Auf leisen Sohlen
Heinrich Deichmann folgt als Chef von Europas größtem Schuhhändler christlichen Leitlinien — wie schon sein Vater vor ihm. Porträt eines Mannes, der gleichzeitig für Unternehmertum und soziales Engagement steht.
DÜSSELDORF Wenn der Durchschnittsdeutsche nach einem Synonym für profitgierige Manager sucht, ist er schnell bei Josef Ackermann, dem Ex-Chef der Deutschen Bank. Bei dem Mann also, der vor Jahren den Abbau Tausender Stellen und beinah im gleichen Atemzug eine Zielrendite von 25 Prozent auf das eingesetzte Kapital verkündete, die abseits aller ökonomischen Erreichbarkeit in der breiten Öffentlichkeit moralische Entrüstung auslöste.
Wenn der Durchschnittsdeutsche nach einem Synonym für ein Unternehmen sucht, dem das Attribut „besonders sozial“anhaftet, ist er schnell beim Schuhhändler Deichmann. Ein Konzern, der ungeachtet früherer Diskussionen um Umweltstandards bei Zulieferern in Indien und Fertigungsbedingungen in Produktionsländern wie Kambodscha den Ruf genießt, Mitarbeiter sehr fair zu behandeln, der sich christlichen Grundsätzen verpflichtet fühlt und mit Förderprojekten versucht, den sozialen Zusammenhalt zu pflegen.
Heinrich Deichmann, Verwaltungsratschef des Schuhkonzerns, reist dafür vier Wochen im Jahr um die Welt und schaut sich an, was aus den Deichmann-Projekten entsteht. Nach Indien, nach Tansania, nach Griechenland und Moldawien. Die Themen: Gesundheit und Bildung, medizinische Versorgung, Flüchtlingshilfe in Herkunftsländern genauso wie in Deutschland. Deichmanns Erkenntnis: „Integration ist eine riesige Aufgabe. Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Man muss Projekte öffentlich machen, damit diese Nachahmer finden.“
Weil er so denkt, sitzt Heinrich Deichmann an diesem Tag auf einem Stuhl im Düsseldorfer Sparkassen-Zentrum, umringt von Grundschülern aus Rostock, aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlicher Hautfarbe. Die staatliche Grundschule aus der Hansestadt an der Ostsee hat einen der Förderpreise für die Integration benachteiligter Jugendlicher in Ausbildung und Beruf bekommen. Kinder aus 18 Nationen in 22 Klassen, mit Migrationshintergrund, mangelnden Deutschkenntnissen, Entwicklungsverzögerungen, Lernschwierigkeiten. Insgesamt 100.000 Euro Preisgeld lobt Deichmann dafür jährlich aus. Heinrich Deichmann übergibt die Preise selbst, lässt sich mit den Gewinnern fotografieren, unterhält sich intensiv mit den Preisträgern, er nimmt sich mehrere Stunden Zeit. Für Teilnehmer und Journalisten. Je mehr Öffentlichkeit, desto besser.
Dabei ist Heinrich Deichmann, 54, Ehemann und Vater zweier Kinder, alles andere als ein Sozialonkel. Sondern der Kopf eines global agierenden Konzerns, der in 24 Ländern un- terwegs ist und 2015 mit mehr als 37.000 Mitarbeitern in rund 3700 Filialen erstmals mehr als fünf Milliarden Euro umsetzte.
Ob man bei Deichmann kauft oder nicht – eine Filiale hat jeder Deutsche schon gesehen, und mit der Marke Elefanten, die der Essener Schuhhändler vor einigen Jahren übernommen hat, sind viele sogar ans Laufen gekommen. Die Devise des Konzerns: Das Schuhwerk muss bezahlbar bleiben. „Als mein Großvater in Essen-Borbeck einen Schuhmacherladen aufmachte, da war ihm wichtig, dass Nachbarn und Freunde in der Lage sind, sich diese Schuhe zu leisten. Und deswegen hatte er für sich persönlich den Anspruch, ihnen gute Qualität zu bieten, aber zu günstigen Preisen“, hat Heinrich Deichmann 2012 in einem Interview gesagt.
