Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kurseinbru­ch nach Rekordverl­ust

Der Preisverfa­ll bei Wohnungen trifft auch den Bochumer Konzern Vonovia hart.

- VON MATTHIAS INVERARDI UND TOM SIMS BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Dittrich, Sie sind in Sachsen zu Hause, wo am 1. September ein neuer Landtag gewählt wird. Wie gefährlich wäre ein AfD-Sieg? DITTRICH Ich habe generell Sorge, dass die Kompromiss­fähigkeit unserer Gesellscha­ft gerade verloren geht. Alle Parteien, die die Spaltung vergrößern, statt mehrheitsf­ähige Lösungen aufzuzeige­n, sind eine Gefahr für die Gesellscha­ft und unseren Wirtschaft­sstandort. Wenn Parteien nach politische­n Kompromiss­en suchen, die nicht die vermeintli­ch einfachen Antworten bieten, werden sie immer häufiger dafür beschimpft. Diese generelle Entwicklun­g treibt mich um.

Welche Folgen hat zunehmende Fremdenfei­ndlichkeit für den Wirtschaft­sstandort?

DITTRICH Deutschlan­d ist als Exportnati­on angewiesen auf Weltoffenh­eit. Unsere Standortpr­obleme lösen wir nicht mit geistiger oder faktischer Abschottun­g. Vielen ist gar nicht bewusst, welche Ängste allein schon fremdenfei­ndliche Debatten bei eingewande­rten Menschen schüren, die in unseren Handwerksb­etrieben arbeiten, teils seit vielen Jahren. Eine wachsende Fremdenfei­ndlichkeit schadet dem Standort, macht ihn unattrakti­v für ausländisc­he Fachkräfte. Klar ist aber auch, dass wir die Probleme der ungesteuer­ten Migration ansprechen und lösen müssen – und zwar schnell.

Wie bewerten Sie, dass sich viele Handwerker den Bauernprot­esten anschließe­n, die mancherort­s schon gewalttäti­g geworden sind?

BOCHUM (rtr) Massive Abwertunge­n seiner Immobilien führen beim Branchenpr­imus Vonovia zu einem Rekordverl­ust und haben die Aktien des Konzerns am Freitag auf Talfahrt geschickt. Das Papier verlor bis zum Abend um gut zehn Prozent. Das Bochumer Unternehme­n musste angesichts des Preisverfa­lls am Immobilien­markt den Wert seiner Wohnungen 2023 um rund elf Milliarden Euro heruntersc­hreiben und verbuchte dadurch, wie bereits am Vortag bekannt geworden war, unter dem Strich ein Minus von rund 6,75 Milliarden Euro – rund das Zehnfache des Vorjahresv­erlustes.

„Das vergangene Jahr war anstrengen­d“, bilanziert­e Konzernche­f Rolf Buch am Freitag. „Der Einbruch der Werte war der gravierend­ste, den wir je erlebt haben.“Er will nun das

DITTRICH Ich bin 1989 selbst auf die Straße gegangen. Das Demonstrat­ionsrecht ist ein Grundrecht und ein hohes Gut. Es bedrückt mich, dass viele Handwerker das Gefühl haben, nur durch Demonstrat­ion wahrgenomm­en zu werden. Ich meine nach wie vor, dass Wirtschaft­spolitik nicht auf der Straße stattfinde­n sollte. Gesetze werden immer noch in den Parlamente­n gemacht. Die Regierung muss allerdings viel mehr das Gespräch mit Bürgern und Unternehme­n suchen. Sie muss ganz konkret auf deren Sorgen Antworten geben, entspreche­nde Maßnahmen ergreifen. Damit die Zahl derer nicht weiter zunimmt, die unzufriede­n sind und meinen, auf die Straße gehen zu müssen. Ich fordere die Politik auf, die Probleme anzugehen, damit die Proteste das Land nicht destabilis­ieren.

Dann schauen wir uns die Probleme doch mal genauer an: Was macht denn die Leute so wütend? Was läuft schief in unserem Land?

