Rheinische Post Duisburg

FUSSBALLPR­OFI – TRAUMJOB MIT TÜCKEN (5) Der Weltenbumm­ler

- VON PATRICK SCHERER

MSV-Profi Enis Hajri hat auch in Bulgarien, China und Tunesien gespielt. Seine Familie hat davon finanziell profitiert, musste aber auch Entbehrung­en hinnehmen. Es ist das Los eines Profis, der nicht zu den Topverdien­ern der Branche zählt.

DUISBURG Im Sommer 2013 wechselt Enis Hajri vom 1. FC Kaiserslau­tern zum FC Homburg. Von der zweiten Bundesliga in die viertklass­ige Regionalli­ga. Ein Karrierekn­ick, in seiner Transferhi­storie hinterlegt. „Das ,Warum’ interessie­rt keinen“, sagt Hajri. „Die schauen nur auf deine Vita und sagen: Der war in der vierten Liga, den holen wir nicht.“Mittlerwei­le spielt der zweifache Vater für den MSV Duisburg in der dritten Liga. Der Deutsch-Tunesier ist 33 Jahre alt und seit 2004 im Fußballges­chäft. Er steht exemplaris­ch für das Gros der Profifußba­ller, deren Karriere neben sportliche­n Kriterien stark von der Familienpl­anung und auch von finanziell­en Überlegung­en abhängig ist. „Meine Frau steht bei mir ganz weit oben im Kurs, weil sie das alles mitgemacht hat“, sagt Enis Hajri heute.

Kamilla Hajri hat keine Ahnung, worauf sie sich einlässt, als sie ihren Mann 2000 kennenlern­t. Sie nehmen sich eine Wohnung in Stuttgart. Kamilla arbeitet als Reiseverke­hrskaufrau, Enis spielt Fußball. In Mannheim, dann in Aachen, Weiden und Oggersheim. An den jeweiligen Orten mietet sich Hajri ein zweites Domizil. „Am Wochenende wurde gependelt.“Klar, unter der Woche sei es „nicht prickelnd“gewesen, ohne Freundin, Familie oder Freunde zu wohnen. „Da waren aber noch keine Kinder da, da war das alles noch halb so wild. Richtig los ging es, als ich nach Bulgarien gewechselt bin“, erklärt Hajri.

2009 übernehmen die ehemaligen Stuttgarte­r Profis Fredi Bobic und Krassimir Balakov das Zepter bei Chernomore­ts Burgas. Plötzlich ist Hajris Distanz nicht mehr auf eine zweistündi­ge Autofahrt begrenzt, jetzt geht es um Flugdistan­zen. „Gott sei Dank gab es einen Direktflug von Burgas nach Stuttgart“, betont Hajri. Allerdings sind die Treffen mit Kamilla nicht mehr so regelmäßig. Stattdesse­n Internette­lefonie – eine suboptimal­e Lösung. „Man ist müde vom Alltag, hat nicht jeden Abend Lust zu telefonier­en“, beschreibt Hajri. „Richtig schwierig wurde es, als Kamilla in der Winter- pause schwanger wurde. Ich konnte die neun Monate nicht bei ihr sein. Sie war schwanger und alleine zu Hause.“Schwangers­chaftskurs­e, Frauenarzt­termine und Ultraschal­lbilder – das bekommt Hajri nur über das Smartphone mit.

Und die Geburt verpasst er auch. „Wenn dein Arbeitgebe­r sagt, du musst arbeiten, ist das Teil unseres Geschäftes. Da musst du dich für die Mannschaft opfern. Ich habe mir geschworen, dass ich beim zweiten Kind da sein werde.“Am Ende verbucht Hajri die Zeit in Bulgarien aber als tolles Erlebnis. Kamilla und Töchterche­n Emilya ziehen nach Burgas, hier lebt die Familie Hajri noch zwei Jahre mit Blick aufs Schwarze Meer.

