Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Dankbar für ein reiches Bühnenleben
Seit 1996 gehört die Altistin Renée Morloc zum Ensemble der Rheinoper. Ihre Abschiedsrolle sieht sie als schicksalhafte Fügung.
Mit der Partie der Priorin in „Dialogues des Carmélites“nimmt Renée Morloc ihren Abschied von der Rheinoper – nach 28 Jahren und, wie man nachgezählt hat, 636 Vorstellungen. Zwar singt die Altistin nach den verbleibenden Aufführungen des Klosterdramas von Francis Poulenc noch einige Male die Lucia in „Cavalleria Rusticana“, bevor am 25. Mai für sie der letzte Vorhang fällt. „Auch eine tolle Rolle“, sagt sie, „aber die Priorin hat für mich die größere Bedeutung. Mit ihr schließt sich ein Kreis, sie war auch meine Abschlusspartie am Mozarteum in Salzburg. Diese schicksalhafte Fügung macht mich sehr glücklich.“
Morloc erinnert sich noch genau an damals. „Man fragte mich, ob ich Lust auf diese Rolle hätte, für die ich eigentlich noch zu jung war. Und ob ich die hatte!“Auf solche Charaktere habe sie immer Lust gehabt, über ihre ganze lange Karriere. „Und niemals auf eine Dorabella und ähnlich heitere Rollen, die hätten mich geschreddert“, kommentiert sie und lacht: „Mir waren die komplizierten Rollen immer viel näher.“
Was aber macht die Priorin für sie so bedeutsam? „Sie durchläuft während ihres Klosterlebens eine Transzendenz und fragt sich, was sie an ihre Novizinnen weitergeben kann“, antwortet die Sängerin: „Bei Blanche spürt sie einen Widerstand, das findet sie interessant, hier kann sie sich öffnen. Das versteht man, auch wenn man nicht gläubig ist. Der Stoff hat etwas Allgemeingültiges, er beschreibt, wie Menschen in Ausnahmesituationen miteinander umgehen und wie sie Traumata verarbeiten.“
Die Priorin muss ein erbärmliches Siechtum aushalten. Sie beschönigt nichts an ihrer Krankheit. „Ihr Sterben ist öffentlich“, erklärt Morloc: „Weil sie ohne Trost daliegt in ihrem Schmerz, klagt sie Gott an.“Obwohl sie die Partie kennt und perfekt Französisch spricht, beschäftigte sie diese Wiederaufnahme schon seit Monaten. „Ich möchte alles verinnerlichen und meine Person mit einflechten“, sagt sie, „mich zu distanzieren, wäre undenkbar.“Eine Verschmelzung also? „Ja, das muss ich, um das Weiche und Verletzliche dieser Figuren zeigen zu können. Ich bleibe ganz bei mir in dieser Rolle
und bin froh, wenn mir nicht so viel dazwischenfunkt. Dann kann ich in Ruhe meinen rituellen Abschied vollziehen.“
Wie mag es danach weitergehen? „Ich weiß es nicht“, sagt Morloc, dankbar für ihr reiches Opernleben, nicht nur in Düsseldorf. Für ihre Professur an der Musikhochschule Stuttgart über lange Jahre. Dort habe sie als Altistin fast nur Sopranistinnen unterrichtet. „Schade, mein Stimmfach war weniger gefragt. Deshalb musste ich mich gründlicher vorbereiten. Aber aus allen ist etwas geworden.“Dankbar ist sie auch für die Meisterklassen, die sie in aller Welt gegeben hat, von Tokio bis Caracas.
Eigentlich, blickt sie zurück, seien an den entscheidenden Gabelungen immer die richtigen Menschen auf
sie zugekommen. Und nie habe sie sich mit ihren Wünschen in den Vordergrund drängen müssen. Auch nicht an der Rheinoper, ihrer künstlerischen Heimat seit 1996: „Düsseldorf kam mir sehr entgegen, ich durfte immer Rollen singen, die mich interessierten, darauf war Verlass.“Auch erlaubte man ihr zahlreiche Gastspielauftritte, etwa in Salzburg oder an der Mailänder Scala. „Danach kam ich immer wieder gern nach Hause“, erzählt sie: „Das hat mich gefreut. Wenn einem die Kollegen vertraut sind, ist die Zusammenarbeit noch schöner.“
Dass sie bei den Proben auch mal eigenwillig reagierte, hätten die meisten Regisseure mitgetragen: „Ich konnte mich schon einordnen, wollte aber gern diskutieren und Anweisungen verstehen. Gewinnen
musste ich dabei nicht, mir ging es ums Weiterkommen.“Mit ihrem exotischen Rollenprofil habe sie sich mehr erlauben können als andere Kolleginnen, sagt Morloc. Sie vermutet aber, dass sie manchen Regisseuren wohl auch zu anstrengend war: „Dabei bin ich doch diejenige, die einen Charakter glaubhaft darstellen musste, das konnte ich nicht ausblenden.“
Die Vorstellung, dass es das Düsseldorfer Opernhaus bald nicht mehr gibt, tut ihr weh. „Ich liebe seinen 50er-Jahre-Charme. Deshalb nehme ich es einfach so mit, wie es ist, und baue eine Mauer darum“, hat sie beschlossen: „Vielleicht wage ich mich später mal in den Neubau hinein und spioniere ein bisschen.“
Längst hat Morloc eine zweite Passion für sich entdeckt – das
Schreiben und das Filmen. Daran will sie nun anknüpfen. Ein Buch über die Spurensuche nach ihrer Herkunft ist fertig und steht kurz vor der Veröffentlichung. War die Suche erfolgreich? „Ja. Nach vielen Jahren habe ich meine Mutter gefunden.“Aufgewachsen ist die Künstlerin in Mutlangen auf der Schwäbischen Alb. Nie wohnte sie in Düsseldorf, zog stattdessen die Anonymität der Pfalz vor, umgeben von Weinbergen. Morloc hat ein Faible für mystische Landschaften.
Einer ihrer Lieblingsplätze ist Schloss Hohenstadt in Baden-Württemberg, wo Friedrich Schillers Vater, was kaum einer weiß, als Landschaftsgärtner einen wunderbaren Pomeranzengarten angelegt hat. „Dort ließ ich meine Rollen in mich hineinfließen“, sagt sie.