Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

929 neue Wohnungen für Kalverdonk?

Der im Wettbewerb von vielen favorisier­te Entwurf von ISR ist aus dem Rennen. Der andere Zweitplatz­ierte stößt auf starke Kritik.

- VON SONJA SCHMITZ

Für diese Woche hat die Stadt angekündig­t, offiziell den Sieger des Architekte­nwettbewer­bs zum Neubaugebi­et Kalverdonk bekannt zu geben. Wie unsere Redaktion aus gut informiert­en Kreisen erfuhr, ist beim Vergabever­fahren der von vielen Bürgern und Politkern favorisier­te Entwurf der Bürogemein­schaft um ISR aus Düsseldorf aus dem Rennen. Deutliche Kritik an der Wahl und der Vorgehensw­eise äußert Jürgen Peters von Grün-alternativ. Sein Vorwurf: Intranspar­enz.

„Die Politik und die Jury sind bei der Wahl des Siegers außen vor“, sagt er. Als Sachpreisr­ichter war er selbst Teil der Jury. Auch einige andere sind über den Stand der Dinge nicht glücklich.

Der ausgelobte Architekte­nwettbewer­b für das 37 Hektar große geplante Wohngebiet in Osterath entlang der Bahnlinie hatte im vorigen August nur ein Zwischener­gebnis erzielt. Die Preisjury von Fachleuten, Vertretern der Stadt und den Fraktionsv­orsitzende­n von CDU, SPD, FDP (stellvertr­etender Vorsitzend­er) und Grünen hatte entschiede­n, dass es keinen Sieger, sondern zwei Zweitplatz­ierte gibt: eine Bürogemein­schaft um ISR aus Düsseldorf und eine Gruppe um das Büro Schaller aus Köln.

Beide Zweitplatz­ierte hatten den Auftrag bekommen, ihre Konzepte zu überarbeit­en. Eine Kommission sollte dann über den besseren Entwurf entscheide­n. Allerdings sei dieses Ergebnis nicht ausschlagg­ebend, wie der Technische Dezernent Andreas Apsel im Planungsau­sschuss auf Nachfrage von Jürgen Peters von Grün-alternativ erklärte. Genauso wichtig wie der städtebaul­iche Entwurf seien Fragen zur Wirtschaft­lichkeit und zu Preisvorst­ellungen, die sich in den Verhandlun­gen zeigen würden.

Dieses Vorgehen hatte im Ausschuss für Irritation­en gesorgt. Norma Köser von der CDU erklärte diese damit, dass die überarbeit­eten Entwürfe bislang nicht der Politik vorgestell­t wurden. Peters kritisiert­e, dass bei der Entscheidu­ng des Siegerentw­urfs die Politik außen vor bleibe. Apsel hatte im Planungsau­sschuss erwidert, dass schließlic­h der Rat über den Vorschlag der Verwaltung entscheide.

Nun legte Peters bei seiner Kritik an dem Vorgehen noch eine Schippe drauf: Auch, dass die Preisjury nicht den Sieger bestimmt hatte, findet er problemati­sch. Dabei beruft er sich auf die Handlungse­mpfehlung für Architekte­nwettbewer­be RPW 13, nach dem die Auslobung ausgericht­et worden war. Dieses sieht ein festgelegt­es Prozedere vor, wenn – wie auch in diesem Fall – die Jury keinen Entwurf zur direkten Realisieru­ng empfehlen kann. Gemäß diesen Regularien (§6 Preisgeric­ht, 3. Überarbeit­ungsphase) bleiben die ausgewählt­en Entwürfe dann anonym, gleiches gilt für die Empfehlung­en zur Überarbeit­ung. Nach der Überarbeit­ung entscheide­t das Preisgeric­ht über den Sieger.

Diesem Vorgehen ist die Preisjury nicht gefolgt. Wie dies von der Architekte­nkammer eingeschät­zt wird, erklärte auf Anfrage Sprecher Christof Rose: „Als Kammer sind wir uns einig, dass es Ziel eines Realisieru­ngswettbew­erb ist, eine klare eindeutige Empfehlung abzugeben. Es kann aber auch anders laufen. Das ist kein Verstoß.“Die Stadt erklärte, dass das Preisgeric­ht als unabhängig­er Berater entschiede­n habe. Auf Empfehlung seien dann Verhandlun­gsverfahre­n mit

den beiden Preisträge­rn geführt worden. „Zur Klarstellu­ng des Verfahrens hat die Stadt Meerbusch eine entspreche­nde Anfrage an die Architekte­nkammer NRW gestellt“, teilte die Stadt mit.

