Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Milliardenschatz von Zug
Der Schweizer Kanton hat viel Geld. Nun gibt es Streit über dessen Verwendung.
TURIN/ROM Der Fiat 500 ist vielleicht der Klassiker unter den Kleinwagen Italiens, aber auch der Welt. Jenes Modell war es, mit der die Fabbrica Italiana Automobili di Torino ab 1957 das Land und die Herzen seiner überwiegend autoverrückten Menschen eroberte.
Im Cinquecento lernte Italien das Autofahren – und die Liebe. An dunklen Straßen sind Kleinwagen in Italien bis heute Schauplatz von Rendezvous. Viele junge Italiener leben noch daheim und ziehen die macchina dem elterlichen Zuhause vor. „Fare l‘amore nella Cinquecento“– sinngemäß: „Liebe machen im Fiat 500“, ist bis heute ein gefülgeltes Wort in Italien.
Die große Zeit des Automobils in Italien ist vorbei – und das ist trotz der immer noch steigenden Verkaufszahlen der Luxusmarken Ferrari und Lamborghini nicht unbedingt eine Überraschung. Vor allem für den Volumenhersteller Fiat sieht es finster aus. 1974 stellte der Turiner Autofabrikant der Familie Agnelli noch jedes zweite, in Italien ausgelieferte Auto her. Im vergangenen Dezember waren es nicht einmal mehr zehn Prozent. „Ich bin in Sorge, weil unser Land keine Autoindustrie mehr hat“, warnte der frühere Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo. „Wir sind Zeugen einer Deindustrialisierung, die sich schweigend vollzieht.“Montezemolo war als Ziehsohn des Fiat-Bosses Gianni Agnelli einst das Gesicht der italienischen Autobranche. Entsprechend großes Gewicht hat sein Wort – in der Industrie und bei den Endkundinnen
GENF Wohin nur mit dem vielen Geld? Diese Frage treibt die Menschen im Schweizer Kanton Zug um. Es geht um 1,056 Milliarden Schweizer Franken, umgerechnet fast 1,1 Milliarden Euro. Dieser Batzen Geld wartet auf eine Verwendung in dem malerisch gelegenen Zug, das ohnehin als der reichste Kanton des Landes gilt. Außerhalb der Grenzen des wohlhabenden Gliedstaats dürften Politiker und auch ganz normale Menschen das Zuger Luxusproblem mit Neid, Neugier oder Bewunderung sehen. Der Zuger Finanzdirektor, Heinz Tännler, reagiert jedenfalls mit Schweizer Pragmatismus: „Es ist nicht so, dass dieses Geld verdunstet, wenn man es nicht sofort ausgibt“, sagte er unserer Redaktion. Das Motto Tännlers lautet dann auch: „Man kann nie zu viel Geld haben.“
Die Geschichte um den Zuger Milliardenschatz begann Anfang März. Damals stimmten die Bürgerinnen und Bürger über die Errichtung von zwei modernen Tunnelumfahrungen für den Verkehr ab. Die Planer veranschlagten eben jene 1,056 Milliarden Franken an Baukosten über einen Zeitraum von mindestens 18 Jahren. Die beiden Infrastrukturprojekte sollten vollständig aus dem kantonalen Eigenkapital finanziert werden. Das Eigenkapital steigerte sich im Jahr 2023 auch dank üppiger Steuereinnahmen um 431 Millionen Franken auf 2,35 Milliarden Franken. Zug hätte sich also die teuren Umfahrungen leisten können. Doch die Zuger sagten Nein. Seitdem sitzt der Kanton auf dem Geld, das er eigentlich in die Tunnel stecken wollte.
Kaum hatte die Bevölkerung an der Urne entschieden, entwickelte sie Begehrlichkeiten: Mit mehr als einer Milliarde Franken lässt sich einiges bewegen. Die „Zuger Zeitung“trug die Ideen unter dem Titel „So könnte Zug eine Milliarde ausgeben“zusammen. „Manche davon sind durchaus ernst gemeint – andere weniger“, schrieb das Blatt.
Der überschaubar kleine Kanton, so die Überlegungen, könnte sich etwa eine U-Bahn zulegen oder den Einwohnern ein Freiticket der Schweizerischen Bundesbahnen schenken. Diskutiert wurde das kostenlose Aufladen von E-Autos oder der Bau einer Skihalle. Auch die eher staatstragende „Neue Zürcher Zeitung“mischte sich ein und fragte, „wieso niemand auf die Idee gekommen ist, die überschüssige Zuger Milliarde“der Eidgenossenschaft zu spenden. Dann könnte Bern eine Rentenerhöhung stemmen.
Finanzdirektor Tännler schüttelt den Kopf angesicht einiger Einfälle. Gewisse Ideen seien „schlichtweg absurd“. Tännler selbst regt an, die Steuerzahler noch mehr zu entlasten. „Entsprechend wäre eine Steuerrückzahlung oder -senkung angebracht“, überlegt der kantonale Kassenwart. Eine Drosselung würde das milde Steuerklima in Zug weiter verbessern, einem Kanton, der in früheren Zeiten als Armenhaus eher Mitleid auslöste.
