Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Gelassenheit statt Kulturkampf
Die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung gegen Gendern im amtlichen Sprachgebrauch befeuert eine aufgeheizte Debatte. Dabei lässt sie sich auch positiv lesen.
Es sind die kleinsten Zeichen, die seit geraumer Zeit größtmögliches Streitpotenzial entfalten: Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt im Schriftverkehr sind für die einen Ausdruck von „Gender-Wahn“, „Sprachverstümmelung“und „woker Ideologie“. Für die anderen schlicht ein Signal der Sichtbarkeit, Sensibilität, der in Buchstaben gegossenen Gleichberechtigungsbemühung. Für beide Seiten gibt es triftige Argumente, keine Frage. Und so viel sei vorweggenommen: Auf keine der Seiten schlägt sich Bayern mit der viel beachteten Entscheidung zum „Genderverbot“.
Juristisch betrachtet ist es nicht einmal ein Verbot, das Ministerpräsident Markus Söder mit Unterstützung seines Landeskabinetts in Bayern nun durchgesetzt hat – auch wenn der CSU-Politiker das selbst gern so verbreitet. Im Grunde ist die Entscheidung lediglich die Ergänzung einer längst geltenden Dienstverordnung, noch dazu ohne zu fürchtende Konsequenzen. Zugestimmt hat der Ministerrat formal bloß einer Änderung der „Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern“(AGO). Die AGO verpflichtet die staatlichen Behörden – und damit auch die Schulen – allerdings immer schon, die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung im dienstlichen Schriftverkehr anzuwenden. Und die lautet, so hat es der Rat für deutsche Rechtschreibung erst im Dezember bekräftigt: Sonderzeichen im Wortinneren stören die Verständlichkeit von Texten.
Um eine entsprechende Passage wird die Verordnung also nun erweitert, der Paragraf 22 „Sprachliche Gestaltungsregeln“damit ein bisschen konkreter. Bei dieser Klarstellung hätte man es belassen können, eine kurze Pressemitteilung versenden, das Thema den Ämtern, Schulen und Universitäten übergeben, auf die entsprechende Umsetzung vertrauen können. Doch die Genderdebatte ist längst zum Kulturkampf mutiert, in der sich zwei Seiten stets zu offensiver Positionierung genötigt sehen: Die
Gleichberechtigungskämpfer gegen die Sprachverfechter, die Liberalen gegen die Konservativen, links gegen rechts. „Sprache muss klar und verständlich sein“, sagt Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU). Das Verbot von gendergerechter Sprache sei Bevormundung, sagt die Bundesschülerkonferenz.
Dass die Fronten derart verhärtet sind, ist weder der Sprache noch der Gleichberechtigung in Deutschland zuträglich. Es ist auch eine Frage der Lesart solcher politisch inszenierter Verordnungen, die Zwischentöne zu hören. So soll es in Bayern künftig zwar keine Schulbücher geben, in denen Genderzeichen verwendet werden – in Schulaufgaben und Klassenarbeiten verboten sind sie aber nicht. Schülerinnen und Schülern würden dafür keine Fehlerpunkte gegeben, betont CSU-Politiker Herrmann. Auch an Hochschulen gilt die Verordnung in erster Linie für den Verwaltungsapparat – nicht für den Bereich Forschung und Lehre. Es gehe mit dem Verbot auch darum, die „Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten“, erklärt Herrmann und klingt dabei erstaunlich nah am Sound der Gegenseite. Die muss durchaus anerkennen, dass die missionarische Aufforderung, gendergerecht zu sprechen und schreiben, eher spalten als nutzen kann. Und für Minderheiten wie Legastheniker und Zugewanderte schlicht eine zusätzliche Lesehürde darstellt. Die eine, richtige Art zu gendern gibt es nicht – jedenfalls noch nicht.
Das ist ein weiterer Punkt der neuen Verordnung Bayerns, die im Übrigen nicht so weit geht wie andere Bundesländer: Sachsen, SachsenAnhalt und auch Schleswig-Holstein untersagen etwa geschlechtergerechte Sprache an Schulen explizit, bei entsprechenden Texten gibt es Punktabzug in Hausaufgaben und Prüfungen. In Saarland und Bremen hingegen ist es in der Schule erlaubt, ein Sonderzeichen im Wortinneren zu verwenden. Hier wurde einheitlich festgelegt, dass dafür der Doppelpunkt verwendet werden soll. In Bayern gilt trotz der neuen Verordnung die Grundhaltung, Formulierungen zu finden, die möglichst viele einbeziehen. Nicht zuletzt stehen dafür auch Landesgleichstellungsgesetze, in NRW heißt es darin etwa unter Paragraf 4 „Sprache“: „Gesetze und andere Rechtsvorschriften tragen sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung. In der internen wie externen dienstlichen Kommunikation ist die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu beachten. In Vordrucken sind geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu verwenden. Sofern diese nicht gefunden werden können, sind die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden.“
Ganz frei von Haltung, Gesinnung oder Ideologie kann die Behördensprache der Bundesrepublik ohnehin nie gewesen sein, das suggeriert schon Artikel drei des Grundgesetzes. In welcher Form Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes vermieden werden kann, wird im Laufe der Zeit immer neu verhandelt werden müssen. Nicht immer wird es gleich eine Lösung geben, wie die Debatte am Beispiel Bayern beweist. Fernab von diesen Richtlinien gibt es für den sonstigen Sprachgebrauch keine Vorgaben, auch das muss bei aller Erregung stets hervorgehoben werden. Ob auf dem Schulhof, im Lehrerzimmer, auf dem Heimweg – jeder und jedem ist es selbst überlassen, zu gendern. Seit dem jüngsten Signal aus Bayern vielleicht: jetzt erst recht.