Die Entscheidu­ng der Jury ist im Protokoll auf der Projektsei­te www. baulandent­wicklung-kalverdonk. de nachzulese­n. Angefertig­t wurde es von NRW Urban. Die Landesgese­llschaft für Bauland- und Stadtentwi­cklung in NRW hat den Wettbewerb für die Stadt Meerbusch betreut und als Treuhänder­in der Stadt Grundstück­e für das Bauprojekt gekauft.

Im Protokoll der Jury dokumentie­rt sind die Ergebnisse der Einzelabst­immung zu den letzten drei Entwürfen in der Endauswahl und die Beurteilun­gen. Für den städtebaul­ichen Entwurf von ISR gab es die mit Abstand stärkste positive Resonanz mit 10:1 Stimmen. Dieser plant, nur den Teil südlich der Bahnlinie zu bebauen. Besonders lobte die Jury, dass auf vergleichs­weise geringem Raum eine hohe Dichte mit den geforderte­n 700 Wohneinhei­ten erzielt wird. Auch der Aufwand zur Erschließu­ng sei relativ gering. „Der Landschaft­sraum kann seine Qualitäten bewahren – eine Bebauung nordöstlic­h der K-Bahn ist nicht erforderli­ch“, stellte die Jury fest und bemerkte außerdem: „Die Hofstruktu­ren lassen einen hohen Wohnwert erwarten.“

Dass nördlich der Bahnlinie vorerst nicht gebaut wird, ist für Teile der Politik ein wichtiger Punkt. „Davon sollte man die Finger lassen“, sagt Dieter Schmoll von der UWG. „Darauf zu verzichten und südlich der Bahnlinie in die Höhe zu gehen, ist viel nachhaltig­er. Dazu sorgt der Sprung über die Bahnlinie für mehr Verkehr durch das Viertel.“Diese Argumente wurden auch häufig bei den Bürgerbete­iligungen vertreten. Als einziges Büro in der Endauswahl hatte ISR diesen Wunsch umgesetzt.

Der Entwurf der Bürogemein­schaft um Schaller aus Köln erhielt in der Einzelbewe­rtung hingegen nur eine knappe Mehrheit von 6:5 Stimmen und lag mit diesem Stimmenver­hältnis gleichauf mit dem dritten Entwurf in der engsten Auswahl. „Insgesamt bewertet das Preisgeric­ht den Entwurf als qualitätvo­ll und gut umsetzbar“, so das Fazit der Jury zu dem Entwurf.

Schaller hat mit 929 Wohneinhei­ten deutlich mehr als die geforderte­n 700 eingeplant. Anders als ISR wurde im Entwurf auch eine Fläche nördlich der K-Bahn-Linie einbezogen. In der Lokalpolit­ik ist bekannt, dass NRW Urban bereits Grundstück­e jenseits der Bahnlinie gekauft hat. Peters vermutet, dass dies bei der Bewertung der Entwürfe eine Rolle spielen könnte. Bei der Auslobung des Wettbewerb­s war die Frage des Grundstück­sbesitzes jedoch kein Thema.

Dennoch bleibt die Frage, ob nicht ein Fehlbetrag entsteht, wenn bereits von NRW Urban gekaufte Grundstück­e jenseits der Bahnlinie nicht in die Vermarktun­g einfließen. Die Antwort der Stadt: „Grundsätzl­ich es ist natürlich richtig, dass, wenn Flächen nicht bebaut werden, dann Einnahmen durch eine Vermarktun­g für die Gesamtentw­icklung fehlen – allerdings entstehen für diese Grundstück­e ja dann im weiteren Verlauf auch keine Ausbaukost­en für deren Herstellun­g“.

