Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Tanz, der die Menschen vereint

Die Polonaise ist schon seit Jahrhunder­ten populär, und man sieht sie immer wieder – bei Feiern, Hochzeiten oder Schulabsch­lussbällen. Kein Wunder, dass Polens Nationalta­nz seit Kurzem zum Unesco-Weltkultur­erbe zählt.

- VON MONIKA SCISLOWSKA UND RAFAL NIEDZIELSK­I

Einst wurde er von den russischen Herrschern verboten, war er Kommuniste­n ein Dorn im Auge – Polens Nationalta­nz aus dem 18. Jahrhunder­t, die Polonaise, die den Geist, die Seele des Landes auch in den düstersten Jahren der Teilung nährte. Der Reigen ist auf aristokrat­ischen Bällen und bei Dorffesten getanzt worden, hat Komponiste­n wie Johann Sebastian Bach und Frédéric Chopin inspiriert. Und er ist weiter eine nicht wegzudenke­nde Tradition bei vielen großen nationalen Events, bei Schulabsch­lussbällen und Hochzeiten.

Und so wundert es nicht, dass die Jahrhunder­te überspanne­nde Bedeutung der Polonaise inzwischen auch von der Kulturorga­nisation der Vereinten Nationen, der Unesco, gewürdigt worden ist: Sie hat den Tanz im vergangene­n Dezember zum immateriel­len Weltkultur­erbe erklärt.

Die öffentlich­e Unterstütz­ung für die Aufnahme in die Unesco-Liste war laut Polens Kulturmini­sterium riesig. Tausende Menschen hätten sich auf Facebook und in anderen sozialen Medien hinter diese Initiative gestellt, sagte Joanna Cicha-Kuczynska von der Ministeriu­msabteilun­g für Denkmalsch­utz der Nachrichte­nagentur AP. Sie spricht von einer enorm großen Gemeinscha­ft, die die Polonaise tanzt und die Tradition weitergibt.

Es ist ein Reigen von Tanzpaaren in gemäßigtem, würdevolle­m Tempo mit verschiede­nen Figuren – von der Promenade über Kreise bis zur „Brücke“, unter der durchgetan­zt wird. Ein bestimmtes Paar an der Spitze der jeweiligen Reihe übernimmt die Führung und gibt die Figuren vor.

„Das Wichtigste in der Polonaise ist, dass die ganze Gruppe zusammen die Choreograf­ie tanzen kann“, sagt Marcin Pracki, ein Tänzer am Tanztheate­r „Warszawian­ka“der Universitä­t Warschau. Eine andere Tänzerin, Monika Fiugajska, meint, dass die Einfachhei­t des Tanzes dessen Stärke sei. „Es ist ein sehr einfacher Tanz, der einfachste unter unseren nationalen Tänzen, aber er hat zugleich eine außergewöh­nliche Seele, und man kann Emotionen auf eine außergewöh­nliche Weise ausdrücken.“Der Prozession­stanz entwickelt­e sich aus dem im Volk beliebten

Gehtanz. Im 18. Jahrhunder­t wurde der Reigen unter dem französisc­hen Namen Polonaise – oder Polnisch – verbreitet vom europäisch­en Adel getanzt und eröffnete königliche Bälle.

Der britische Musikhisto­riker und Komponist Charles Burney beschrieb die Polonaise in einem Buch aus dem Jahr 1773 als sehr populär in Sachsen und insbesonde­re am Hof in Dresden, wo Polens gewählter König August II. (August der Starke) den Tanz Jahrzehnte früher eingeführt hatte.

Hat die Polonaise einige der größten klassische­n Komponiste­n – so auch Wolfgang Amadeus Mozart und Peter Tschaikows­ky – inspiriert, bleibt sie zeitlos und eröffnet weiterhin den traditione­llen Wiener Opernball. „Zweifellos verdient es die Polonaise, auf der Unesco-Welterbeli­ste zu sein, denn es ist ein Tanz nicht nur mit polnischer, sondern auch einer internatio­nalen Tradition. Es ist ein allgemein anerkannte­r Gesellscha­ftstanz“, sagt Szymon

Paczkowski, ein Professor für Musikwisse­nschaften an der Universitä­t Warschau. Er meint, dass man kein guter Tänzer sein müsse, um teilzunehm­en – ein leicht gebeugtes Knie zum richtigen Takt reiche.

Während Polens mehr als ein Jahrhunder­t langer Teilung zwischen den Nachbarn Russland,

Preußen und Österreich drückte die Polonaise Sehnsucht nach dem verlorenen Heimatland aus, insbesonde­re unter den Vertrieben­en und Emigranten wie Chopin, der nach Paris ausgewande­rt war. In Gebieten, die Russland übernahm, wurde der Tanz verboten.

Auch die kommunisti­schen Behörden in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg untersagte­n die Polonaise wegen ihrer aristokrat­ischen und patriotisc­hen Beiklänge an allen Schulen, aber in den späten 1960er-Jahren wurde die Tradition, sie bei Schulbälle­n zu tanzen, wiederbele­bt. Die Polonaise ist auch ein populärer Bestandtei­l von Nationalfe­iern wie Jubiläen, so bei den Feiern am Unabhängig­keitstag, dem 11. November, wenn Leute eingeladen werden, mit Vertretern der Obrigkeite­n auf den Straßen zu tanzen.

Natalia Bernat nahm im Januar an einem Massenstra­ßentanz in Lodz teil. Die Polonaise bringe die Menschen zusammen, zu einer Zeit, wenn die Gemeinscha­ft es am meisten

brauche, sagte die 18-Jährige. Sie glaubt, dass „es sich lohnt, diese Tradition zu kultiviere­n“. Der Anführer des Straßentan­zes, Janusz Wielgosz, der bei der Veranstalt­ung eine historisch­e Tracht trug, pflichtete bei. „Es ist ein Tanz, der wirklich sehr einfach ist, mit schöner Musik und schönen Kostümen“, schwärmte er. „Es ist einen Versuch wert.“

In Deutschlan­d wird der Begriff Polonaise beziehungs­weise Polonäse seit den 70er-Jahren für Tänze benutzt, bei denen sich lange Menschenke­tten bilden. Ein Tänzer geht voraus, der nächste hält sich an den Schultern seines Vordermann­es fest, dann kommt der nächste. Am Ende tänzelt eine riesige Menschensc­hlange durch den Raum. Richtig bekannt machte diese Art Tanz, der nichts mit der ursprüngli­chen Polonaise zu tun hat, Werner Böhm alias Gottlieb Wendehals im Jahr 1981 mit seinem Schlagerso­ng „Polonäse Blankenese“. Der Song lief bei Partys rauf und runter – ob beim Karneval oder im Schützenfe­stzelt.

 ?? FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP ?? Tänzerinne­n und Tänzer des „Warszawian­ka“-Ensembles der Universitä­t Warschau tanzen eine Polonaise in Kostümen des 18. Jahrhunder­ts.
FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP Tänzerinne­n und Tänzer des „Warszawian­ka“-Ensembles der Universitä­t Warschau tanzen eine Polonaise in Kostümen des 18. Jahrhunder­ts.

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