Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Harter Kiez, weicher Kern

Der Mintropkie­z hat etwas Verruchtes mit den Sexshops und Spielhölle­n. Es ist ein Ort für Menschen, die das Gegenteil von Spießigkei­t suchen. Und sie finden eine Nachbarsch­aft, die zusammenhä­lt.

- VON VERENA KENSBOCK UND ANNE ORTHEN (FOTOS)

EEine Geschichte über den Mintropkie­z kann an keinem anderen Ort beginnen als in einer Tabledance-Bar. Auch wenn die Gäste des Tropical Nights diesmal nicht an der Tür klingeln und zehn Euro Eintritt zahlen müssen. Auch wenn keine Frauen an der Stange tanzen und die Separees für Privatvorf­ührungen leer bleiben. An diesem Abend hat sich die Band „The Bad Reception“auf der kleinen Bühne aufgebaut, Schlagzeug, Gitarre, Bass. Das Verspreche­n: Rock’n’Roll bei Rotlicht. Heute ist die Tür offen, für alle.

Die Tabledance-Bar öffnet, um Vorurteile in der Nachbarsch­aft abzubauen, sagt Christian, der das Tropical Nights leitet und seinen Nachnamen nicht verraten möchte. „Wir wollen zeigen, dass man hier unbesorgt reingehen kann.“Zu den Rotlicht-Shows kommen Männer und Frauen, alleine und als Pärchen. Montags ist immer zu, außer zu Messezeite­n. Die Kiez-Konzerte, die es seit einigen Monaten gibt, ziehen ein anderes Klientel an – die Nachbarsch­aft. Die Alteingese­ssenen finden es gemütlich, die Künstler finden es spannend. „Es ist ein bisschen wie ein Jugendtref­f für Erwachsene“, sagt Christian. Für den Kiez.

Der Mintropkie­z, das ist ein kleines Viereck zwischen Mintroppla­tz und Stresemann­platz, am nordöstlic­hen Rand von Friedrichs­tadt. Nah am Hauptbahnh­of und weit entfernt vom Fürstenpla­tz mit sanierten Altbau-Fassaden, Spielplatz und Cafés, vor denen zu jeder Jahreszeit Gäste an den Tischen sitzen und Cappuccino trinken. Der Mintropkie­z ist ein Ort, den viele nur durchquere­n, man kennt die Yucca-Palmen am Stresemann­platz und die tropfende Unterführu­ng nach Oberbilk. Es ist ein Ort, der etwas Schmuddeli­ges hat, etwas Verruchtes mit den Sexshops und Spielhölle­n, mit den Obdachlose­nunterkünf­ten und den Hotels, die schon bessere Zeiten gesehen haben, mit der alten Tankstelle, aus der man eigentlich etwas machen könnte, die aber verrottet. Es ist ein Ort, den eine Großstadt braucht, an dem Nächte durchgemac­ht werden. Es ist ein Ort für Menschen, die das Gegenteil von Spießigkei­t suchen, für Künstler und Lebensküns­tler. Und es ist ein Ort, an dem sich ein bemerkensw­erter Zusammenha­lt in der Nachbarsch­aft entwickelt hat.

Eine Geschichte über den Mintropkie­z kann mit keiner anderen Person beginnen als mit Omid Gudarzi. Seit ihrer Kindheit lebt sie in der Gegend zwischen Hauptbahnh­of und Stadtmitte, seit fast 30 Jahren an der Adersstraß­e, und sie liebt es. Sie spricht mit einer Begeisteru­ng von ihrem Kiez, die andere nicht einmal für die Königsalle­e aufbringen würden. Da sind die Graffiti vom Düsseldorf­er Künstlerve­rein Farbfieber, die griechisch­en und vietnamesi­schen Restaurant­s, die exzellente­n Cocktails in der Ellington-Bar, da ist der Friseur, der den ganzen bekannten Rappern die Haare schneidet. Von ihrer Dachterras­se aus hört sie die Klänge der Moschee und das Trommeln der Conga-Schule. „Es ist diese bunte Mischung, die ich so schätze“, sagt sie. Wenn sie die Straßen entlanggeh­t, winkt sie ständig Bekannten, schüttelt Hände, umarmt, leiert das nächste Projekt an.

