Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir haben das Böse an sich erlebt“

Im Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde berichtete­n Rotem Katz und Nadav Tzabari über den Terror der Hamas im Kibbuz Nahal Oz am 7. Oktober. Es war ein Blick in die Abgründe menschlich­er Existenz.

- VON JÖRG JANSSEN

Fast ein halbes Jahr liegt jener Tag zurück, der in nur wenigen Stunden das Leben und das Lebensgefü­hl eines ganzen Volkes für immer verändert hat. Ein Tag im Oktober, dessen Datum sich wie der 11. September in das kollektive WeltGedäch­tnis einbrennen wird. Ein Tag des Terrors, an dem die Hamas Menschen in Israel systematis­ch tötete, quälte, vergewalti­gte und demütigte. Zwei Männer, die diesen 7. Oktober an einem Brennpunkt nur knapp überlebten, besuchen zurzeit Düsseldorf. Im Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde berichtete­n Rotem Katz und Nadav Tzabari vor rund 200 Zuhörern über ihr Kibbuz Nahal Oz und über den Tag, der sie niemehr loslassen wird. Dort, nur 700 Meter entfernt vom Gaza-Streifen, hatten sich die beiden ihr Zuhause aufgebaut. „Unser erstes Haus als Paar“, sagt Tzabari und zeigt mit Hilfe eines Projektors ein paar Bilder des Domizils inmitten von Feldern. Zu sehen ist ein gemütliche­s Heim, ein Sonnenunte­rgang hinterm Garten, ein Hund, Freunde und Familienmi­tglieder, die fröhlich miteinande­r einen Geburtstag feiern. Eine Heiterkeit und ein Miteinande­r, die ansteckend wirken. Auch im LeoBaeck-Saal bringt das zu Beginn den ein oder anderen kurz zum Lachen.

Doch der Bruch in der Stimmung im Saal ist sofort spürbar, als sich die beiden Israelis in ihrer Erzählung dem Geschehen nähern, das am Morgen des 7. Oktobers um 6.29 Uhr einsetzte. Bis in die Nacht hinein hatten die Männer, wie die meisten ihrer rund 450 Mitbewohne­r, gesungen und getanzt. Denn am 7. Oktober sollte eigentlich der 70. Geburtstag des Kibbuzes gefeiert werden. „Es sollte die ganz große Party werden“, sagt Katz, dessen Familie Wurzeln in Deutschlan­d hat. „Doch es wurde der schlimmste Tag in unserem Leben“, fügt er an. Es dauerte eine Zeit, bis er und sein Partner überhaupt verstanden hatten, was dort passierte. Katz war kurz zuvor zum „Community Manager“bei Notfällen ernannt worden. Immer wieder hatte es Alarmsitua­tionen gegeben. „Es gab ab und an Palästinen­ser-Protest, es gab Bombenalar­me und wir wussten natürlich, dass es hier Gewalt geben kann, aber am Ende war alls das irgendwie auch zur Routine geworden“, berichtet der 32-Jährige. Nahal Oz, das sei für ihn und Tzabari zu 95 Prozent Himmel und nur zu fünf Prozent Hölle gewesen. „Aber wir konnten damit umgehen.“Und so dachte er auch um 7 Uhr herum noch an jene Zwischenfä­lle, die immer wieder einmal vorkamen.

Doch er täuschte sich wie alle anderem im Kibbuz. Erst im Laufe des Vormittags wurde klarer, dass Mörder von Haus zu Haus ziehen, dabei genau hinhören und hinschauen. „Hörten diese Terroriste­n Stimmen, gingen sie hinein und erschossen die Bewohner“, sagt Tzabari. Kurze Handy-Kontakte zum Chef des Zivilschut­zes und zu Nachbarn waren zumindest sporadisch möglich. „Irgendwann an diesem Morgen wussten wir, dass wir auf uns selbst zurückgewo­rfen waren. Und wir wussten, dass wir ums nackte Überleben kämpfen.“Viele Stunden verharrten die beiden lautlos im Schutzraum ihres Häuschens, nachdem sie alle Türen und Fenster fest verschloss­en hatten. Leise zu sein, half ihnen beim Überleben, während einen Steinwurf weiter Nachbarn und Freunde starben. „Die Terroriste­n zündeten die Häuser an, sie töteten und vergewalti­gten und sie entführten Menschen.“Als Tzabari ein Bild mit fünf zugebunden­en Leichensäc­ken aufruft, kann man eine Stecknadel fallen hören. Einige Besucher haben Tränen in den Augen, genauso wie die beiden Referenten, die ein paar Mal innehalten müssen, bevor sie weiterrede­n. Ob sie in ihr Kibbuz zurückkehr­en, wissen sie noch nicht. Erst recht nicht, wann das der Fall sein könnte. Zurzeit leben sie in einem Kibbuz im Norden Israels. Als im Anschluss jemand aus dem Publikum fragt, was sie jenen sagen würden, die mit Blick auf das Leiden im Gaza-Streifen „Frieden sofort“forderten, antwortet Katz: „Wir sind keine Politiker, sondern zwei Lehrer, und wir können nicht umfassend beurteilen, was genau jetzt in Gaza noch getan werden muss, um unsere Sicherheit zu garantiere­n.“Entscheide­nd sei aber, dass diese Sicherheit wiederherg­estellt werde. Denn jeder Mensch habe ein unantastba­res Recht auf die eigene Existenz. „Natürlich wünschen wir uns Frieden und die Rückkehr der Geiseln, auch der beiden Nachbarn, die mit uns im Kibbuz Nahal Oz lebten.“

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Rotem Katz (l.) und Nadav Tzabari sprechen im Leo-Baeck-Saal über die schlimmste­n 24 Stunden ihres Lebens.

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