Rheinische Post Duisburg

„Hängt ihn am Baum auf“

- VON FRANZISKA HEIN UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Immer mehr Kommunalpo­litiker werden im Internet beschimpft und beleidigt. Auch vor Morddrohun­gen schrecken die Absender nicht zurück. In Bocholt legte bereits der SPD-Vorsitzend­e sein Amt nieder, weil seine Familie bedroht wurde.

DÜSSELDORF Wenn Norbert Czerwinski in sein Mailpostfa­ch schaut, findet er dort sehr oft Hassnachri­chten. Der Fraktionsc­hef der Grünen im Düsseldorf­er Stadtrat wird aufs Übelste beleidigt, beschimpft und bedroht. Man solle ihn an einem Baum aufhängen und anschließe­nd häckseln, habe ihm jemand erst vor Kurzem geschriebe­n, sagt er. „Es ist unglaublic­h, was manche Leute mir an den Kopf werfen. Das geht längst weit über das erträglich­e Maß hinaus“, betont Czerwinski. Das sei nichts mehr, was man als Politiker aushalten müsse, wie manche sagten. „Solche Drohungen machen was mit einem. Das steckt man nicht so einfach weg.“

Landesweit und quer durch alle Parteien werden Politiker mittlerwei­le Ziel solcher Anfeindung­en im Internet. Und längst sind nicht nur Spitzenpol­itiker davon betroffen. Bis auf die kleinste kommunale Ebene, wo sich die meisten in den Parteien ehrenamtli­ch für die Gesellscha­ft engagieren, werden Lokalpolit­iker zur Zielscheib­e des Hasses. Der Bocholter SPD-Chef Thomas Purwin trat deshalb in dieser Woche von seinem Amt zurück. HassmailSc­hreiber hatten Purwin, seiner Lebensgefä­hrtin und seiner kleinen Tochter gedroht. Der SPD-Chef und andere Kommunalpo­litiker in Bocholt hatten in den vergangene­n Monaten immer wieder Nachrichte­n mit fremdenfei­ndlichem Charakter erhalten. Vor allem warfen sie ihm vor, zu viel für Asylsuchen­de zu machen. Für Flüchtling­e tue die Stadt alles, für deutsche Rentner nichts, habe in einer Mail gestanden. „Es gab auch Briefe, auf denen Galgen abgebildet waren. Ich habe das erste Mal am Tag der Deutschen Einheit 2016 Hassmails bekommen, darunter auch Morddrohun­gen“, sagt Purwin. Die E-Mails seien obszön und ekelhaft. Deshalb wolle er den genauen Wortlaut nicht in der Öffentlich­keit wiedergebe­n.

Nach seinem Rücktritt fordern Politiker und Polizei dazu auf, sich stärker gegen Hassmails zu wehren. „Manche glauben, im Internet könne man einfach etwas schreiben, das ist nicht so schlimm“, sagte die nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) gestern in einem Interview mit Radio NRW. „Aber das ist kein rechtsfrei­er Raum. Im Gegenteil: Auch dort ist eine Beleidigun­g eine Beleidigun­g und wird geahndet.“Sie bringe alle Hassmails, die sie erhalte, auch zur Anzeige.

Das macht Norbert Czerwinski ebenfalls. „Ich leite alles, was ich für strafrecht­lich relevant halte, an den Staatsschu­tz weiter“, betont er. Beim Staatsschu­tz in Düsseldorf gibt es eine Abteilung, die sich um diese Fälle kümmert. „Die können mir dann auch sagen, ob ich da was gegen machen kann oder nicht. Es ist gut, dass es sowas gibt“, sagt der Grünen-Fraktionsc­hef.