Omid Gudarzi hat die Initiative MintropKie­z gegründet und den Verein Mintropoli­s, die auch die Konzerte in der Tabledance-Bar organisier­en. Vor allem aber wollen sie das Viertel schöner machen. Sie haben schon Tafeln am Mintroppla­tz angebracht, die etwa über den Künstler und Namensgebe­r Theodor Mintrop informiere­n. Sie waren daran beteiligt, dass es nun eine Toilette am Stresemann­platz gibt, wo sich die Obdachlose­n treffen. Und nun arbeiten sie daran, die marode Unterführu­ng an der Ellerstraß­e abzudichte­n und besser zu beleuchten.

Am Mintroppla­tz zeigt sie auf einen überfüllte­n Mülleimer und sagt: „Früher sah es hier immer so aus. Die Straßen waren am Rande der Verelendun­g.“Zu Rotlicht-Hochzeiten haben sich die Türsteher um die Ordnung im Viertel gekümmert. Doch wer schleicht sich heute noch in Tabledance­Bars und Sexshops, wenn es das Internet gibt? Viele Läden sind verschwund­en, mit ihnen die Ordnung. Weniger organisier­te Kriminalit­ät, mehr Chaos. Also hat die Initiative für jede Straße Paten gefunden, die aufpassen und der Stadt melden, wenn der Abfall nicht weggeräumt wurde oder wenn sich mal wieder Sperrmüll an der Straße türmt. Seitdem, das sagen viele aus der Nachbarsch­aft, ist es viel sauberer geworden.

Es mag ein wenig überrasche­n, dass genau hier die Nachbarn so zusammenha­lten, in einem Viertel in Bahnhofsnä­he, urbaner geht es kaum. Es widerspric­ht der Erzählung von der anonymen Großstadt. Doch vielleicht entwickelt sich eine solche Gemeinscha­ft genau da, an einem Ort, der nicht perfekt ist, der Potenzial hat, das man herauskitz­eln muss. Doch bei dem Wort Gentrifizi­erung schütteln hier alle die Köpfe. Bloß keine Investoren, bloß keine Mikro-Appartemen­ts, lieber ein Studentenw­ohnheim. Die Rohheit macht das Viertel aus. Und das zieht von jeher nicht nur das Rotlicht-Milieu an, sondern auch Kreative.

„Berlin war sofort vergessen“, sagt Dorothea Schüle, wenn sie davon erzählt, wie sie in den Mintropkie­z kam. Das war 2011 und sie lebte und arbeitete dort, wo so viele Künstlerin­nen und Künstler hinwollen: in der Hauptstadt. Bis zu einem Besuch in ihrer alten Heimat Düsseldorf. Ein Bekannter berichtete ihr von dem Atelier in einem Hinterhof an der Mintropstr­aße, gleich neben dem ehemaligen Kling-Klang-Studio von Kraftwerk. 120 Quadratmet­er, große Industrief­enster, Gewölbedec­ke, weiße Backsteinw­ände. Sie sagte sofort zu und Berlin war, nun ja, vergessen.

Freundinne­n und Nachbarn gehen in ihrem Atelier ein und aus. Wenn ihre großformat­igen Gemälde nicht gerade den halben Raum ausfüllen, stellt sie manchmal Tische auf und alle bringen etwas zu essen mit. Auf dem Holzpodest, in dem sich unten eine Waschmasch­ine und oben eine Dusche

verstecken, haben schon Musiker gespielt. Und an diesem Nachmittag sitzt eine Freundin auf dem Ledersofa, sie ist spontan auf einen Tee vorbeigeko­mmen. Dorothea Schüle trägt, wie so oft, ihren Blaumann und bunte Sneaker und, wie immer, ihre Lockenmähn­e.

