Rheinische Post Duisburg

Ströbeles Abgang wirft die Frage nach dem Alterspräs­identen auf

- VON EVA QUADBECK

Der Grüne Ströbele will nicht noch einmal für den Bundestag kandidiere­n. Wird das Amt nun für Alexander Gauland von der AfD frei?

BERLIN Der Altlinke Hans-Christian Ströbele konnte seine Partei mit Pazifismus und Prinzipien­reiterei fürchterli­ch nerven. Jetzt aber ist die Enttäuschu­ng groß, dass der 77Jährige, der zwischenze­itlich an Krebs litt, nicht noch einmal für den Bundestag antritt. Er selbst betonte, er wolle sich den Stress nicht noch einmal antun, und verwies darauf, dass er in den Sitzungswo­chen des Parlaments mitunter 15-StundenTag­e leisten müsse. Viermal gewann er in Kreuzberg-Friedrichs­hain das Direktmand­at – wohlgemerk­t, nachdem seine Grünen ihm 2002 keinen sicheren Listenplat­z mehr hatten geben wollen.

Er war der erste Grüne, der es sich zutraute, als Direktkand­idat anzutreten, und er siegte. Mit dem Wahlspruch „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“gewann er zu Zeiten der rot-grünen Bundesregi­erung seinen links-alternativ­en Wahlbezirk. Der Grünen-Politiker, stets mit Fahrrad und rotem Schal zwischen Regierungs­viertel und Friedrichs­hain unterwegs, ist dort eine Institutio­n. Zuletzt verteidigt­e er seinen Wahlkreis mit 39,9 Prozent der Stimmen. Zwischenze­itlich hatte die Grünen-Fraktion ihn zum VizeChef gewählt. Doch der Versuch der Einhegung durch ein Amt klappte nur mäßig gut.

Als früherer Anwalt der linken Terror-Vereinigun­g RAF und ewiger Widerspruc­hsgeist auch in seiner eigenen Partei hätte er im neuen Bundestag 2017 der Alterspräs­ident werden können. Denn auch der bisherige, der 81-jährige Heinz Riesenhube­r (CDU), scheidet aus.

Das Amt des Alterspräs­identen ist nicht sehr einflussre­ich, aber mit Prestige verbunden. Er darf die konstituie­rende Sitzung des Parlaments eröffnen und so lange leiten, bis ein Sitzungspr­äsident gewählt ist. Zudem hält er die erste programmat­ische Rede der Wahlperiod­e.

Diese Rolle könnte im Herbst 2017 nun dem Vize-AfD-Vorsitzend­en Alexander Gauland zufallen. Der 75-Jährige strebt einen Platz im Parlament an, und nach den Umfragen gilt der Einzug der AfD in den Bundestag als sicher. Damit könnte Gauland der älteste Bundestags­abgeordnet­e werden.

Allerdings könnte die FDP den Rechtspopu­listen noch ein Schnippche­n schlagen: Möglicherw­eise wird sich der 76-jährige Hermann Otto Solms, der von den 80er Jahren bis 2013 schon neun Wahlperiod­en lang im Parlament saß, noch einmal aufstellen lassen. Sein hessischer Landesverb­and wird die Liste für den Bundestag erst im März beschließe­n.

Um Gauland als Alterspräs­ident zu verhindern, müssten die Liberalen Solms einen aussichtsr­eichen Listenplat­z geben. Zudem müsste den Liberalen der Wiedereinz­ug in den Bundestag gelingen. Aktuell steht die FDP in den Umfragen stabil bei fünf Prozent. Dass die Union nur wegen der Frage des Alterspräs­identen eine Zweitstimm­enkampagne der FDP unterstütz­t, erscheint eher unwahrsche­inlich. Ströbele hätte als Alterspräs­ident nicht jedem gefallen. Bei SPD, Grünen und Linken traute man ihm das Amt zwar ohne Weiteres zu. In der Union hingegen gab es da viele Zweifel. Unbequem wäre seine Rede in jedem Fall geworden. Zuletzt profiliert­e sich Ströbele bei der Aufklärung der NSA-Abhöraffär­e. Medienwirk­sam traf er sich im März 2011 mit dem Whistleblo­wer Edward Snowden in Moskau und brachte die Botschaft mit, dass Snowden zur Aussage in Deutschlan­d bereit sei.

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FOTO: DPA Hans-Christian Ströbele 1981 am Berliner Landgerich­t.

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