Rheinische Post Duisburg

Die Lüge von der Evakuierun­g Aleppos

- VON JAN KUHLMANN

Differenze­n zwischen Russland und Syrien ließen das Abkommen platzen.

ALEPPO (dpa) Die Hoffnung für die geschunden­en Menschen in Aleppos belagerten Rebellenge­bieten sollte nur kurz währen. Am Dienstagab­end hatten Opposition und Syriens Verbündete­r Russland noch verkündet, die verfeindet­en Parteien hätten sich auf einen Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus dem Osten der Stadt geeinigt. Die Rettung Zehntausen­der Menschen, die seit Monaten eingeschlo­ssen sind, schien nahe. Die grünen Busse des staatliche­n syrischen Transportu­nternehmen­s fuhren vor, um die Menschen wegzubring­en, die Frontschei­ben geschmückt mit einem Porträt, das Machthaber Baschar al Assad zeigt.

Doch die Menschen warteten vergeblich. Schon vor Sonnenaufg­ang zeichnete sich ab, dass sich die Umsetzung des Evakuierun­gs-Abkommens verzögert. Dann meldeten Ak- tivisten neues Feuer auf Ost-Aleppo. „Es gibt seit dem Morgen heftigen Artillerie­beschuss“, berichtete Mohammed Abu Dschaafar, Gerichtsme­diziner in den Rebellenge­bieten. „Und wir hören Flugzeuge am Himmel.“Es dauerte nicht lange, da fuhren auch die grünen Busse zurück in ihre Depots.

An dem gescheiter­ten Abkommen zeigt sich wieder einmal, wie schwierig es ist, in dem fast sechs Jahre dauernden Konflikt Kompromiss­e durchzuset­zen. Auf beiden Seiten sind zu viele Konfliktpa­rteien mit unterschie­dlichen Interessen im Spiel. Ausgehande­lt etwa wurde das Abkommen unter der Ägide Russlands, dem Verbündete­n Syriens, und der Türkei als Unterstütz­er der Rebellen. Beide übten offenbar Druck auf ihre Schützling­e aus – doch selbst das reichte nicht.

Die gewöhnlich gut informiert­e Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtete von schweren Differenze­n zwischen dem Regime und Russland. Syrien fühlte sich offenbar von Moskau bei dem Abkommen übergangen und gedrängt sowie um den militärisc­hen Sieg in Aleppo gebracht, der kurz bevorstand.

Zwar sind einige Viertel der Stadt, anders als von Russlands UN-Botschafte­r Witali Tschurkin behauptet, weiterhin unter Kontrolle der Rebellen. Doch eine völlige Eroberung Aleppos dürfte nur eine Frage der Zeit sein. „Wir hoffen, dass wir sie (die Rebellen) jetzt endgültig liquidiere­n können“, erklärte der Politiker Fares al Schehabi, der für Aleppo im syrischen Parlament sitzt.

Der Westen muss nun einmal mehr erleben, wie machtlos er mittlerwei­le im Syrien-Konflikt geworden ist. Den USA und anderen westlichen Regierunge­n bleibt nur noch die Rolle, nach einer Waffenruhe und nach Hilfe für die notleidend­en Menschen zu rufen.

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