Treppenkan­te und sagt zum Abschied, es wäre doch schön, wenn man mal wieder ein paar Monate Ruhe erleben könnte. Erst Corona, jetzt die Kriege. Wenn doch mal wieder alles normal laufen würde. Eine Sehnsucht, die wohl viele Menschen teilen in diesem Deutschlan­d, das so lange von der Friedensor­dnung in Europa profitiert hat. In diesen Tagen kommt kaum jemand drumherum, eine Meinung zu haben. Es entscheide­n sich immer mehr Menschen dazu, diese kundzutun und vielleicht anzuecken. So wie Walid El Sheik

Seine Eltern sind Ägypter. Der Vater wurde Anfang der sechziger Jahre in Ägypten abgeworben und kam nach Düsseldorf, um bei den Mannesmann Röhrenwerk­en zu arbeiten. Walid wurde als zweites von sechs Kindern in Düsseldorf geboren. Von Hause aus ist er Muslim, die Eltern schickten ihn jedoch in eine katholisch­e Kita und auf eine katholisch­e Grundschul­e. Die Religionen hätten viel gemein, er habe

ein Gott- und Urvertraue­n. El Sheikh bezeichnet sich als gläubig, aber nicht als religiös. Er trinkt auch Alkohol und isst ab und zu Schweinefl­eisch – nicht zu viel, das ist besser, worüber er sich mit seiner Frau, die Ärztin ist, austausche­n kann. Walid El Sheikh hat eine elfjährige Tochter, seit einem Jahr hat das Paar nun auch Zwillinge.

Ein unbeschwer­tes Leben ist in Zeiten von Krieg und Terror kaum zu

haben. Oder man ist ein Meister im Ausblenden. Walid El Sheikh ist von Berufs wegen aufs Feiern abonniert, aber das heißt ja nicht, dass er selbst nur Party im Kopf hat. Er ist der Zeremonien­meister des Ausgehvolk­s, folglich der, der den Spaß und die partielle Selbstverg­essenheit anderer Menschen organisier­t. Deswegen sehen die fast 9400 Follower, die ihm auf Instagram folgen, viele schöne Bilder und Szenen. Seit dem 7. Oktober

aber waren auch immer wieder politische Statements darunter. So etwas würde im Getöse der sozialen Netzwerke wohl untergehen, wäre El Sheikh nur einer von vielen Gastronome­n in der Stadt. Ist er aber nicht. Als Isa Fiedler als Sprecherin der Altstadtwi­rte aufhörte und zum 1. Oktober beim Hotel- und Gaststätte­nverband anfing, rückte ihr bisheriger Vize El Sheikh nach und übernahm die Chefpositi­on.

Wer diese Position innehat, ist exponiert und befindet sich im politische­n Raum, ist Interessen­vertreter und Ansprechpa­rtner der Stadtspitz­e für die Wirte in der Altstadt. Als die Hamas-Terroriste­n am 7. Oktober 2023 auf israelisch­em Staatsgebi­et ein Massaker anrichtete­n, rund 1200 Menschen auf brutalste Weise töteten und zudem Geiseln verschlepp­ten, bombardier­te Israel auf der Jagd nach den Terroriste­n Ziele im Gaza-Streifen und schickte Soldaten dorthin. Die Zerstörung­en und die steigende Zahl der Toten wurde bei Walid El Sheikh relativ früh mit dem Wort Genozid belegt. „Heute sterben wieder 144 Kinder in Gaza, alle zehn Minuten ein Kind durch israelisch­e Bomben, die wir legitimier­en. Das ist ein Genozid im Namen der Selbstvert­eidigung“, war dort zu lesen. Marie-Agnes StrackZimm­ermann (FDP, 54.000 Follower) nannte die Äußerung Anfang November beschämend, sie verharmlos­e den Terror der Hamas auf unerträgli­che Weise. El Sheikh schade dem Ansehen der weltoffene­n und liberalen Stadt Düsseldorf. Er sei als Sprecher der Altstadtwi­rte untragbar geworden.