Der Bürgermeis­ter von Erkelenz, Peter Jansen (CDU), hat derzeit mit dem Staatsschu­tz zu tun. Erst vor wenigen Tagen haben Unbekannte sein Haus mit einer linksauton­omen Parole beschmiert. Für ihn ist das eine Folge der verbalen Verrohung im Netz, die auch ihm und vielen seiner Kollegen in der kommunalen Verwaltung massiv entgegensc­hlage. „Es gibt ein zunehmende­s Gewaltpote­nzial in Teilen der Gesellscha­ft – und das längst nicht mehr nur in Großstädte­n, sondern auch im ländlichen Raum“, betont Jansen. Er habe das Gefühl, dass die Strafverfo­lgung nicht mehr richtig funktionie­re. „Man erkennt nicht, dass der Rechtsstaa­t gegen diese Auswüchse wirksam vorgeht“, so Jansen. Mit diesen Auswüchsen meint er nicht nur die Hassmails und Drohungen („Wir wissen, wo Sie wohnen“), sondern auch Übergriffe auf städtische Mitarbeite­r. „Es hat sich spürbar etwas verändert.“

Die Gewerkscha­ft der Polizei in NRW (GdP) fordert ein hartes Vorgehen der Politik gegen Verfasser von Hassmails. „Der Gesetzgebe­r hängt hinterher, neue rechtliche Rahmenbedi­ngungen für das Internet zu schaffen“, betont der GdPLandesv­orsitzende Arnold Plickert. „Dass jetzt öffentlich darüber gesprochen wird, das ist gut, denn Beschimpfu­ngen, Beleidigun­gen und Bedrohunge­n gibt es schon lange im Internet“, sagt Plickert.

Das bestätigt auch Czerwinski. Beleidigun­gen habe es immer gegeben. Aber der Ton, die Form sei anders als noch vor zehn Jahren. „Ich kenne Kollegen, deren Familien bedroht werden“, sagt er. Eine Parteifreu­ndin sei vor einigen Jahren so massiv bedroht worden, dass ihr Haus von der Polizei bewacht werden musste. Soweit wollte es der Bocholter SPD-Chef nicht kommen lassen. „Mit den Angriffen gegen meine Familie ist für mich die Grenze überschrit­ten“, sagt Purwin. „Ich kann mich mit Drohungen gegen mich abfinden. Aber das andere geht einfach zu weit.“

Wer hinter den Drohungen gegen die Familie des Bocholter SPD-Politikers steckt, ist noch nicht bekannt. Die Polizei habe keinen konkreten Tatverdach­t. Die Ermittlung­en seien schwierig, weil die Mails über Computer-Adressen aus dem Ausland verschickt worden seien, sagt eine Polizeispr­echerin. Es müsse zunächst geklärt werden, von wo aus die Mails verschickt worden seien. Purwin vermutet, dass Rechtsradi­kale dahinter stecken könnten. „Dem Jargon und der Wortwahl nach zu urteilen aus der rechten Szene, wobei ich sagen muss: Wir haben in Bocholt nicht mehr Probleme mit Rechten als anderswo.“

Angefragt zum Thema Hassmails wurden Politiker aller Parteien, auch der AfD. Diese haben auf die Anfrage nicht reagiert.

 ?? FOTO: BAUER ?? Norbert Czerwinski, Fraktionsc­hef der Grünen in Düsseldorf, wird aufs Übelste beschimpft.
FOTO: BAUER Norbert Czerwinski, Fraktionsc­hef der Grünen in Düsseldorf, wird aufs Übelste beschimpft.
 ?? FOTO: KNAPPE ?? Der Bürgermeis­ter von Erkelenz, Peter Jansen (CDU), kritisiert die Strafverfo­lgung.
FOTO: KNAPPE Der Bürgermeis­ter von Erkelenz, Peter Jansen (CDU), kritisiert die Strafverfo­lgung.
 ?? FOTO: DPA ?? Bocholts SPD-Chef Thomas Purwin ist wegen der Zunahme von Hassmails zurückgetr­eten.
FOTO: DPA Bocholts SPD-Chef Thomas Purwin ist wegen der Zunahme von Hassmails zurückgetr­eten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany