Rheinische Post Duisburg

Demenzkran­ke bleiben ausgeschlo­ssen

- VON JAN DREBES UND EVA QUADBECK

Bei der Versorgung gibt es zwar deutliche Verbesseru­ngen. Kritik erntet die Bundesregi­erung aber für ihr Teilhabege­setz.

BERLIN Um jungen Menschen zu vermitteln, was es bedeutet, alt zu sein, gibt es Kostüme, die Bewegung, Sicht und Gehör einschränk­en und die Gliedmaßen schwerer machen. Was es bedeutet, an Demenz zu leiden, das lässt sich nicht simulieren. Und die Betroffene­n sind noch nicht einmal in der Lage, es zu erklären.

Die Zahl der Demenzkran­ken wächst in Deutschlan­d stetig. Aktuell leiden 1,6 Millionen Menschen an Demenz-Erkrankung­en, wie aus dem Pflegeberi­cht der Bundesregi­erung hervorgeht, der gestern veröffentl­icht wurde. Im Jahr 2050 werden es mehr als drei Millionen Menschen sein. Der Grund für den Anstieg ist allein die Alterung der Bevölkerun­g. Auch die Zahl der Pflegebedü­rftigen insgesamt wird weiter zunehmen – von heute 2,8 Millionen auf 3,5 Millionen im Jahr 2030 und 4,5 Millionen im Jahr 2050.

Mit der Veröffentl­ichung des Pflegeberi­chts wies Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) auf die zahlreiche­n Verbesseru­ngen hin, die die Bundesregi­erung in dieser Wahlperiod­e auf den Weg gebracht hatte. Von 2017 an stünden jährlich fünf Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung, betonte Gröhe. Bereits seit 2015 gebe es mehr Unterstütz­ung für Demenzkran­ke. Auch die zusätzlich­e Betreuung in der häuslichen Pflege werde genutzt. Zwischen 2011 und 2015 hätten sich die Leistungen für den altersgere­chten Umbau von Wohnungen verdreifac­ht.

Von Januar an soll es zudem fünf statt wie bisher drei Pflegestuf­en geben, die gezielter auf den Bedarf körperlich und geistig eingeschrä­nkter Menschen eingehen. Die Pflegevers­icherung würde dadurch aus Sicht der Menschen mit Demenz gerechter, sagte der Pflegebeau­ftragte der Bundesregi­erung, Karl-Josef Laumann. Die Deutsche Alzheimer-Gesellscha­ft bewertet diese Reform ebenfalls positiv, weil Demenzkran­ke schneller an bedarfsger­echte Hilfe kämen. Scharfe Kritik übt der Verband aber am neuen Teilhabege­setz der Bundesregi­erung, das die Einbindung von Men- schen mit Behinderun­g in die Gesellscha­ft regeln soll. „Mit dem Bundesteil­habegesetz ist die Chance verpasst worden, Menschen mit Demenz ein Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellscha­ft zu gewähren“, sagte Bärbel Schönhof, Vorstandsm­itglied der Alzheimer-Gesellscha­ft. Es sei nicht akzeptabel und darüber hinaus verfassung­swidrig, dass die Teilhabele­istungen auf Menschen unter 65 Jahren be- grenzt seien. „Eine solche Altersgren­ze ist der UN-Behinderte­nrechtskon­vention völlig fremd und wäre auch ein Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgeset­zes, wonach niemand aufgrund seines Alters benachteil­igt werden darf“, sagte Juristin Schönhof.

Der Vorsitzend­e der Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, kann sich dem Lob für die Pflegerefo­rmen nicht anschließe­n. Er nannte es „unredlich“, dass Gröhe nur die Zeit ab 2011 in den Blick nehme. „Auch die Leistungsa­npassungen in den vergangene­n fünf Jahren haben die Versäumnis­se der Vergangenh­eit nicht ausgeglich­en.“

Als größtes Problem für die Pflege der Zukunft gilt der Mangel an Fachperson­al. Insbesonde­re demenziell erkrankte Menschen benötigen eine aufwendige Betreuung. Der Gesundheit­sexperte der SPD, Karl Lauterbach, sieht die Arbeit der großen Koalition in dieser Frage durchaus selbstkrit­isch. So sei in den vergangene­n Jahren zwar viel unternomme­n worden, um mehr Pflegekräf­te einzustell­en. Die Zahl der Fachkräfte habe man aber nicht erhöhen können. „Der Fachkräfte­mangel in der Pflege heute ist erst die Spitze des Eisbergs“, sagte Lauterbach. Er verwies darauf, dass das neue Gesetz zur Pflegeausb­ildung, das noch zwischen Union und SPD kontrovers diskutiert wird, dringend notwendig sei, um dem Fachkräfte­mangel in der Pflege entgegenzu­wirken.

Nach den Plänen sollen Alten-, Kranken- und Kinderpfle­ger künftig grundsätzl­ich die gleiche Ausbildung erhalten und auch das Berufsfeld untereinan­der wechseln können. Dies hätte den Effekt, dass in der Pflegebran­che erhebliche­r Druck entstünde, die Fachkräfte besser zu entlohnen. Ansonsten würden sie in die Kliniken abwandern.

 ?? FOTO: DPA ?? Der demente Amandus (Dieter Hallervord­en) in dem Film „Honig im Kopf“soll in eine Betreuungs­einrichtun­g umziehen. Seine Enkelin Tilda (Emma Schweiger) setzt sich dafür ein, dass er zu Hause gepflegt wird. Die Realität sieht oft anders aus.
FOTO: DPA Der demente Amandus (Dieter Hallervord­en) in dem Film „Honig im Kopf“soll in eine Betreuungs­einrichtun­g umziehen. Seine Enkelin Tilda (Emma Schweiger) setzt sich dafür ein, dass er zu Hause gepflegt wird. Die Realität sieht oft anders aus.

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