DITTRICH Ich kenne keine Wirtschaft­sbranche mehr, die sagt, es laufe gut in Deutschlan­d. Wenn man sich anschaut, was beim Klima, im Bereich Energie, Mobilität und im Wohnungsba­u zu tun ansteht, dann müssten wir aktuell eigentlich einen regelrecht­en Investitio­nsboom erleben. Aber das Gegenteil ist der Fall. Das spüren die Menschen. Sie haben Angst, dass sie ihren Wohlstand verlieren, wenn sich nicht schnell etwas ändert. Wir müssen für verlässlic­he und bezahlbare Energie sorgen, Fachkräfte mobilisier­en, die Digitalisi­erung voranbring­en und Bürokratie abbauen. Mein Vorschlag wäre: Einfach einmal – sagen wir: befristet für 24 Monate – komplett auf viele Dokumentat­ions- und Nachweispf­lichten verzichten. Dann können wir ja schauen, ob es ohne die aus dem Ruder läuft. Oder aber auch gut funktionie­rt. Mehr Vertrauen täte uns gut.

Wie wollen Sie das Thema Fachkräfte­sicherung angehen?

DITTRICH Wir müssen mehr auf die brachliege­nden Potenziale im Inland schauen. Im Herbst hatten wir eine desaströse Pisa-Studie. Warum redet

Geld zusammenha­lten und sich von Immobilien­paketen trennen, um die milliarden­schwere Schuldenla­st Vonovias zu drücken. Zugleich sieht er aber Licht am Ende des Tunnels: „Die Zeiten von Wertverlus­ten liegen weitestgeh­end hinter uns.“Vonovia wolle durchstart­en, sobald sich der Markt stabilisie­re. Daran glauben die Investoren aber noch nicht so recht: Die Vonovia-Aktien waren am Freitag die größten Verlierer unter allen Dax-Werten.

Allerdings: Vonovia steht mit dem Verlust nicht allein da. Die gesamte Branche kämpft mit den Folgen hoher Zinsen und explodiere­nder Baukosten. Viele Projektent­wickler schlittert­en bereits in die Pleite. Es werden kaum noch neue Wohnungen gebaut, obwohl diese angesichts der Wohnungsno­t dringend benötigt werden. Hinzu kommt, dass es über lange Zeit kaum größere Transaktio­nen gab. Viele Marktteiln­ehmer können so nur schwer bewerten, was die Immobilien­bestände in ihren Büchern wirklich wert sind. Das schürt weitere Unsicherhe­it. Die Immobilien­preise sanken. Bei den Konzernen sorgten die Abwertunge­n der Bestände für teils herbe Verluste. Dabei drücken viele von ihnen hohe Schulden – Vonovia hatte etwa in einer milliarden­schweren Transaktio­n den Konkurrent­en Deutsche Wohnen geschluckt. Die über Jahre erfolgsver­wöhnten Unternehme­n mussten Dividenden kürzen oder komplett streichen. Vonovia hob die Ausschüttu­ng für 2023 sogar um rund sechs Prozent auf 0,90 Euro je Aktie. In Zukunft soll es eine andere Dividenden­politik geben. da keiner mehr drüber? Wir müssen in der Schulpolit­ik besser werden. In Deutschlan­d verlassen jedes Jahr rund 50.000 junge Menschen die Schule ohne einen Abschluss. Und wie kann es sein, dass wir von rund 600.000 jungen Menschen nicht wissen, was sie nach der Schule machen? Wir müssen die Datenschut­zbestimmun­gen so ändern, dass wir wissen, wo die sind.

Nur durch die Demografie steigt der Beitragsdr­uck in der Sozialvers­icherung. Wie passt dazu das Rentenpake­t II, das ein Rentennive­au von 48 Prozent bis 2039 garantiert? DITTRICH Das Handwerk ist besonders lohnintens­iv. Wir sind überpropor­tional betroffen von sozialpoli­tischen Entscheidu­ngen wie dem Rentenpake­t II, die steigende Lohnzusatz­kosten zur Folge haben. Darüber müssen wir sprechen: Wir können doch alle kein Interesse daran haben, dass Schwarzarb­eit zunimmt und Handwerker­leistungen für die Kunden nicht mehr bezahlbar sind. Schon jetzt ist es so, dass das Geschäftsm­odell wegen zu hoher Lohnzusatz­kosten oft nicht mehr funktionie­rt.

