Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der König wird nicht müde
LeBron James ist nicht nur der erste Basketballer, der 40.000 Punkte erzielt hat – nach menschlichem Ermessen wird er auch der Einzige bleiben. Auch mit bald 40 denkt er noch nicht ans Aufhören. Michael Jordan bleibt dennoch unantastbar.
ANGELES Dirk Nowitzki wünscht sich nicht selten, er hätte ein oder besser noch zwei Jahre früher aufgehört. „Dann könnte ich mich wahrscheinlich besser bewegen und mit meinen Kids auch mal kicken“, sagte er vor einiger Zeit im Podcast von Felix und Toni Kroos. „Das geht jetzt überhaupt nicht mehr.“Mehr als zwei Jahrzehnte lang hatte Nowitzki auf Weltniveau gespielt, seine Knochen hingehalten in 1667 hochintensiven Partien voller Rangeleien gegen 100-KiloMänner in der NBA, 141 mit der Nationalmannschaft kamen noch dazu. Pausen gönnte er sich selten. Seit Ende 2019 ist Dirk Nowitzki in Rente, doch alle Knorpel sind geschädigt, ein Fuß und beide Knie hinüber. Trotz fast übermenschlicher Disziplin bei Training und Ernährung, Yoga, Massagen, und und und. Typisch Sportinvalide.
Für LeBron James jedoch, der am 30. Dezember das 40. Lebensjahr vollenden wird, gelten offensichtlich andere Maßstäbe: Auf dem Parkett wirkt er kaum anders als 2003 oder 2013. Jeden zweiten Abend spielt er erstaunliche 35 Minuten gegen muskelbepackte Mittzwanziger in der besten Liga der Welt – und wie.
Auf James‘ fortgeschrittenes Alter deutet nur seine hohe Stirn hin; seinen eigentlich ergrauenden Bart färbt er auch konsequent schwarz. Anders als für Routiniers üblich beschränkt er sich nicht auf Sprungwürfe aus der Distanz. „King“James geht dahin, wo es weh tut. Sucht das Dribbling gegen Gegner, die seine Söhne sein könnten – und von denen inzwischen nicht weniger als zehn tatsächlich die Söhne ehemaliger Mit- oder Gegenspieler sind.
James geht voran, verteilt Bälle, blockt seine Mitspieler frei – und rauscht, wenn es sein muss, noch immer so unnachahmlich zum Korb wie eh und je. Zum eleganten Korbleger oder krachenden Dunking – oder, um in der Defensive einen Wurf des Gegners wegzuschmettern wie ein Volleyballer.
Das ist so schlicht nicht vorgesehen. Es war niemandem zuzutrauen. Schon gar nicht LeBron James, dem hochtalentierten Wunderkind aus Akron, Ohio, den seine Mutter als 16-Jährige bekam und der seinen Vater nie kennenlernte. Die Prognose wurde nicht gerade besser, als sich der jugendliche James 2002 „Chosen One“quer über den Rücken tätowieren ließ, also: Der Auserwählte. Zuvor hatte ihn das altehrwürdige Magazin „Sports Illustrated“auf der Titelseite so geadelt.
Diesem in der Sportgeschichte wohl einzigartigen Druck aber hielt und hält er stetig stand. Bereits zur Hälfte seiner 21. Saison hat James mehr Punkte erzielt als die fünf anderen Spieler in jenem Jahr ihrer Karriere zusammen. Neulich erst gewann James eine Partie wortwörtlich im Alleingang: Im letzten Viertel des Derbys seiner L.A. Lakers erzielte er 19 Punkte – mehr als die gegnerischen Clippers zusammen. „Ich war in einer schreiben kann“, sagte er danach. „Ich wünschte, ich könnte dort für immer bleiben, aber natürlich endet sie mit dem Ende der Partie.“Es fühle sich an wie eine „Superkraft“.
In der Nacht auf Sonntag gelang James ein weiterer Meilenstein. Als Erster überhaupt durchbrach er die Marke von 40.000 erzielten Punkten. Kein anderer hat es je geschafft, weder Michael Jordan noch Kobe Bryant noch Dirk Nowitzki. Und mit ziemlicher Sicherheit wird der Rekord für die Ewigkeit stehen; so einzigartig ist James‘ Kombination aus Talent und Langlebigkeit, Athletik, Körperkraft und Spielintelligenz. Zitat James: „Ich habe das Gefühl, dass ich auf dem Spielfeld immer noch in der Lage bin, die Dinge zu tun, die ich vor zehn Jahren getan habe – und zumindest einige der Dinge, die ich vor 20 Jahren getan habe.“
Entsprechend imposant ist seine Bilanz: Acht Mal in Folge (!) und zehn Mal insgesamt hat er seine Mannschaft ins NBA-Finale geführt, immerhin vier Titel spranunter anderem 20 Wahlen ins AllStar-Team, vier Auszeichnungen als bester Spieler der Finalserie sowie vier weitere als bester Spieler der regulären Saison. Apropos: In Hauptrunden und Play-offs zusammen hat „King“James bislang in 1.758 Spielen 48.059 Punkte gesammelt, dazu 13.606 Rebounds und 12.878 Korbvorlagen. Hinzu kommen 2.727 Ballgewinne und
nerische Würfe. Der große Michael Jordan erreichte in 13 Jahren mit den Chicago Bulls sechs Finalteilnahmen und sechs Titel. Im direkten Vergleich ist er zwar der bessere Punktesammler – James aber ist eindeutig der komplettere und mannschaftsdienlichere Spieler. Seine Erfolge errang und erringt James in einer Zeit, in der der Sport weniger physisch, aber insgesamt auf höherem Niveau gespielt wird. Sporthistorisch bleibt Michael Jordan trotz alledem und seiner im Vergleich viel besseren Mitspieler unantastbar der „G.O.A.T“, der größte Basketballer aller Zeiten.
Dabei hat sich alle Welt stillschweigend darauf geeinigt, dessen spätes Comeback für die Washington Wizards im Alter von 38 bis 40 Jahren großzügig zu vergessen. Da wirkte er nämlich öfter mal einen Schritt oder zwei zu langsam. Menschlich eben. Ganz im Gegensatz zu LeBron James. Der spielt und spielt und spielt. Mal als Dirigent, mal als Distanzschütze, mal als Dampfwalze. Unnachahmlich.