Heutzutage lassen sich Firmen, Multimillionäre und Milliardäre aus der ganzen Welt liebend gerne in Zug nieder. Der Kanton empfängt die wohlhabenden Migranten mit offenen Armen und angenehmen Steuersätzen. Mitunter befinden sich unter den Zuzüglern schwarze Schafe. Eine der schillerndsten Figuren war wohl der US-amerikanische Rohstoffhändler Marc Rich, der vom Standort Zug aus seine Geschäfte dirigierte. Sein Heimatland beschuldigte den Krösus der kriminellen Machenschaften, suchte Rich mit Haftbefehl. Der damalige Präsident Bill Clinton begnadigte ihn. Aus Richs Firma entwickelte sich der Multi Glencore, der weltweit mächtigste Konzern für Rohstoffhandel und den Betrieb von Bergwerken. Glencore residiert noch heute in Zug. Angesichts der Ballung des Kapitals stoßen Pläne für weniger Steuern auf geringe Gegenliebe, zumal bei der Linken. „Tiefere Steuern führen zu noch mehr Verdrängung“, sagt Andreas Lustenberger, Kantonsrat der Alternativen, dem Sender SRF. „Dann ziehen noch mehr vermögende Menschen hierher.“
und -kunden.
Die Fakten bezüglich sind unumstößlich, und sie treffen Fiat hart: Erst im Dezember des vergangenen Jahres hatte Volkswagen die italienische Marke auf dem Heimatmarkt erstmals bei den Neuzulassungen überholt, das hatte es noch nie zuvor gegeben. Im Hauptwerk Mirafiori in Turin sowie in Cassino südlich von Rom wird mit stark reduzierter Stundenzahl gearbeitet, zwei Wochen im Monat stehen die Bänder still.
Das ebenfalls zu Fiat gehörende Maserati-Werk in Grugliasco bei Turin steht sogar zum Verkauf. Montezemolos Diktum von der schleichenden und stillen Deindustrialisierung wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass Modelle wie der elektronische Fiat 600 oder der neue Fiat Topolino nicht mehr zu Hause, sondern im Ausland produziert werden, beispielsweise in Polen oder in Marokko.
Alle Blicke richten sich in Italien deshalb nun auf den Fiat-Mutterkonzern Stellantis, der 2021 aus der Fusion der französischen Hersteller PSA (mit den Marken Peugeot, Citroën, Opel) und dem Fiat-ChryslerKonzern hervorging. Stellantis hat seinen Hauptsitz in der Nähe von Paris, Vorstandsvorsitzender ist der Portugiese Carlos Tavarez.
Um als zweitgrößter europäischer Autokonzern gegen den Marktführer Volkswagen, aber auch gegenüber der Billig-Konkurrenz aus China wettbewerbsfähig zu bleiben, versucht Tavarez die Produktionskosten zu senken und Stellen abzubauen. Fiat hat nur noch 43.000 Angestellte, Stellantis will das Personal mithilfe von Abfindungen weiter reduzieren.
Der italienischen Regierung unter Giorgia Meloni ist das ein Dorn im Auge. Die Ministerpräsidentin warf dem Mehrmarkenkonzern Stellantis vor, in erster Linie französische Interessen zu vertreten. „Hinter der Fusion verbirgt sich eine Übernahme des italienischen Traditionskonzerns“, schimpfte Meloni. Größter Anteilseigner bei Stellantis mit 14,3 Prozent ist gleichwohl die Investmentgesellschaft Exor der italienischen Unternehmer-Familie
Agnelli. Auch deren Chef John Elkann, Enkel von Gianni Agnelli und Aufsichtsratsvorsitzender bei Stellantis, bekam sein Fett weg. Ihm war Meloni den „Verrat von Landesinteressen“vor.
Doch was sind eigentlich Italiens Interessen an Fiat? 700.000 Fahrzeuge werden vom einstigen Marktführer derzeit noch in Italien pro Jahr gebaut. Die Regierung möchte diese Zahl auf eine Million erhöhen und führte zu diesem Zweck Gespräche mit Stellantis und den Gewerkschaften. „Wenn man ein Auto auf dem Weltmarkt als italienisches Juwel verkaufen will, dann muss es auch in Italien hergestellt worden sein“, tönte Meloni. Doch gerade beim Zukunftsmarkt der E-Mobilität zögert die Regierung. Staatliche Förderungen zum Kauf eines E-Autos liefen nur schleppend an. Für StellantisChef Tavarez ist klar, wer die Schuld an der italienischen Automisere trägt: „Wenn keine Förderung zum Kauf von E-Autos gewährt wird, sind die italienischen Werke in Gefahr.“