Wer Deichmann bis vor einigen Jahren noch nicht kannte, dem ist der Konzern vielleicht durch berühmte Werbeträger präsenter geworden – durch die Oscar-Gewinnerin und James-Bond-Begleiterin Halle Berry, das Supermodel Cindy Crawford mit einer Deichmann-exklusiven Kollektion oder den Musi- ker und Extremsportler Joey Kelly. Da stellt sich die Frage, ob die Firmengruppe mit ihren Sozialprojekten gleichzeitig Verkaufsförderung betreiben will, wohl nicht mehr.
Ergebniszahlen nennt das Unternehmen traditionell nicht, aber Zweifel an der Profitabilität lässt Deichmann nicht aufkommen. Natürlich hinkt der eingangs erwähnte
Heinrich Deichmann Vergleich mit Ackermann – auch deshalb, weil die Arbeit des Schweizer Managers am Ende an der Attraktivität der Deutschen Bank für Investoren gemessen wurde, sprich am Aktienkurs, und weil ein großes börsennotiertes Unternehmen mit anderen Maßstäben zu messen ist als eine deutlich kleinere Familiengruppe, deren Erfolgsmesslatte die Erwartungshaltung einer einzelnen Inhaberfamilie ist. Die gibt sich traditionell bescheiden. Trotzdem ist Deichmann selbstverständlich kein Sozialverein, sondern ein Unternehmen, das Geld verdienen will. Aber Heinrich Deichmann weigert sich, ein Renditeziel vorzugeben: „Natürlich wollen wir auch Gewinn machen, aber Gewinnmaximierung ist nicht die oberste Maxime.“Es folgt eine ergänzende Abwandlung des Leitsatzes, den schon sein Vater und sein Großvater der Firmenpolitik voranstellten: „Das Unternehmen muss in erster Linie Kunden, danach aber auch den Mitarbeitern dienen.“
Geringschätzer dieser Philosophie mögen das als Naivität abtun, andere würden es als Worthülse bezeichnen, wieder andere als rein philanthropisches Gedankengut empfinden, das nicht in die Welt der modernen Ökonomie passt. Aber auch bei diesem Satz glaubt Deichmann an den betriebswirtschaftlichen Nutzen seines Denkens. Motto: Wer beispielsweise seine Mitarbeiter deutlich über Tarif bezahlt und in diesen Zeiten zu denen gehört, die ein volles Gehalt als Weihnachtsgeld zahlen, schafft damit auch Anreize für die Mitarbeiter – ein Instrument der Motivation. So ähnlich wie die Überzeugung, dass die Belegschaft einen Tag Ruhe pro Woche braucht. Deshalb öffnet Deichmann zwar in Shoppingzentren auch am Sonntag. Aber: „Ich bin nicht derjenige, der für die Sonntagsöffnung im Handel kämpft“, sagt Heinrich Deichmann.
Da würde die Gewerkschaft Verdi, die jüngst mehrfach vor Gericht erfolgreich gegen verkaufsoffene Sonntage in mehreren deutschen Städten kämpfte, vermutlich jubilieren. Für Heinrich Deichmann ist der Sonntag ohnehin anderen Dingen gewidmet. „Mir würde etwas fehlen, wenn ich sonntags nicht in die Kirche ginge“, versichert er, aus religiöser Überzeugung und Erziehung. Ein Teil des Wochenendes gehört also Kirche und Familie. Ein anderer dem Fußball. Wobei die Leidenschaft des Heinrich Deichmann eine eigentümliche ist. Sein Herz schlägt nämlich gleichzeitig für den Rekordmeister Bayern München, dem sich der Schuhhändler seit den 70er-Jahren verbunden fühlt, und für dessen Rivalen Borussia Dortmund, der die Sympathie des Unternehmers zu Beginn dieses Jahrzehnts gewonnen hat. Die Kombination dürfte selten sein. Aber vielleicht passt sie gerade deshalb gut zu Heinrich Deichmann.
„Ich bin nicht derjenige, der für die Sonntagsöffnung im
Handel kämpft“
Deichmann-Chef