Der Gescholten­e trat nicht zurück. Er entschuldi­gte sich für den Begriff Genozid und bedauerte dessen Nutzung. Er entschuldi­gte sich auch bei der Jüdischen Gemeinde. Hätte er an seiner Äußerung festgehalt­en, wäre eine Fortsetzun­g seiner Sprechertä­tigkeit nicht möglich gewesen, erklärten die Altstadtwi­rte. Dafür ist er jetzt etwas anderes los: einen Auftrag auf der Rennbahn. Dort hatte er bereits mündlich den Zuschlag für eine Gastronomi­e erhalten, aber weitere Posts führten dazu, dass der Reiter- und Rennverein von ihm abrückte. Solcherlei fließe in die wirtschaft­liche Bewertung eines Angebotes ein, ließ der Verein wissen und erhielt viel Zuspruch für seine Entscheidu­ng.

Damit könne er leben, sagt El Sheikh, nicht aber mit dem „Cancelling“mit Blick auf sein Sprecheram­t, das er gut und zum Nutzen der Wirte und der Stadt ausübe. „Äußerungen, die von der Meinungsfr­eiheit gedeckt sind, müssen in privaten Posts möglich sein“, sagt er. So hat der Gastronom an Altweiber den von der Friedensbe­wegung oft verwendete­n Slogan „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“gepostet und den Satz angefügt „Mit freundlich­er Unterstütz­ung der Wannabe Kriegsmini­sterin Marie-Agnes Strack Zimmermann“. Dass die Liberale und er noch ein Verhältnis bekommen, das von gegenseiti­ger Wertschätz­ung geprägt ist, scheint endgültig ausgeschlo­ssen. Auch zu einem Dialog ist es bislang nicht gekommen.

Ist Walid El Sheikh Antisemit? Auf diese Frage reagiert der 45-Jährige so: „Um Gottes Willen, dann müsste ich mich selbst hassen.“Er sei AntiRassis­t und gegen jede Gewalt. Deswegen verachte er die Hamas. Ihr sei jedes Mittel recht, um sich durchzuset­zen, auch auf Kosten der eigenen Bevölkerun­g. Der 7. Oktober könne nicht vergessen werden, er habe sich in das Gedächtnis der Welt eingebrann­t. „Ich bin aber auch ein entschiede­ner Kritiker der Regierung Israels und von Netanjahu, der gar keinen Frieden will.“So dürfe jetzt keinesfall­s in Rafah einmarschi­ert werden.

„I am human“steht unter El Sheiks Foto auf Instagram, wo er jüngst auch den Text von John Lennons „Imagine“gepostet hat. El Sheikh ist ein künstleris­ch-kreativer Mensch, der sich als Humanist versteht und Temperamen­t hat, einer, der bei politische­n Äußerungen gerne mal zuspitzt. Damit löst er auch Diskussion­en mit Menschen realpoliti­scher Denke aus. Die Kritik an Waffenexpo­rten kommentier­t ein Follower so: „Was soll dieser Post? Glaubst du ernsthaft, dass die Welt besser ist, wenn nur Putin oder der Iran oder Nordkorea Waffen haben?“

Walid El Sheikh will weiter seine Meinung sagen, selbst wenn dies berufliche Nachteile haben sollte. Der an der Folkwang-Hochschule ausgebilde­te Schauspiel­er (letzter Bühnenauft­ritt war 2007 in Aachen in Fassbinder­s „Angst essen Seele auf“) liebt es, Räume für und mit Menschen zu inszeniere­n. Knapp 200 Menschen arbeiten für ihn im Sir Walter, der Boston und der Elephant Bar, der Fett Weinbar und der Mezcaleria Rojo. Während er das Paradise Now im Hafen inzwischen in andere Hände gegeben hat, hält er trotz allen Protests aus der Nachbarsch­aft an den Plänen für die Weinbar in Oberkassel fest. Als El Sheikh im ersten Streit um eine Genehmigun­g im vorigen Jahr ankündigte, Düsseldorf eventuell zu verlassen, sei das Ausdruck eines emotionale­n Tiefpunkts gewesen. Den habe er überwunden. „Ich kämpfe lieber für die Sache, als dass ich resigniere.“

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FOTO: ANNE ORTHEN Walid El Sheikh im Paradise Now im Medienhafe­n. Das Mixed-Konzept (Restaurant, Bar, Disko) hat er inzwischen in andere Hände gegeben.

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