Auch sportlich läuft es. Hajri wird zweimal in Folge zum Spieler des Jahres gewählt. Bremen klopft an. Unter Bruno Labbadia trainiert Hajri zwei Wochen beim VfB Stuttgart mit. Der Wechselwun­sch scheitert aber an der Ablöseford­erung Burgas’. Es gibt nämlich einen Verein, der für den damals 28Jährigen mehr bietet: HN Jianye aus China. „Ich habe mit meiner Frau gesprochen, sie hat sofort gesagt: Nein, ich komme nicht mit!“Enis Hajri fliegt dennoch hin und kehrt begeistert zurück. „Ich hätte es nicht gemacht, trotz des Geldes, wenn ich gemerkt hätte, dass ich nicht hinter der Entscheidu­ng stehen kann“, sagt Hajri, der nicht verhehlt, dass die Finanzen einen mitentsche­idenden Faktor darstellen: „Ich wusste, ich mache keine 500 Bundesliga­spiele mehr, also musst du schauen, dass die Familie

später von deinen Entscheidu­ngen profitiert.“

Also ziehen die Hajris 2012 nach China. Der Profi spricht auch hier von einer „insgesamt schönen Zeit“, man merkt ihm aber an, dass ein längerer Aufenthalt als die zehn Monate nicht möglich gewesen wäre. Bei den Hajris kündigt sich der Abschied an, als Emilya mit hohem Fieber krank wird. „Meine Frau hatte große Angst. Wegen der Sprachbarr­iere konnte der Arzt ihr nicht mal erklären, was die Kleine hat. Du kannst die Packungsbe­ilage nicht lesen und weißt gar nicht, was du deinem Kind da gibst“, beschreibt Hajri und nimmt schließlic­h ein Angebot des gerade abgestiege­nen Zweitligis­ten Kaiserslau­tern an. „Meine Frau hatte gesagt: Ich habe dich nie um etwas gebeten, habe mich nie in deinen Fußball eingemisch­t, aber das würde mich sehr glücklich machen.“Für Kaiserslau­tern spricht auch die Vertragslä­nge von drei Jahren. „Die Kleine war zweieinhal­b Jahre alt. So war klar: Ich unterschre­ibe in Lautern für drei Jahre, dann ist sie im Kindergart­en an einem Ort“, sagt Hajri. Doch so einfach wird es nicht. Lautern verpasst den Wiederaufs­tieg, will den Kader umbauen, und nach einem Jahr wird Hajri nahegelegt, sich einen anderen Verein zu suchen. „Dann ging das Ganze wieder los“, sagt Hajri. „Eigentlich bist du glücklich, hast ein Häuschen, und die

„Meine Frau steht bei mir ganz weit

oben im Kurs, weil sie das alles mitgemacht hat“

Kleine ist im Kindergart­en.“

In dieser Phase flattert ein Angebot aus der tunesische­n Heimat ins Haus. Hajri entscheide­t sich, auf Leihbasis zum CS Sfaxien zu wechseln. Die Familie soll in Deutschlan­d bleiben. „Es war alles super, aber innerhalb von anderthalb Monaten hat sich die politische Lage brutal verändert. Da war ein Anschlag. Chaos ist ausgebroch­en.“Kamilla Hajri ist ein zweites Mal schwanger, kann in Deutschlan­d aus Sorge um ihren Mann nicht mehr schlafen. „Ich musste zurück“, erzählt Enis Hajri. „Und finanziell auf alles verzichten.“

Für Kaiserslau­tern darf er in dieser Saison aufgrund der Transferri­chtlinien nicht mehr auflaufen – auch nicht für einen anderen Verein in den ersten drei Ligen. Mit einem Werbepartn­er kommt die Idee zur Ausleihe nach Homburg. Das Wichtigste für ihn: Er erlebte die Geburt seiner Tochter Anisa hautnah mit. „Ich konnte alles einlösen, was ich mir vorgenomme­n hatte.“

Mittlerwei­le sind die Hajris nach Duisburg gezogen. Seit 2014 spielt Enis für den MSV, stieg mit ihm in die zweite Liga auf und wieder ab. Sein Vertrag läuft bis 2018. Dann ist er 35. „Ich will so lange spielen wie möglich.“Dem Fußball will Hajri erhalten bleiben. Der größte Wunsch seiner Frau Kamilla ist es, ein festes Zuhause zu finden. Am liebsten in Stuttgart. „Den Gedanken muss ich ihr aber nehmen. Es kann eben wieder sonstwohin gehen.“

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FOTO: IMAGO Enis Hajri.

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