FUSSBALLPROFI – TRAUMJOB MIT TÜCKEN (5) Der Weltenbummler
MSV-Profi Enis Hajri hat auch in Bulgarien, China und Tunesien gespielt. Seine Familie hat davon finanziell profitiert, musste aber auch Entbehrungen hinnehmen. Es ist das Los eines Profis, der nicht zu den Topverdienern der Branche zählt.
DUISBURG Im Sommer 2013 wechselt Enis Hajri vom 1. FC Kaiserslautern zum FC Homburg. Von der zweiten Bundesliga in die viertklassige Regionalliga. Ein Karriereknick, in seiner Transferhistorie hinterlegt. „Das ,Warum’ interessiert keinen“, sagt Hajri. „Die schauen nur auf deine Vita und sagen: Der war in der vierten Liga, den holen wir nicht.“Mittlerweile spielt der zweifache Vater für den MSV Duisburg in der dritten Liga. Der Deutsch-Tunesier ist 33 Jahre alt und seit 2004 im Fußballgeschäft. Er steht exemplarisch für das Gros der Profifußballer, deren Karriere neben sportlichen Kriterien stark von der Familienplanung und auch von finanziellen Überlegungen abhängig ist. „Meine Frau steht bei mir ganz weit oben im Kurs, weil sie das alles mitgemacht hat“, sagt Enis Hajri heute.
Kamilla Hajri hat keine Ahnung, worauf sie sich einlässt, als sie ihren Mann 2000 kennenlernt. Sie nehmen sich eine Wohnung in Stuttgart. Kamilla arbeitet als Reiseverkehrskaufrau, Enis spielt Fußball. In Mannheim, dann in Aachen, Weiden und Oggersheim. An den jeweiligen Orten mietet sich Hajri ein zweites Domizil. „Am Wochenende wurde gependelt.“Klar, unter der Woche sei es „nicht prickelnd“gewesen, ohne Freundin, Familie oder Freunde zu wohnen. „Da waren aber noch keine Kinder da, da war das alles noch halb so wild. Richtig los ging es, als ich nach Bulgarien gewechselt bin“, erklärt Hajri.
2009 übernehmen die ehemaligen Stuttgarter Profis Fredi Bobic und Krassimir Balakov das Zepter bei Chernomorets Burgas. Plötzlich ist Hajris Distanz nicht mehr auf eine zweistündige Autofahrt begrenzt, jetzt geht es um Flugdistanzen. „Gott sei Dank gab es einen Direktflug von Burgas nach Stuttgart“, betont Hajri. Allerdings sind die Treffen mit Kamilla nicht mehr so regelmäßig. Stattdessen Internettelefonie – eine suboptimale Lösung. „Man ist müde vom Alltag, hat nicht jeden Abend Lust zu telefonieren“, beschreibt Hajri. „Richtig schwierig wurde es, als Kamilla in der Winter- pause schwanger wurde. Ich konnte die neun Monate nicht bei ihr sein. Sie war schwanger und alleine zu Hause.“Schwangerschaftskurse, Frauenarzttermine und Ultraschallbilder – das bekommt Hajri nur über das Smartphone mit.
Und die Geburt verpasst er auch. „Wenn dein Arbeitgeber sagt, du musst arbeiten, ist das Teil unseres Geschäftes. Da musst du dich für die Mannschaft opfern. Ich habe mir geschworen, dass ich beim zweiten Kind da sein werde.“Am Ende verbucht Hajri die Zeit in Bulgarien aber als tolles Erlebnis. Kamilla und Töchterchen Emilya ziehen nach Burgas, hier lebt die Familie Hajri noch zwei Jahre mit Blick aufs Schwarze Meer.
