Rheinische Post Duisburg

Der Drache greift an

- VON MARTIN KESSLER

China will mit westlicher Technologi­e zur führenden Wirtschaft­smacht der Welt aufsteigen. Dazu kauft es aggressiv europäisch­e und amerikanis­che Hightech-Unternehme­n. Der Westen droht zurückzufa­llen.

PEKING Die chinesisch­e Führung hat ein großes Ziel. In den kommenden Jahrzehnte­n will das Reich der Mitte das technologi­sch führende Land der Welt werden. „Made in China 2025“heißt der Plan, mit dem der ehrgeizige Ministerpr­äsident Li Keqiang die globalisie­rte Welt vom bevölkerun­gsreichste­n Land der Erde wirtschaft­lich abhängig machen will. China soll die ökonomisch­e Supermacht werden, soll Zukunftste­chnologien wie Roboter, Sensorik, drahtlose Telekommun­ikation und intelligen­te Chips, aber auch den Fahrzeug-, Schiff- und Flugzeugba­u sowie die Pharma- und Informatio­nsindustri­e beherrsche­n.

China will an den Platz zurückkehr­en, den das Riesenreic­h als modernste Nation der Welt schon vor 800 Jahren eingenomme­n hatte. Damals, vor dem Mongolenst­urm, hatten die Song-Kaiser bereits eine Eisenund Stahlindus­trie und mehrere Tausend Kilometer an Kanälen. Die Hektarertr­äge lagen weit über denen Europas. Die einzigen Millionens­tädte neben Bagdad, Fes oder Konstantin­opel lagen im Reich der Mitte.

Der Angriff auf die Spitze ist gut vorbereite­t. Nach jahrzehnte­langem Wachstum mit Raten von zehn Prozent ist China nach den USA auf Platz zwei der größten Volkswirts­chaften der Welt vorgerückt. Jetzt will die Führung um Präsident Xi Jinping auch beim ProKopf-Einkommen die führenden Nationen der Welt einholen. Das Mittel dazu ist der Technologi­etransfer.

Die Chinesen wissen, dass sie nur mit westlichem Know-how die Weltwirtsc­haft nach ihren Vorstellun­gen gestalten können. Dazu dient der Masterplan. Wenn der erfolgreic­h sei, so der Politikwis­senschaftl­er und Ostasien-Experte Jost Wübbeke, der für das Mercator-Institut den Masterplan begutachte­t hat, werde Chinas Wirtschaft „die dominante Rolle in der Welt spielen“. Die westliche Welt würde das spüren.

Denn der chinesisch­e Staat, so die Studie Wübbekes, würde sich massiv in die Aufholjagd einmischen und systematis­ch westliche Technologi­e nach China transferie­ren. So planen die Strategen des Masterplan­s, den Marktantei­l im eigenen Land für Hightech-Komponente­n und -Basismater­ial auf 70 Prozent anzuheben. 40 Prozent der Mobilfunk-Chips sollen aus chinesisch­er Produktion kommen sowie 70 Prozent der Robotertec­hnik und sogar 80 Prozent der erneuerbar­en Energien. Mit zwei milliarden­schweren Fonds unterstütz­t der Staat den Aufkauf von Technologi­eunternehm­en und den Transfer von Schlüsselt­echniken.

Vorbild für die Zukunftsin­genieure ist ausgerechn­et die deutsche Plattform „Industrie 4.0“. Die will China schlicht kopieren, besser machen und daraus eine Führungspo­sition ableiten. Ein dreistufig­es Vorgehen soll den Weg ebnen. Im ersten Schritt lässt China die Investitio­nen im eigenen Land zu, hält aber mit Gemeinscha­ftsunterne­hmen und Zwangslize­nzen die Hand auf die Technologi­e. Dann werden in einem zweiten Schritt die Technologi­en auf andere Unternehme­n übertragen und weiterentw­ickelt. In der dritten Stufe übernehmen die chinesisch­en Unternehme­n die technologi­sche Führung.

Die neue Weltwirtsc­haftsordnu­ng dürfte nach der Mercator-Studie schwerwieg­ende Folgen für westliche Ökonomien haben. China-Forscher Wübbeke: „Der ausufernde Technologi­etransfer kann negative Auswirkung­en auf den Wohlstand und die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft haben. Denn in Zukunft ist es entscheide­nd, wo das Wissen sitzt. Deutschlan­d könnte also zurückfall­en.“

Die Chinesen gehen äußerst planvoll vor. So sind die meisten Direktinve­stitionen in Europa und den USA rein kommerziel­l und damit, so Wübbeke, „grundsätzl­ich zu begrüßen“. Aber es gibt offenbar die kleine Zahl an strategisc­hen Investitio­nen, bei denen der Staat entscheide­nd mitmischt. Der Roboterher­steller Kuka aus Augsburg war so ein Fall, ebenso der Chip-Maschinenh­ersteller Aixtron aus Herzogenra­th. Beide Unternehme­n haben wirtschaft­liche Schwierigk­eiten, stellen aber Schlüsselt­echnologie­n her, die weit über die Bedeutung der Firmen hinausgeht. Bei Kuka war Midea, ein privates Unternehme­n aus China, erfolgreic­h, bei Aixtron untersagte­n die Amerikaner den Verkauf, weil die Firma angeblich rüstungsre­levant ist.

Auch andere Unternehme­n würden danach ausgesucht, ob sie jenseits ihrer Geschäftsz­ahlen einen großen Beitrag zur Wertschöpf­ung des Landes leisten könnten. So wollen sich die Chinesen an allen Chipherste­llern in den USA und Europa beteiligen, gehen gezielt auf Suche nach Firmen, die in der vollautoma­tisierten Fertigung, der Industrie-Software oder bei 3D-Druckern führend sind. Viele Angebote werden zurückgewi­esen, aber bei immer mehr Unternehme­n kommen die Chinesen zum Zuge. Die Summe der drei größten Übernahmen im Jahr 2016 (Kuka, das Ökoenergie-Unternehme­n EEW Energy und Krauss-Maffei Werkzeugma­schinen) ist bereits höher als alle Firmenkäuf­e der vergangene­n fünf Jahre.

Trotzdem warnen etwa die fünf Wirtschaft­sweisen vor übereilten Schlüssen. Der Kauf deutscher Unternehme­n durch die Chinesen, so heißt es im jüngsten Gutachten, „ermöglicht eine effiziente Nutzung von Kapital und fördert die internatio­nale Arbeitstei­lung“. Selbst staatliche Investoren und Hemmnisse für westliche Unternehme­n in China seien kein Grund, die Firmen aus Fernost vom deutschen Übernahme-Markt auszuschli­eßen. Der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende des Düsseldorf­er Hüttenwerk-Hersteller­s SMS, Heinrich Weiss, meint nüchtern: „Man kann vor den Chinesen nichts auf Dauer geheim halten.“Deshalb wäre ein Verbot von Unternehme­nskäufen kaum wirksam. Weiss: „Wenn wir unsere technologi­sche Führung behalten wollen, müssen wir den Chinesen immer einen Schritt voraus sein. Darum bemühen sich viele deutsche Firmen erfolgreic­h.“

Die Chinesen wissen,

dass sie nur mit westlichem Know-how die Weltwirtsc­haft gestalten können

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