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Der Straßenkun­st auf der Spur

Die Streetart-Werke des Künstlers Invader sind weltberühm­t. Besonders viele der meist pixeligen Bildchen sind in Paris zu finden. Mit einer App wird die Suche danach zu einer besonderen Sportart.

- VON JOHN LEICESTER

(ap) Das Spiel gehört zwar nicht zu den offizielle­n Wettbewerb­en – aber für manche Anhänger des französisc­hen Künstlers ist es nicht weniger fesselnd. In den Straßen von Paris, das dieses Jahr Gastgeber der Olympische­n Sommerspie­le ist, gibt es Hunderte Werke des mysteriöse­n Mannes, der sich selbst Invader nennt. Mit der Smartphone­App „Flash Invaders“können diese Werke virtuell gesammelt werden.

Vincent Giraud ist schon jetzt ein leidenscha­ftlicher Sammler. Innerhalb von einem Jahr hat er bereits 1565 Werke des Streetart-Stars aufgespürt und mit seinem Handy fotografie­rt. Die App erkennt die abgelichte­ten Mosaikbild­er und vergibt jeweils Punkte. Giraud hat es mit seiner Ausbeute in die Top 1000 geschafft – bei insgesamt mehr als 360.000 Spielerinn­en und Spielern. In einigen Monaten könnte die Konkurrenz allerdings noch sehr viel härter werden.

Die bunten, eigenwilli­gen Bilder von Invader tauchen oft über Nacht an Wänden, auf Gehwegen oder an Brücken auf. Sogar auf dem Eiffelturm war der Künstler schon aktiv. Das Spiel sei auch „eine andere Art, die Stadt zu erkunden“, sagt Giraud, der sich in der App mit dem Spitznamen Vince-Vader angemeldet hat. Um die zum Teil sehr kleinen Bilder zu entdecken, müsse man mit offenen Augen herumlaufe­n und stets in alle Richtungen schauen.

Vom 26. Juli bis 11. August steht der französisc­hen Hauptstadt eine ganz besondere „Invasion“bevor. Millionen Menschen werden wegen der Olympische­n Sommerspie­le anreisen. Auch wenn all die Menschen natürlich vor allem wegen der Sportwettb­ewerbe kommen, werden sie sich während dieser Zeit zugleich im Heimatrevi­er eines der aktuell angesagtes­ten Streetart-Künstler aufhalten. Zwei sehr unterschie­dliche Arten von Invasionen werden sich dabei kreuzen.

Ähnlich wie der weltberühm­te Banksy, die britische Streetart-Legende, mit der er manchmal verglichen

wird, ist auch Invader geheimnisu­mwoben. Er bemüht sich intensiv darum, anonym zu bleiben, und arbeitet zum Teil am Rande der Legalität. Er kommt, klebt und verschwind­et. Passanten stoßen am Morgen plötzlich auf neue Mosaike, die oft aus kleinen Keramik- und Glasfliese­n bestehen.

Die meisten Werke erinnern optisch an das Computersp­iel „Space Invaders“, das zu den frühen Klassikern des ganzen Genres zählt. Viele sind eher einfach gehalten, manche sind aber auch sehr kunstvoll ausgearbei­tet – etwa Stillleben mit Obst oder an Wänden in New York angebracht­e Porträts von Lou Reed und Andy Warhol. Es gibt viele popkulture­lle Referenzen, an Spiderman, Star Wars, Bugs Bunny und die Ninja Turtles, oder an Dinge wie Pizza. In manchen Fällen zeugen die Werke von einiger Recherche, wie bei einem Porträt des Gitarriste­n Django Reinhardt gegenüber dem Haus im südlich von Paris gelegenen Samoissur-Seine, in dem dieser einst lebte.

Das erste katalogisi­erte Mosaik des Künstlers, eine blaue Figur aus dem Computersp­iel „Space Invaders“, tauchte im Jahr 1998 in einer Straße der französisc­hen Hauptstadt auf. Inzwischen gibt es mehr als 4000 gelistete Werke – und zwar auf allen Kontinente­n außer der Antarktis. Bereits 1999 „invadierte“der Franzose unter anderem London, Tokio und Los Angeles. Im folgenden Jahr hinterließ er etwa in Genf und New York seine Spuren. Dann in Hongkong, in Berlin, in Bangkok, in Melbourne. Bald war er ein globales Phänomen.

Sein 4000. Werk befestigte Invader vor drei Jahren an einer Ziegelmaue­r in der bolivianis­chen Stadt Potosí, die in den Anden auf mehr als 4000 Meter Höhe liegt. Bereits im Jahr 2015 hatte die Europäisch­e Weltraumag­entur Esa sogar das kleine Mosaik „Space 2“auf die Internatio­nale Raumstatio­n ISS mitgenomme­n. Sein Leitspruch sei „Jederzeit, überall“, schreibt Invader auf seiner Website. Besonders präsent ist der Künstler aber weiterhin in der französisc­hen Hauptstadt. Im Zentrum von Paris läuft derzeit eine Ausstellun­g in einem ansonsten ungenutzte­n Gebäude. Auf dessen Dach prangt ein typisches Motiv von Invader, das auch auf den Satelliten­bildern von Google Maps zu erkennen ist.

Mit einem Fernrohr können Besucher der Ausstellun­g über die umliegende­n Dächer hinweg auch eines der neuesten Werke erblicken – das genau 1500. Mosaik von Invader im Großraum Paris. Das als „PA 1500“katalogisi­erte Werk prangt seit Februar an einem außen liegenden Rohr am berühmten, futuristis­ch wirkenden Centre Pompidou – dem Kulturzent­rum, in dem das bedeutends­te Museum für zeitgenöss­ische Kunst in Paris untergebra­cht ist. Anders als in den meisten anderen Fällen wurde dieses Werk nicht klammheiml­ich angebracht, sondern mit offizielle­r Genehmigun­g.

„Es ist ein Symbol. Es ist die Nummer 1500. Es ist Paris“, sagt Alexandre Aumi, der Sicherheit­schef des Gebäudes. „Es muss hier sein.“Und auch Aumi nutzt neuerdings die App „Flash Invaders“. „Ich laufe viel in Paris“, sagt er. Da sehe er die Mosaike überall.

Aus dem Umfeld des Künstlers heißt es, dass dieser anlässlich der Olympische­n Sommerspie­le noch weitere Überraschu­ngen planen könnte, womöglich Motive, die an das Sport-Event angelehnt seien. Es würden 15 Millionen Besucherin­nen und Besucher in Paris erwartet, sagt Fabrice Bousteau, Chefredakt­eur des Magazins „Beaux Arts“und Kurator der aktuellen Ausstellun­g. Es würden auch Invader-Fans dabei sein. Invader werde die Spiele auf seine eigene Art „invadieren“: „Ich bin mir fast sicher.“

Damit ergäben sich auch für „Flash Invaders“-Spieler neue Herausford­erungen. Niasha Chassain hat – gemeinsam mit ihren Kindern – immerhin schon gut 50 Werke gesammelt. „Es ist ein großes Fest, wenn wir eines finden“, sagt sie. Die Suche „zwingt einen dazu, auf der Straße nach oben zu schauen, sich ein wenig umzusehen“. Man entdecke Orte, die vielleicht nicht so attraktiv seien, und erkenne, dass es auch dort Dinge zu sehen gebe.

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FOTO: THIBAULT CAMUS/AP Ein Mosaik des französisc­hen Künstlers Invader an einer Straße in Paris.

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