Auch sportlich läuft es. Hajri wird zweimal in Folge zum Spieler des Jahres gewählt. Bremen klopft an. Unter Bruno Labbadia trainiert Hajri zwei Wochen beim VfB Stuttgart mit. Der Wechselwunsch scheitert aber an der Ablöseforderung Burgas’. Es gibt nämlich einen Verein, der für den damals 28Jährigen mehr bietet: HN Jianye aus China. „Ich habe mit meiner Frau gesprochen, sie hat sofort gesagt: Nein, ich komme nicht mit!“Enis Hajri fliegt dennoch hin und kehrt begeistert zurück. „Ich hätte es nicht gemacht, trotz des Geldes, wenn ich gemerkt hätte, dass ich nicht hinter der Entscheidung stehen kann“, sagt Hajri, der nicht verhehlt, dass die Finanzen einen mitentscheidenden Faktor darstellen: „Ich wusste, ich mache keine 500 Bundesligaspiele mehr, also musst du schauen, dass die Familie
später von deinen Entscheidungen profitiert.“
Also ziehen die Hajris 2012 nach China. Der Profi spricht auch hier von einer „insgesamt schönen Zeit“, man merkt ihm aber an, dass ein längerer Aufenthalt als die zehn Monate nicht möglich gewesen wäre. Bei den Hajris kündigt sich der Abschied an, als Emilya mit hohem Fieber krank wird. „Meine Frau hatte große Angst. Wegen der Sprachbarriere konnte der Arzt ihr nicht mal erklären, was die Kleine hat. Du kannst die Packungsbeilage nicht lesen und weißt gar nicht, was du deinem Kind da gibst“, beschreibt Hajri und nimmt schließlich ein Angebot des gerade abgestiegenen Zweitligisten Kaiserslautern an. „Meine Frau hatte gesagt: Ich habe dich nie um etwas gebeten, habe mich nie in deinen Fußball eingemischt, aber das würde mich sehr glücklich machen.“Für Kaiserslautern spricht auch die Vertragslänge von drei Jahren. „Die Kleine war zweieinhalb Jahre alt. So war klar: Ich unterschreibe in Lautern für drei Jahre, dann ist sie im Kindergarten an einem Ort“, sagt Hajri. Doch so einfach wird es nicht. Lautern verpasst den Wiederaufstieg, will den Kader umbauen, und nach einem Jahr wird Hajri nahegelegt, sich einen anderen Verein zu suchen. „Dann ging das Ganze wieder los“, sagt Hajri. „Eigentlich bist du glücklich, hast ein Häuschen, und die
„Meine Frau steht bei mir ganz weit
oben im Kurs, weil sie das alles mitgemacht hat“
Kleine ist im Kindergarten.“
In dieser Phase flattert ein Angebot aus der tunesischen Heimat ins Haus. Hajri entscheidet sich, auf Leihbasis zum CS Sfaxien zu wechseln. Die Familie soll in Deutschland bleiben. „Es war alles super, aber innerhalb von anderthalb Monaten hat sich die politische Lage brutal verändert. Da war ein Anschlag. Chaos ist ausgebrochen.“Kamilla Hajri ist ein zweites Mal schwanger, kann in Deutschland aus Sorge um ihren Mann nicht mehr schlafen. „Ich musste zurück“, erzählt Enis Hajri. „Und finanziell auf alles verzichten.“
Für Kaiserslautern darf er in dieser Saison aufgrund der Transferrichtlinien nicht mehr auflaufen – auch nicht für einen anderen Verein in den ersten drei Ligen. Mit einem Werbepartner kommt die Idee zur Ausleihe nach Homburg. Das Wichtigste für ihn: Er erlebte die Geburt seiner Tochter Anisa hautnah mit. „Ich konnte alles einlösen, was ich mir vorgenommen hatte.“
Mittlerweile sind die Hajris nach Duisburg gezogen. Seit 2014 spielt Enis für den MSV, stieg mit ihm in die zweite Liga auf und wieder ab. Sein Vertrag läuft bis 2018. Dann ist er 35. „Ich will so lange spielen wie möglich.“Dem Fußball will Hajri erhalten bleiben. Der größte Wunsch seiner Frau Kamilla ist es, ein festes Zuhause zu finden. Am liebsten in Stuttgart. „Den Gedanken muss ich ihr aber nehmen. Es kann eben wieder sonstwohin gehen.“