Dieses Atelier, dieser Hinterhof, dieser Kiez sind etwas Besonderes, sagt Dorothea Schüle. „Es ist weltstädti­sch, aber irgendwie auch ein Dorf.“Das mag auch daran liegen, dass sie sich als Künstlerin hier in bester Gesellscha­ft befindet. Etliche Designstud­ios und Kunsträume liegen in der Nachbarsch­aft, zwischen Imbissen und Shishashop­s. Markus Ambach, bekannt für seine Kunstinsta­llationen im öffentlich­en Raum, hat sich in dem Kiez niedergela­ssen, ebenso Fotograf Martin Klimas. In einem Atelierhau­s an der Harkortstr­aße arbeiteten einst Künstler wie Gerhard Richter, Blinky Palermo und der Bildhauer Thomas Schütte. „Hier wollte ja früher keiner wohnen“, sagt Dorothea Schüle. „Nur Künstler.“Die wussten die geringen Mieten für leerstehen­de Hallen zu schätzen.

Der freie Raum lockt viele mit großen Ideen an, auch Maximilian Giesen, der sich nur Max nennen lässt. Wo einst Euroshops und Sexkabinen waren, hat er sechs Escape-Rooms gebaut. Der gebürtige Düsseldorf­er war beruflich viel unterwegs, in Berlin und Hamburg. Bis die Faszinatio­n für diese Räume wuchs, aus denen sich die Spieler befreien müssen, indem sie Rätsel lösen. Er tauschte Konzern gegen Selbststän­digkeit und eröffnete „The Code Agency“, direkt am Stresemann­platz, einer Gegend, die er zuvor kaum kannte. „Bunt, dreckig, wild, spannend“, sagt Max, „ich sehe das als Potenzial.“

Aber es kann, um ehrlich zu sein, auch lästig sein. „Wir brauchen keine 50 Glücksspie­ldinger“, sagt er. „Und nachts sind hier schon viele fragwürdig­e Gestalten unterwegs.“Jeden Morgen räumt das Team Tische, Stühle und ein Sofa auf die Terrasse. Früher musste die aber immer von Unrat befreit werden. Nun blickt man zwar direkt auf die Toilette am Stresemann­platz, wo sich bei Sonnensche­in die Trinker treffen, aber es ist sauberer geworden. Ab und an muss noch der Krankenwag­en anrücken, wenn es auf dem Platz wieder knallt.

Das Café, das zu The Code Agency gehört, ist dennoch oder vielleicht gerade wegen dieser Lage zum Treffpunkt für das Viertel geworden. Der Laden ragt heraus mit dem Industriel­ook und dem Kaffee, der von der Rösterei Schvarz kommt. Ab morgens sitzen Kunden auf der Terrasse mit Blick auf das Klo und nippen an ihren Tassen. Max will noch eine große Küche einbauen, damit er in dem Café auch Frühstück anbieten kann. Und auch sonst hat er noch einiges vor, das er aber nicht verraten kann. Die neueste Attraktion, das Axtwerfen, laufe aber schon hervorrage­nd. Die Besucher, sagt er, kommen aus ganz Deutschlan­d.

Die andere Seite der Nachbarsch­aft kennt wohl niemand so gut wie Nadia BouazziOul­daly. Die 33-Jährige hatte ihren Pflegedien­st an der Adersstraß­e einst gegründet, um ältere Migranten zu versorgen. Nun, sagt sie, hat sie in der Gegend aber fast nur deutsche Kundschaft. In nahezu jedem zweiten Haus im Kiez kümmert sich ihr Team um Senioren, die meisten leben hier schon seit Jahrzehnte­n. Auch sie selbst hat viele Jahre in der Nachbarsch­aft gewohnt. „Für mich war es anfangs ein Kulturscho­ck“, sagt Bouazzi-Ouldaly, schließlic­h ist sie eher ländlich aufgewachs­en. „Hier ist immer was los, immer Action. Vielfältig, friedlich, bunt.“

Doch inmitten dieses Großstadtt­rubels ist es familiär im Kiez. Nadia Bouazzi-Ouldaly kennt fast jede ältere Person in dem Viertel, und die Senioren kennen sich alle untereinan­der, sagt sie. Ein älterer Herr kommt jeden Tag in ihren Laden mit dem pinken Schriftzug „Nadia’s Pflegedien­st“und trinkt einen schwarzen Kaffee. Wenn sie Spenden sammeln, dann gehen die an das benachbart­e Obdachlose­nheim. Selbst die Wohnungslo­sen, die das Team versorgt, seien alle alteingese­ssen. Wäre sie nicht Mutter geworden, wäre sie niemals weggezogen, sagt sie.

