Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wiedersehen nach 74 Jahren
Der Jahrgang 1943/44 des früheren Katholischen Volksschule Lank hat zum Klassentreffen eingeladen. 74 Jahre nach Einschulung tauschten sich die ehemaligen Klassenkameraden über ihre ganz verschiedenen Lebenswege aus.
Fröhliches Stimmengewirr flutet durch die Weinschenke in Lank. Es ist Mittagszeit, die Tische sind fein gedeckt - für ein Beisammensein der besonderen Art. Man begrüßt sich, man umarmt sich. Und manchmal mustert man sich kurz, bevor die Erinnerung umso freudiger aufblitzt. Denn einige der Anwesenden haben sich tatsächlich über Jahrzehnte nicht gesehen. Die Zusammenkunft erinnert an die Einschulung des Jahrgangs 1943/44 in die Katholische Volksschule Kemperallee in Lank. Ein Klassentreffen nach sage und schreibe 74 Jahren, das ist schon etwas ganz Besonders.
Wie kam es dazu? Die Initialzündung ging von Stephanie Laux aus, nachdem sie bei einer Trauerfeier zwei früheren Klassenkameraden begegnet war. „Bist du nicht der Werner?“fragte sie Werner Winkes. Er bejahte. Schnell war der Gedanke geboren, ein Klassentreffen zu organisieren, das im Dezember von einem kleinen Kreis vorbereitet wurde. „Jeder hatte ein paar Adressen, überall fragten wir herum“, erzählt Stephanie Laux. „Daraus ergab sich ein solides Netzwerk, so dass wir fast alle erreichen und einladen konnten.“Die ehemaligen Mitschüler sind um die 80 Jahre alt. Etwa 15, war zu erfahren, sind nicht mehr am Leben.
Aber immerhin fanden sich in Lank jetzt 17 frühere Schulkameraden ein, wie das Gruppenfoto zeigt. Einige hatten ihre Partner mitgebracht, so dass beim Essen um die 30 Personen am Tisch saßen. Den weitesten Weg hatte Siegrid Kälin auf sich genommen. Sie wohnt mit ihrem Mann, einem Schweizer, im Kanton Zürich, arbeitete früher bei der Zürcher Handelskammer. „Ich habe sofort zugesagt“, berichtet sie strahlend. „Dieses Wiedersehen tut uns allen so gut.“Da kann Werner Winkes nur zustimmen. „Wir sind im Krieg geboren, mussten aber zum Glück keinen Krieg erleben“, sagt der ehemalige Lehrer aus Kaarst. Seine Frau Mali begleitet ihn. Mit ihrem Faible für Zahlen stellt die frühere Lehrerin ein Rechenexempel auf: „Ich habe herausgefunden, dass es die gesamte Klasse, NichtAnwesende eingeschlossen, auf insgesamt 2400 Lebensjahre gebracht hat. Eine gewaltige Spanne, die bis vor Christi Geburt zurückreicht.“
Einige Ehemalige hatten sich
zwischendurch gelegentlich getroffen und den Kontakt gehalten, so auch die Cousinen Monika Sturm aus Brauweiler und Marlies Domnisch aus Strümp. Jetzt sitzen sie einträchtig nebeneinander, flankiert von Herbert Becker. Der frühere Meerbuscher Ratsherr (CDU) schaut sich um und sagt: „Selbst wenn mir manche Gesichter nicht sofort vertraut waren, habe ich doch die jeweiligen Stimmen erkannt. Die verändern sich nicht.“Auch er hebt hervor, wie schön es sei, dass dieses Treffen zustande kam.
Beim Erzählen blättern sich ganze Lebensläufe auf. Und häufig, das blieb nicht aus, mussten Schicksalsschläge verkraftet werden. Ein Ehepaar verlor beim Absturz der German Wings-Maschine in Frankreich Tochter und Schwiegersohn und betreut die Enkelkinder. Ein Mann hat Parkinson, eine Frau muss jede Nacht an die Dialyse. „Und trotzdem strömen alle so viel Lebensfreude aus, bewundernswert“, sagt Stephanie Laux, die als Fachfrau und Beraterin im Mediengeschäft eine beachtliche Karriere machte.
Das gilt auch für die Klassenkameraden Rudolf Hilgers und Robert Poligowski. Beide verbrachten beträchtliche Teile ihres Berufslebens im Ausland. Rudolf Hilgers bildete
sich nach der kaufmännischen Lehre zum Diplom-Kaufmann fort. „Ich war in London, Brüssel und zwei Mal in Tokio, zuletzt neun Jahre lang“, berichtet er. Nach derart trubeligen Millionen-Metropolen ins beschauliche Lank zurückzukommen, sei nicht gerade leicht, aber dennoch schön gewesen, bestätigt er. Robert Poligowski leitete seine weltweite Karriere über den zweiten Bildungsweg ein. Als Ingenieur und Auditor in großen Unternehmen reiste er zwischen Südkorea, Indien und China hin und her. „Auditoren sind Leute, die bei Mitarbeitern nicht gern gesehen werden, weil sie alles
besser wissen“, sagt er lachend. „Die müssen alles optimieren, vom Einkauf bis zum Lieferanten.“Und wie war es dann, aus der großen weiten Welt nach Meerbusch heimzukehren? „Toll! Ganz toll! Die Wurzeln waren ja da und stark genug. Ich fand schnell wieder Anschluss, singe im Kirchenchor Hildegundis von Meer.“
Stephanie Laux berichtet nach dem Klassentreffen von feuchten Augen und hochemotionalen Momenten. Ihr altes Poesiealbum mit den Einträgen der Anwesenden wanderte von Hand zu Hand. Sie will auch einen kleinen Rapport erstellen
und verteilen. Fotos mit dem Smartphone dokumentierten den Nachmittag. Bis halb vier saß man angeregt beisammen. „Der Abschied vor der Tür zog sich hin“, sagt Stephanie Laux. Man trennte sich mit dem Vorsatz einer Neuauflage, jedes Jahr. Dafür kam ein ermutigendes Zitat aus einem Gedicht von Rainer Maria Rilke wie gerufen, verfasst im Jahr 1899: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.“Wer die muntere Schar in Lank erlebt hat, hat daran auch keine Zweifel.