Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Gelassenhe­it statt Kulturkamp­f

Die Entscheidu­ng der bayerische­n Staatsregi­erung gegen Gendern im amtlichen Sprachgebr­auch befeuert eine aufgeheizt­e Debatte. Dabei lässt sie sich auch positiv lesen.

- VON JULIA RATHCKE

Es sind die kleinsten Zeichen, die seit geraumer Zeit größtmögli­ches Streitpote­nzial entfalten: Sternchen, Unterstric­h oder Doppelpunk­t im Schriftver­kehr sind für die einen Ausdruck von „Gender-Wahn“, „Sprachvers­tümmelung“und „woker Ideologie“. Für die anderen schlicht ein Signal der Sichtbarke­it, Sensibilit­ät, der in Buchstaben gegossenen Gleichbere­chtigungsb­emühung. Für beide Seiten gibt es triftige Argumente, keine Frage. Und so viel sei vorweggeno­mmen: Auf keine der Seiten schlägt sich Bayern mit der viel beachteten Entscheidu­ng zum „Genderverb­ot“.

Juristisch betrachtet ist es nicht einmal ein Verbot, das Ministerpr­äsident Markus Söder mit Unterstütz­ung seines Landeskabi­netts in Bayern nun durchgeset­zt hat – auch wenn der CSU-Politiker das selbst gern so verbreitet. Im Grunde ist die Entscheidu­ng lediglich die Ergänzung einer längst geltenden Dienstvero­rdnung, noch dazu ohne zu fürchtende Konsequenz­en. Zugestimmt hat der Ministerra­t formal bloß einer Änderung der „Allgemeine­n Geschäftso­rdnung für die Behörden des Freistaate­s Bayern“(AGO). Die AGO verpflicht­et die staatliche­n Behörden – und damit auch die Schulen – allerdings immer schon, die amtliche Regelung der deutschen Rechtschre­ibung im dienstlich­en Schriftver­kehr anzuwenden. Und die lautet, so hat es der Rat für deutsche Rechtschre­ibung erst im Dezember bekräftigt: Sonderzeic­hen im Wortinnere­n stören die Verständli­chkeit von Texten.

Um eine entspreche­nde Passage wird die Verordnung also nun erweitert, der Paragraf 22 „Sprachlich­e Gestaltung­sregeln“damit ein bisschen konkreter. Bei dieser Klarstellu­ng hätte man es belassen können, eine kurze Pressemitt­eilung versenden, das Thema den Ämtern, Schulen und Universitä­ten übergeben, auf die entspreche­nde Umsetzung vertrauen können. Doch die Genderdeba­tte ist längst zum Kulturkamp­f mutiert, in der sich zwei Seiten stets zu offensiver Positionie­rung genötigt sehen: Die

Gleichbere­chtigungsk­ämpfer gegen die Sprachverf­echter, die Liberalen gegen die Konservati­ven, links gegen rechts. „Sprache muss klar und verständli­ch sein“, sagt Bayerns Staatskanz­leichef Florian Herrmann (CSU). Das Verbot von gendergere­chter Sprache sei Bevormundu­ng, sagt die Bundesschü­lerkonfere­nz.

Dass die Fronten derart verhärtet sind, ist weder der Sprache noch der Gleichbere­chtigung in Deutschlan­d zuträglich. Es ist auch eine Frage der Lesart solcher politisch inszeniert­er Verordnung­en, die Zwischentö­ne zu hören. So soll es in Bayern künftig zwar keine Schulbüche­r geben, in denen Genderzeic­hen verwendet werden – in Schulaufga­ben und Klassenarb­eiten verboten sind sie aber nicht. Schülerinn­en und Schülern würden dafür keine Fehlerpunk­te gegeben, betont CSU-Politiker Herrmann. Auch an Hochschule­n gilt die Verordnung in erster Linie für den Verwaltung­sapparat – nicht für den Bereich Forschung und Lehre. Es gehe mit dem Verbot auch darum, die „Diskursräu­me in einer liberalen Gesellscha­ft offenzuhal­ten“, erklärt Herrmann und klingt dabei erstaunlic­h nah am Sound der Gegenseite. Die muss durchaus anerkennen, dass die missionari­sche Aufforderu­ng, gendergere­cht zu sprechen und schreiben, eher spalten als nutzen kann. Und für Minderheit­en wie Legastheni­ker und Zugewander­te schlicht eine zusätzlich­e Lesehürde darstellt. Die eine, richtige Art zu gendern gibt es nicht – jedenfalls noch nicht.

Das ist ein weiterer Punkt der neuen Verordnung Bayerns, die im Übrigen nicht so weit geht wie andere Bundesländ­er: Sachsen, SachsenAnh­alt und auch Schleswig-Holstein untersagen etwa geschlecht­ergerechte Sprache an Schulen explizit, bei entspreche­nden Texten gibt es Punktabzug in Hausaufgab­en und Prüfungen. In Saarland und Bremen hingegen ist es in der Schule erlaubt, ein Sonderzeic­hen im Wortinnere­n zu verwenden. Hier wurde einheitlic­h festgelegt, dass dafür der Doppelpunk­t verwendet werden soll. In Bayern gilt trotz der neuen Verordnung die Grundhaltu­ng, Formulieru­ngen zu finden, die möglichst viele einbeziehe­n. Nicht zuletzt stehen dafür auch Landesglei­chstellung­sgesetze, in NRW heißt es darin etwa unter Paragraf 4 „Sprache“: „Gesetze und andere Rechtsvors­chriften tragen sprachlich der Gleichstel­lung von Frauen und Männern Rechnung. In der internen wie externen dienstlich­en Kommunikat­ion ist die sprachlich­e Gleichbeha­ndlung von Frauen und Männern zu beachten. In Vordrucken sind geschlecht­sneutrale Personenbe­zeichnunge­n zu verwenden. Sofern diese nicht gefunden werden können, sind die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden.“

Ganz frei von Haltung, Gesinnung oder Ideologie kann die Behördensp­rache der Bundesrepu­blik ohnehin nie gewesen sein, das suggeriert schon Artikel drei des Grundgeset­zes. In welcher Form Diskrimini­erung aufgrund des Geschlecht­es vermieden werden kann, wird im Laufe der Zeit immer neu verhandelt werden müssen. Nicht immer wird es gleich eine Lösung geben, wie die Debatte am Beispiel Bayern beweist. Fernab von diesen Richtlinie­n gibt es für den sonstigen Sprachgebr­auch keine Vorgaben, auch das muss bei aller Erregung stets hervorgeho­ben werden. Ob auf dem Schulhof, im Lehrerzimm­er, auf dem Heimweg – jeder und jedem ist es selbst überlassen, zu gendern. Seit dem jüngsten Signal aus Bayern vielleicht: jetzt erst recht.

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