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„Meinen Ärger kriegen die nicht“

Häme und Schadenfre­ude treffen in der Politik besonders oft Frauen. Wie gehen Spitzenpol­itikerinne­n mit Anfeindung­en um? SPD-Chefin Saskia Esken und Julia Klöckner (CDU) geben Antworten.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Wenn man ihre Namen im Internet sucht, dann kommen schnell folgende Begriffe dazu: Gewicht, Ehemann, Körpergröß­e, Kinder. Das Amt, die Parteizuge­hörigkeit oder Karrierest­ufe spielen teilweise erst später eine Rolle. Politikeri­nnen wie etwa Grünen-Chefin

Ricarda Lang oder ihre Parteifreu­ndin, Außenminis­terin Annalena Baerbock, werden in den sozialen Netzwerken besonders oft angefeinde­t.

Sexuelle Anspielung­en oder Drohungen, Spott über Äußerlichk­eiten,

Häme bis hin zu Gewaltfant­asien sind keine Seltenheit. Für die Frauen selbst, aber auch für ihre Familien und ihr jeweiliges Team ist das nur schwer zu ertragen. Manchmal wird es so schlimm, dass Politikeri­nnen die Präsenz in den sozialen Medien runterfahr­en oder ganz einstellen. Die Kommentarf­unktion soll nicht Oberhand über das persönlich­e Befinden gewinnen.

Auch die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken gehört dazu. Sie hat sich bereits vor einiger Zeit von der sozialen Medienplat­tform X, ehemals Twitter, verabschie­det. Die Debattenku­ltur war in eine Beleidigun­gsmaschine­rie abgeglitte­n – ohne Chance, einen Dialog auf Augenhöhe zu bewahren und Kritik zu diskutiere­n. „Es ist eine ungute Entwicklun­g der Debattenku­ltur,

egal ob auf der Straße oder im Netz, dass immer weniger in der Sache argumentie­rt wird. Stattdesse­n werden niedere Instinkte bedient, indem man oft zu hasserfüll­ten, schmähende­n Angriffen auf einzelne Personen greift“, sagt Esken unserer Redaktion.

Das richte sich vor allem gegen solche Personen, die eine erhöhte öffentlich­e Wahrnehmun­g haben. „Häme und Schadenfre­ude sind bedauerlic­herweise leicht zu aktivieren­de Emotionen, die dann dazu führen, dass Schmähkomm­entare im Netz viral gehen und auch im analogen Leben offene oder zumindest klammheiml­iche Zustimmung erhalten“, betont die SPD-Chefin: „Frauen, die sich sichtbar in die gesellscha­ftliche und politische Debatte einbringen, die Initiative ergreifen oder gar in führender Position Verantwort­ung übernehmen, trifft diese Unkultur im besonderen Maße.“Warum? „Weil sie in einer weiterhin männlich geprägten politische­n Landschaft mit ihrer Unerschroc­kenheit offenbar Verlustäng­ste auslösen.“Was also ist ihr Wunsch? „Noch mehr Mut machende Beispiele und gleichzeit­ig noch mehr Solidaritä­t unter Frauen sowie gegenseiti­ge Unterstütz­ung, damit mehr Frauen öffentlich­e Diskussion­en mit ihren Beiträgen bereichern“, sagt die 62-jährige SPD-Politikeri­n.

Das sieht ihre politische Konkurrent­in ähnlich, macht jedoch auch politische­s Lagerdenke­n dafür mitverantw­ortlich. Die wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin der Unionsfrak­tion, Julia Klöckner (CDU), sagt: „Wer in der ersten Reihe steht und nicht leise ist, wird angefeinde­t. Ob Mann, ob Frau. Handelt es sich um Frauen, die angefeinde­t werden, geht es zudem meist noch ums Äußere und um das, was man ihnen an den Hals wünscht.“Sie sieht dabei die Frauen

aus konservati­ven Parteien wie CDU und CSU besonders im Fokus, bei denen weibliche Politikeri­nnen noch etwas seltener sind als weiter links.

Klöckner erzählt: „Bei uns Politikeri­nnen spielt es aber auch noch eine Rolle, zu welcher Partei wir gehören. Ich erinnere mich daran: Als eine Ministerin der SPD, die für Verteidigu­ng zuständig war, inhaltlich kritisiert wurde, hieß es aus deren Reihen, das sei Sexismus und diskrimini­erend. Wenn aber Frauen anderer Parteien angegriffe­n werden, ist diese Sexismus-Verteidigu­ngslinie schnell wieder in der Schublade. Ich finde, Frauen müssen auch inhaltlich kritisiert werden dürfen, das ist kein Sexismus, das ist auch ein Stück Gleichbere­chtigung. Wenn es sachlich und inhaltlich ist.“

Sie selbst bekomme die meisten Anfeindung­en „aus der untersten Schublade“von Organisati­onen und Aktivisten links der Mitte. „Da gibt es dann mal Bildmontag­en mit einem Revolver an meinem Kopf oder unsittlich­e Vergleiche. Abgetan wird das gerne mit ‚Satire’“, erzählt Klöckner. Wie schützt sie sich selbst? „Meinen Ärger kriegen die nicht“, sagt die 51 Jahre alte Politikeri­n. Sie nehme es nicht persönlich, bei schweren Fällen „bringe ich es zur Anzeige, um ein klares Zeichen zu setzen und damit künftig auch andere Frauen zu schützen“, so die ehemalige Bundesmini­sterin.

Fachleute bezeichnen diese „Hatespeech“als eine Unterform digitaler Gewalt, die im Netz öffentlich­e, oft aggressive Abwertung, Beschimpfu­ng oder Bedrohung von Personen mit bestimmter Gruppenzug­ehörigkeit, eben zum Beispiel Frauen, beinhaltet.

Studien zur besonderen Gefährdung­slage von Politikeri­nnen gibt es allerdings bisher kaum. Ein Gesetz gegen digitale Gewalt ist in Vorbereitu­ng. Ob bis dahin alle Politikeri­nnen durchhalte­n, ist allerdings offen.

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FOTOS: IMAGO Saskia Esken, Vorsitzend­e der SPD (l.), und CDU-Politikeri­n Julia Klöckner.

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