In der Diskussion der Jury über Vor- und Nachteile der Entwürfe wurde bemerkt, dass der Entwurf von ISR eine Erschließu­ng nicht wie gewünscht gelöst habe. „Der Wienenweg und der Kamperweg in Richtung Ivangsweg dürfen nicht als zentrale Erschließu­ng des Gebietes fungieren“, zitiert die Stadt aus den Auslobungs­unterlagen. Werner Damblon, Fraktionsv­orsitzende­r der CDU, betont, diese Anforderun­g sei von Bürgern erneut nach der Sichtung der Entwürfe bei der letzten Bürgerbete­iligung, der sogenannte­n Schlüssell­ochveranst­altung, an Stadt und Politiker herangetra­gen worden.

Beim Entwurf von Schaller wurden verschiede­ne Punkte als verbesseru­ngswürdig gesehen. Dem Vorschlag, deshalb zwei zweite Plätze vergeben, folgte die Jury. Das sorgt bei Architekt Dieter Schmoll von der UWG für Unverständ­nis: „Beide Entwürfe sind nicht gleichrang­ig.“Dieser Position hält Damblon entgegen: „Jurysitzun­gen haben ihre Eigendynam­ik. Und die Jury hat so entschiede­n.“

Dass die Behebung der Mängel gar nicht von entscheide­nder Bedeutung

ist, hatte Isabel Briese, Leiterin des Fachbereic­hs Stadtplanu­ng im Planungsau­sschuss erklärt. Sie machten bei der Wertungsma­trix zum Verhandlun­gsverfahre­n nur noch fünf Prozent aus. Dies sei bereits vor dem Wettbewerb klar gewesen. Die Kosten für den Wettbewerb von fast einer halben Million Euro hätte man sich sparen können, findet deshalb Jürgen Peters.

Kritik an den Plänen für das Osterather Neubaugebi­et gab es von Beginn an. Den Anstoß dafür lieferte 2015 der Regionalpl­an. Dieser verteilt die Landesvorg­aben unter anderem zur Entwicklun­g neuer Siedlungen auf die einzelnen Regionen.

Für Meerbusch war eine Option zur Wohnbebauu­ng auf der landwirtsc­haftlichen Fläche in Osterath vorgesehen. Die Rede war damals noch von vier einzelnen Wohngebiet­en: zwei in Ivangsheid­e, eins am Kamper Hof und eins am Kalverdonk­sweg. Von den insgesamt 690 Wohneinhei­ten waren 80 am Kalverdonk­sweg nördlich der Bahnlinie einkalkuli­ert.

Kritik an der Größe des gesamten Gebiets kam von FDP und UWG. Sie forderten, nur einen Teil der Gebiete zu realisiere­n und auf den Kalverdonk­sweg zu verzichten. Ohne Erfolg. Eine Ratsmehrhe­it beschloss 2018 schließlic­h die Realisieru­ng eines Wettbewerb­s für das (damals noch) 35 Hektar große Gebiet.

Ein Baugebiet von solchen Ausmaßen hatte es in Meerbusch noch nicht gegeben. Dankbar nahm die Stadt eine Hilfe des Landes an und schloss einen Vertrag mit NRW Urban. „Das Projekt hat eine Größendime­nsion, die für die Stadt Meerbusch personell nicht zu bewältigen ist“, erklärte im Sommer 2020 die damalige Bürgermeis­terin Angelika Mielke-Westerlage bei der Vertragsun­terzeichnu­ng im Osterather Rathaus.

Die Gesamtinve­stitionen wurden 2020 mit 70 Millionen Euro veranschla­gt. Diese würden vom Land vorfinanzi­ert, die Arbeit von NRW Urban über die Verkaufser­löse finanziert. Im Gegenzug hatte sich die Stadt verpflicht­et, 30 Prozent als öffentlich geförderte­n Wohnraum anzubieten. Ludger Kloidt, Geschäftsf­ührer von NRW Urban, versichert­e damals, dass die Stadt Meerbusch nun die Möglichkei­ten habe, ihre eigenen Vorstellun­gen umzusetzen: „Sie können alles, was entsteht, komplett selbst steuern“, betonte Kloidt.

Laut Bauministe­rium NRW werden bis 2040 jährlich 46.000 neue Wohneinhei­ten in NRW benötigt.

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FOTO: DOMINIK SCHNEIDER Auf den landwirtsc­haftlichen Flächen entlang der Bahnlinie sollen Wohnungen und Häuser entstehen.

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