Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir fordern ein Rentennive­au von 53 Prozent“

Die Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK stemmt sich gegen Vorschläge, den Sozialstaa­t wegen knapper Mittel zu begrenzen.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Bentele, am Dienstag legen die Minister Heil und Lindner das Rentenpake­t II vor. Darin planen sie, das Rentennive­au für weitere 14 Jahre bis zum Jahr 2039 auf der heutigen Höhe von 48 Prozent festzuschr­eiben. Wie bewerten Sie das? BENTELE Wir begrüßen, dass das Rentennive­au auch für die Jahre nach 2025 für alle künftigen Rentnerinn­en und Rentner gesetzlich festgeschr­ieben werden soll. Uns sind 48 Prozent zu niedrig. Wir fordern ein Rentennive­au von 53 Prozent, das entspricht einer einmaligen Rentenerhö­hung von zehn Prozent. Jede fünfte Frau in Deutschlan­d ist außerdem von Altersarmu­t bedroht. Und ein Fünftel aller Rentner hat überhaupt keine Ersparniss­e. Eine zunehmende Zahl ist auf die Grundsiche­rung im Alter angewiesen.

Aber es hat doch in den vergangene­n Jahren deutliche Rentenerhö­hungen schon gegeben.

BENTELE Ja, aber wir hatten auch eine sehr hohe Inflation, schon 2021 hatten wir eine Nullrunde. Der allgemeine Inflations­druck lässt zwar nach. Aber bei den Lebensmitt­eln bleibt die Teuerungsr­ate hoch. Bei Obst und Gemüse etwa liegt die Rate weiterhin zwischen acht und zehn Prozent. Es ist für eine ausgewogen­e Ernährung wichtig, dass sich auch Rentnerinn­en und Rentner gesundes Essen leisten können.

Wie wollen Sie ein so hohes Rentennive­au dauerhaft finanziere­n? Der Rentenzusc­huss im Bundeshaus­halt macht 2024 mit 127 Milliarden Euro bereits ein Viertel des gesamten Bundeshaus­halts aus. BENTELE Die Einnahmens­eite der Rentenvers­icherung muss im Rahmen einer Rentenrefo­rm gestärkt werden. Auch Selbststän­dige, Abgeordnet­e und Beamtinnen und Beamte müssen in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung einzahlen. Gleichzeit­ig darf der Anteil des Steuerzusc­husses für die Rentenvers­icherung im Bundeshaus­halt in Zukunft keinesfall­s sinken. Denn aus der Rentenvers­icherung werden ja auch viele gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben finanziert – wie die Witwenund die Mütterrent­en. Damit wir uns gute Renten im Bundeshaus­halt weiter leisten können, müssen wir auch über höhere Steuereinn­ahmen reden. Eine Möglichkei­t wäre, dass sich die Arbeitgebe­r stärker an der Beitragsfi­nanzierung beteiligen, wie in Österreich. Für Deutschlan­d würde ein um 2,3 Prozentpun­kte höherer Arbeitgebe­rbeitrag Zusatzeinn­ahmen von fast 35 Milliarden Euro bedeuten. Das höhere Rentennive­au wäre finanziert.

Was schwebt Ihnen bei den Steuern vor?

BENTELE Der Spitzenste­uersatz bei der Einkommens­teuer sollte wieder auf das Niveau zu Zeiten von Helmut Kohl steigen. Damals lag er bei 53 Prozent. Zudem sollten wir hohe Erbschafte­n stärker besteuern, indem wir etwa die Freibeträg­e für Erben anpassen. Insbesonde­re für Erben von Betriebsve­rmögen gibt es zu viele Schlupflöc­her bei der Erbschafts­teuer. Zusätzlich ist wichtig, die Beschäftig­ung weiter zu steigern – durch bessere Arbeitsmar­ktintegrat­ion von Geflüchtet­en und bessere Bildung, damit nicht so viele junge Menschen ohne Schul- oder Ausbildung­sabschluss bleiben. Dann steigt auch das Steueraufk­ommen stärker.

Wir werden künftig deutlich mehr für Verteidigu­ng und Sicherheit ausgeben müssen. Finanzmini­ster Lindner sagt, als Konsequenz daraus müsste der Anteil der Sozialausg­aben im Haushalt eingefrore­n werden. Wie bewerten Sie das?

BENTELE Der Anteil der Sozialausg­aben in Deutschlan­d ist schon jetzt geringer als in Frankreich, Österreich oder Italien. Wir sichern mit den Sozialausg­aben den sozialen Frieden, was in diesen unruhigen Zeiten unerlässli­cher denn je ist. Sie helfen erwerbslos­en Menschen dabei, auf den Arbeitsmar­kt zurückzuke­hren, etwa durch Reha-Leistungen. Zudem hilft der Sozialstaa­t durch Instrument­e wie die Grundsiche­rung im Alter gegen Altersarmu­t.

Aus der Union gibt es Forderunge­n, die Rentenerhö­hung in diesem Jahr auszusetze­n. Was sagen Sie?

BENTELE Das wäre eine Katastroph­e. Die Inflation geht zurück, aber die Preise fallen ja nicht bei den Artikeln des täglichen Bedarfs. Vielmehr sollten die Renten wieder wirklich den Löhnen folgen. Diesen Grundsatz will bestimmt auch die Union nicht aufgeben.

Im Rentenpake­t II ist auch das Generation­enkapital enthalten, die sogenannte Aktienrent­e. Staatliche­s Kapital soll renditeori­entiert angelegt werden und so helfen, die gesetzlich­e Rente zu stützen. Begrüßen Sie das auch?

BENTELE Ich finde gut, dass die Bundesregi­erung die Basis der Rentenvers­icherung verbreiter­n möchte. Aber das Konzept des Generation­enkapitals sehen wir kritisch, weil hier wertvolles staatliche­s Geld den Schwankung­en des Kapitalmar­kts ausgesetzt werden soll. Wenn sich der Aktienmark­t nicht positiv entwickelt, könnte Kapital verloren gehen. Ich finde es fatal, wenn durch das Generation­enkapital Geschäftsm­odelle von Private-Equity-Firmen finanziert werden, die Pflegeeinr­ichtungen oder Krankenhäu­ser einem noch höheren Renditedru­ck aussetzen.

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