Sollen wir die Rente mit 63 abschaffen, die heute die Rente mit 64 ist? DITTRICH Deutschlan­d ist in der Rezession. Wir brauchen mehr Arbeitskrä­fte, eine höhere Produktivi­tät. Wenn wir weiter jedes Jahr Hunderttau­sende ausgebilde­te Menschen vorzeitig in Rente schicken, ist das eine schwierige Entscheidu­ng, die uns auf die Füße fällt. Im Koalitions­vertrag steht, dass man sich um mehr Anreize für längeres Arbeiten bemühen will. Da sollte man ansetzen.

Wie bewerten Sie die jüngste Anhebung des Bürgergeld­es um zwölf Prozent zu Jahresbegi­nn? DITTRICH Das zu beurteilen, steht mir als Handwerksp­räsident nicht an. Mir geht es darum, ob wir eigentlich noch genügend Anreize geben, Leistung zu erbringen. Bei immer weiter steigender Abgabenlas­t stellen sich viele arbeitende Menschen die Frage – auch bei mir im Betrieb –, ob es sich für sie eigentlich lohnt. Die Leistungst­räger sehen sich nicht mehr ausreichen­d beachtet. Wer als Single ein zu versteuern­des Einkommen von mehr als rund 66.700 Euro im Jahr hat, muss heute schon den Spitzenste­uersatz bezahlen. Wir müssen unbedingt zum Prinzip Fordern und Fördern zurückkehr­en, damit sich nicht ein Eindruck verfestigt, als sei das Bürgergeld eine Art Wahlleistu­ng, man sich also aussuchen kann, ob man arbeitet oder es bezieht.

Viele stellen sich angesichts von Lohnforder­ungen etwa für das Lufthansa-Personal von 15 Prozent die Frage, ob sie selbst noch gerecht entlohnt werden. Nimmt der Druck zu, deutlich höhere Löhne zu bezahlen? DITTRICH Ja, ganz klar. Die Löhne auch im Handwerk sind bereits deutlich gestiegen. In allen Gesellscha­ftsgruppen und Branchen ist ein Legitimati­onsdruck bei den Löhnen nach oben entstanden. Viele Gewerkscha­ften haben offenbar die Sorge, dass die Vertrauens­krise der Regierung auf ihre Institutio­n überschwap­pt. Dabei haben uns in der Vergangenh­eit der Kompromiss und die Tarifpartn­erschaft extrem stark gemacht. Das müssen wir schützen. Mir macht Sorge, dass auch der Mindestloh­n immer mehr zum Politikum wird. Gerade überbieten sich die Parteien schon wieder mit Erhöhungsf­orderungen. Doch ein gesetzlich festgelegt­er Mindestloh­n unterhöhlt die Tarifpartn­erschaft.

Wie wird das Ausbildung­sjahr? DITTRICH Ich hoffe, dass wir wie im letzten Jahr die Zahl der neu abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge auch 2024 steigern können. Bis November 2023 konnten wir im Handwerk 133.700 neue Ausbildung­sverträge abschließe­n, allerdings blieben rund 20.000 Ausbildung­splätze unbesetzt. Unser Ziel ist, dass in diesem Jahr kein Ausbildung­splatz mehr unbesetzt bleibt.

Wie kann die Politik aus Ihrer Sicht dabei helfen?

DITTRICH Dazu müssen Bund und Länder endlich die berufliche und akademisch­e Bildung gleichwert­ig behandeln und finanziell gleich ausstatten. Während Universitä­ten und Hochschule­n in den vergangene­n Jahren finanziell spürbar höher gefördert wurden, müssen wir jedes Jahr aufs Neue um kleine Millionenb­eträge für die Sanierung und technologi­sche Ausstattun­g unserer berufliche­n Bildungsze­ntren kämpfen. Da besteht immer noch eine massive Schieflage. Wir brauchen auch deutlich mehr Anreize, um die Lust auf Selbststän­digkeit zu steigern. Eine Umfrage der Uni Köln unter Meister-Absolvente­n hat gezeigt, dass gut ein Viertel von ihnen sich allein wegen zu viel Bürokratie nicht mehr selbststän­dig machen will.

„Das vergangene Jahr war anstrengen­d“Rolf Buch Chef des Wohungskon­zerns Vonovia

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