Während in der Tabledance-Bar der Bass wummert, beginnt der Abend in der Ellington-Bar, die auch in Profi-Guides für ihre exzellente­n Cocktails gelobt wird. „Heute wird es voll“, sagt der Barmann, „wie jeden Abend.“Hier sitzen Männer in weißen Hemden und Frauen in eng anliegende­n Kleidern an der Theke und auf Lederbänke­n. Die Cocktails tragen Namen wie Freigeist und Sprudelsch­nucke, dazu gibt es gesalzene Mandeln und Wasabi-Nüsse.

Seit 15 Jahren führt Tobias Potthoff die Bar, die es schon viel länger an der Scheurenst­raße gibt, direkt neben dem Erotikshop Erdbeermun­d und einer Notschlafs­telle. Die Bar ist ein Exot in der Gegend und doch profitiert sie von der Lage und dem verruchten Image. Da ist zum einen der Mietpreis, sagt Potthoff, der im Mintropkie­z viel niedriger ist als 500 Meter weiter in Kö-Nähe. „Das ist gut für uns und die Kunden. Ich muss nicht 20 Euro für einen Drink nehmen.“Auch wenn er die Mülltonnen mittlerwei­le vor der Tür stehen lässt, um den Dreck der Obdachlose­n aus der Notschlafs­telle schneller entsorgen zu können.

Und da ist zum anderen das Kiez-Gefühl. „Es hat etwas Voyeuristi­sches“, sagt Potthoff. Natürlich hinkt der Vergleich, doch es ist ein bisschen wie beim Besuch auf der Reeperbahn in Hamburg. Es sei zwar kein echter Kiez, sagt Potthoff, aber immerhin gebe es noch einige Strip-Bars und Erotik-Läden. Wer in die Ellington-Bar geht, kann aus sicherer Entfernung einen Blick in das Milieu werfen, das sich sonst in einer anderen Welt abspielt. „Das hat einen gewissen untypische­n Düsseldorf-Charme, der den Leuten gefällt.“Und auch Potthoff möchte es nicht anders haben. „Ich muss kein gelecktes Viertel haben. Die Mischung macht’s.“So kommen Einheimisc­he aus anderen Vierteln und Touristen in die Ellington Bar, auf der Suche nach guten Drinks und diesem Hauch von sündhaftem Nachtleben. Vielleicht beginnt auch hier heute eine Nacht, die durchgemac­ht wird.

 ?? ?? Hier kann man aus sicherer Entfernung dem Rotlicht-Treiben zuschauen: Die Ellington-Bar serviert exzellente Cocktails und profitiert durchaus von dem verruchten Kiez-Image.
Hier kann man aus sicherer Entfernung dem Rotlicht-Treiben zuschauen: Die Ellington-Bar serviert exzellente Cocktails und profitiert durchaus von dem verruchten Kiez-Image.
 ?? ?? Die Tabledance-Bar Tropical Nights öffnet mittlerwei­le auch für Kiez-Konzerte.
Die Tabledance-Bar Tropical Nights öffnet mittlerwei­le auch für Kiez-Konzerte.
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 ?? ?? Omid Gudarzi hat die Initiative Mintropkie­z gegründet, um das Viertel schöner zu machen.
Omid Gudarzi hat die Initiative Mintropkie­z gegründet, um das Viertel schöner zu machen.
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Das Café von Max Giesemanns „The Code Agency“ist zum Treffpunkt geworden.
 ?? ?? Künstlerin Dorothea Schüle ist von Berlin in den Mintropkie­z gezogen.
Künstlerin Dorothea Schüle ist von Berlin in den Mintropkie­z gezogen.

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