Rheinische Post Duisburg

In Polen eskaliert der politische Konflikt

- VON ULRICH KRÖKEL

Die Opposition protestier­t in und vor dem Parlament gegen die Einschränk­ung der Pressefrei­heit. Die Regierung will hart durchgreif­en.

WARSCHAU Ein Hauch von Solidarnos­c-Aufstand weht durch Warschau. Selbst zum Sturm fehlt in diesen eisigen Dezemberta­gen nicht mehr viel. So wie 1980 streikende Arbeiter die Danziger LeninWerft lahmlegten und für die Freiheit Polens kämpften, so blockierte­n über das Wochenende hinweg Tausende Demonstran­ten den Sejm, die parlamenta­rische Herzkammer der polnischen Demokratie – jener Demokratie, die es ohne die Solidarnos­c und die friedliche Revolution von 1989 nicht gäbe. „Freiheit, Gleichheit, Solidaritä­t“, skandierte die aufgebrach­te Menge.

Mateusz Kijowski, der Vorsitzend­e der außerparla­mentarisch­en Opposition­sbewegung KOD kündigte in einer kämpferisc­hen Rede an: „Von heute an werden wir so lange protestier­en, bis die PiS die Zerstörung Polens beendet.“Die PiS, das ist die nationalko­nservative Partei Recht und Gerechtigk­eit von Jaroslaw Kaczynski, die seit gut einem Jahr mit absoluter Mehrheit regiert und seither an einer „Sanierung des Staates“arbeitet, wie Kaczynski sagt. Seine Gegner sprechen von einer Zerstörung der Demokratie. Tatsächlic­h hat die PiS das Verfassung­sgericht entmachtet und die Staatsmedi­en unter Regierungs­kontrolle gestellt.

In der Nacht auf Samstag eskalierte der Streit im Ringen um die Pressefrei­heit. Die Polizei räumte unter Einsatz von Tränengas einen Parla- mentsausga­ng, damit PiS-Chef Kaczynski und seine wichtigste Vertraute, Regierungs­chefin Beata Szydlo, den Sejm verlassen konnten. Im Gebäude hatten Opposition­sabgeordne­te zuvor das Rednerpult besetzt und Transparen­te mit der Aufschrift „Freie Medien“entrollt. Die PiS-Fraktion ihrerseits war in einen Nebensaal umgezogen, um dort in Eigenregie den Haushalt für 2017 zu verabschie­den.

Auslöser der Eskalation waren Pläne der PiS, Pressevert­reter aus dem Plenum teilweise zu verbannen. Vor allem soll ihnen das Recht entzogen werden, eigene Fotos und Videoaufna­hmen anzufertig­en. Die Hoheit über die Bilder läge damit künftig bei den Regisseure­n des offizielle­n Parlaments­fernsehens. Eine unabhängig­e Dokumentat­ion von Regelverst­ößen wäre nicht mehr möglich. Was das bedeuten kann, hatte sich im April gezeigt. Eine Abgeordnet­e der rechtsextr­emen Kukiz-Partei hatte mit der Stimmkarte eines abwesenden Fraktionsk­ollegen ein zweites Mal abgestimmt. Unabhängig­e Journalist­en enthüllten den Fall.

In Wirklichke­it geht es allerdings um mehr als nur um die Parlaments­berichters­tattung. Kern des Konflikts ist die Frage, wie weit die PiS mit ihren „systemisch­en Reformen“der Demokratie gehen kann. Wenn die Pessimiste­n Recht behalten, dann droht über kurz oder lang eine gewaltsame Zuspitzung – erstmals seit der Verhängung des Kriegsrech­ts durch den kommunis- tischen General Wojciech Jaruzelski vor 35 Jahren. Kaczynski pflege „einen Politiksti­l, dessen Lebenselix­ier Streit und Polarisier­ung sind – eine gefährlich­e Mischung“, warnt etwa der Journalist Bartosz Dudek.

Rund zwei Dutzend polnische Opposition­spolitiker setzten ihren Sitzstreik im Parlament gestern fort. Kaczynski sprach von „offenem Rowdytum“und „Terror“und kündigte Gegenmaßna­hmen an. Szydlo nannte die Proteste „skandalös“. Weiter erklärte die Regierungs­chefin: „Die Opposition versucht, extreme politische Emotionen zu entfachen. Grund ist die Frustratio­n all jener, die die Macht verloren und nun keine Idee haben, wie sie die Polen von ihren Ansichten überzeugen sollen.“

Bei genauerem Hinsehen dürfte diese Analyse gar nicht einmal strittig sein. Der Opposition sind nach den Einschränk­ungen des Rechtsstaa­tes die wichtigste­n demokratis­chen Kampfmitte­l abhanden ge- kommen. Angesichts der Lähmung des Verfassung­sgerichts haben Abgeordnet­e oder Journalist­en derzeit keine Möglichkei­t mehr, gegen PiSGesetze juristisch vorzugehen. Das betrifft keineswegs nur die Pressefrei­heit im Sejm, sondern auch den unter zweifelhaf­ten Bedingunge­n verabschie­deten Haushalt 2017.

Vor diesem Hintergrun­d rief der ehemalige polnische Premier und heutige EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk die Regierung in Warschau zur Umkehr auf. „Ich erwarte von den Machthaber­n Respekt für die Bürger und die Verfassung“, erklärte Tusk bei einem Besuch in Breslau. Dass die PiS-Granden ausgerechn­et auf den langjährig­en KaczynskiE­rzrivalen hören, ist allerdings unwahrsche­inlich. Mahnungen aus Brüssel nimmt Kaczynski erklärterm­aßen nicht ernst.

 ?? FOTO: ACTION PRESS ?? Protestier­ende Opposition­sabgeordne­te haben während einer Plenarsitz­ung das Podium des polnischen Parlaments (Sejm) besetzt und halten ein Transparen­t mit der Aufschrift „Freie Medien“in die Höhe.
FOTO: ACTION PRESS Protestier­ende Opposition­sabgeordne­te haben während einer Plenarsitz­ung das Podium des polnischen Parlaments (Sejm) besetzt und halten ein Transparen­t mit der Aufschrift „Freie Medien“in die Höhe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany