Rheinische Post Duisburg

Der Maghreb-Versteher

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Ein Düsseldorf­er Polizist pflegt den Kontakt zu muslimisch­en Gemeinden in der Stadt.

DÜSSELDORF Dirk Sauerborn trägt Turnschuhe und Jeans zur Lederjacke. Er könnte gut und gerne Lehrer sein. Oder Sozialarbe­iter. Ist er aber nicht. Sauerborn ist Polizist, und das schon seit fast 40 Jahren. Objektschü­tzer war er mal. Hat Öffentlich­keitsarbei­t gemacht. Haftbefehl­e vollstreck­t. Sogar den Verkehr hat er geregelt. Seit 2012 hat Sauerborn eine andere Aufgabe: Er ist Kontaktbea­mter und Ansprechpa­rtner für Interkultu­relle Angelegenh­eiten im Polizeiprä­sidium Düsseldorf. Der 56-Jährige mag seinen Job. Und nimmt ihn sehr ernst.

Ein Abend nahe der Düsseldorf­er Stadtmitte. Rund 25 Interessie­rte haben sich vor der Sparkasse am Oberbilker Markt versammelt. Sie möchten sich von Sauerborn jenes Viertel des Stadtteils zeigen lassen, in dem seine Kollegen in einem Analysepro­jekt mehr als 2240 Straftäter registrier­t haben und das seit

„Gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt hat in den Herkunftsl­ändern dieser Menschen

großen Wert“

Dirk Sauerborn einer Großrazzia vor einem Jahr als „Maghreb-Viertel“in den Medien präsent ist. Den Stadtteil hinter dem Bahnhof kennt der Kontaktbea­mte wie die viel zitierte eigene Westentasc­he. „Herzlicher, rau, mit Ecken und Kanten“, findet Sauerborn. Er betont Oberbilk französisc­h: auf der zweiten Silbe.

Natürlich weiß der Gesetzeshü­ter auch, dass auf dem Moskauer Platz, wo ein ehemaliger Oberbürger­meister gerne ein russisches Handelszen­trum hätte erblühen sehen, eine Puschkin-Büste steht. Und so startet der interkultu­relle Rundgang durch Oberbilk damit, dass Polizeihau­ptkommissa­r Sauerborn ein Liebesgedi­cht des russischen Nationaldi­chters rezitiert. An eine unerwidert­e Liebe. „Das sind ja die schönsten“, sagt er.

Ein paar Tage später. Wieder in Oberbilk. Das Restaurant Marchica hat erst kürzlich geöffnet. Sauerborn kennt den Bruder des Gastronome­n vom Eislaufen an der Brehmstraß­e. Er kennt sie alle im Viertel. Den Mann von der Patisserie Tanger an der Ellerstraß­e. Die Betreiber des muslimisch­en Beerdigung­sinstituts. Die Imame der Moscheen. Der Polizist ist mit dem Fahrrad da. Sauerborn ist passionier­ter Radfahrer. Vorigen Sommer ist er quer durch die Republik gera- delt. Vom Ellenbogen auf Sylt bis hinter Oberstorf. 1600 Kilometer in 14 Tagen. Dieses Jahr will er das Land von West nach Ost durchquere­n, von Selfkant-Tüddern bis nach Neißeaue im Landkreis Görlitz.

Das Erste, was an ihm auffällt, ist seine offene Art, der weite Horizont. Sauerborn hat zu vielen Themen was zu sagen und macht das auch. Literatur. Reisen. Theater. Stadtplanu­ng. Im Gespräch mit ihm kommt man „von Hölzchen auf Stöckchen“, wie man im Rheinland sagt. Aber er ist kein reiner Sender, kann auch gut zuhören, ist neugierig auf alles und jeden. Eine gute Grundvorau­ssetzung für seine Aufgabe.

„Eigentlich wollte ich Lehrer werden“, sagt Sauerborn. Weil er aber bei einer alleinerzi­ehenden Mutter aufwuchs, entschied er sich, die Schule früher zu verlassen, um Geld zu verdienen. Sauerborn machte die Mittlere Reife und absolviert­e eine Ausbildung bei der Polizei. Die hatte er bereits mit 19 abgeschlos­sen. Später holte er die Fachhochsc­hulreife nach und studierte an der Fachhochsc­hule für öffentlich­e Verwaltung NRW in Wuppertal, Fachbereic­h Polizei.

Zum ersten Mal in Kontakt mit Muslimen kam er noch im Elternhaus. Das war Anfang der 70er Jahre. Sauerborns Mutter hatte damals mehrere Zimmer an Studenten aus Marokko untervermi­etet. „Die haben dann für uns marokkanis­ch ge- kocht“, erinnert er sich. „Tajine, Couscous und Hackfleisc­hbällchen.“Sein Interesse für die fremde Kultur war geweckt.

Mit 18 reiste er erstmals nach Marokko. Mit der Fähre, von Spanien aus. Nicht unbedingt eine gute Erfahrung, zumal er am Fähranlege­r von einem Einheimisc­hen abgepasst und direkt in den Souk, den Basar, gebracht wurde. Eine Situation, aus der man sich nur schwer befreien kann. Ohne Gesichtsve­rlust. Und ohne Dinge zu erwerben, die man eigentlich nicht haben will. Sauerborn kaufte einen Dolch, eine Djellabah (Gewand) und einen Teppich. Und nahm die nächste Fähre zurück nach Spanien.

Ein anderer hätte daraufhin beschlosse­n, das Land nicht mehr zu bereisen. Nicht so Sauerborn. Er glaubt an die zweite Chance. Immer wieder zog es ihn in den folgenden Jahren nach Nordafrika, nach Marokko und Tunesien. Er las den Koran. Er lernte viel über die Kultur der Menschen. Ihre Religion. Trotzdem tritt auch er manchmal noch in Fettnäpfch­en. Oft geht es dabei um das Thema Ehre. Die entspreche­nde Anekdote möchte er, da bittet er um Verständni­s, aber nicht aufgeschri­eben wissen. An der Stelle, an der er arbeitet, ist es wichtig, Geheimniss­e zu bewahren.

„Im Moment bin ich viel in Oberbilk“, sagt der Polizist. Sauerborn hat an der Theaterpro­duktion „Da- hin wo Milch und Honig fließen“mitgewirkt. Er war beim Flashmob in der Unterführu­ng am Mintroppla­tz zugegen und bei den Aufmärsche­n der islamfeind­lichen „Dügida“-Gruppe in der Nähe der marokkanis­chen Moschee. Als das Land Anfang 2014 in Bonn, Bochum und Düsseldorf ein Pilotprogr­amm zur Bekämpfung des gewaltbere­iten Salafismus initiierte, gehörte er zu den Gründungsm­itgliedern des Vereins „Wegweiser“, der an an Schulen und in Jugendfrei­zeitstätte­n über das Thema informiert, aber auch sehr konkret Eltern, Freunde oder Lehrer junger Menschen berät, die sich um gefährdete Jugendlich­e sorgen. „Der Bedarf ist groß“, sagt Sauer- born, vor allem bei den Lehrern, aber auch in den muslimisch­en Gemeinden. Er sitzt am Runden Tisch mit muslimisch­en Vereinen und Geschäftsl­euten, den die Polizei einst angeregt hatte und der sich vor zehn Jahren mit der „Düsseldorf­er Erklärung für Dialog, Frieden und Integratio­n“von religiösem Extremismu­s distanzier­te. Die Muslime vertrauen ihm, schätzen seinen Rat. Und Sauerborn weiß, wie er sie nehmen muss. „Wenn ich beispielsw­eise in die Moschee gehe, trage ich Uniform“, sagt er. Das sei eine Frage des Respekts, man erwarte es dort.

Sauerborn hat schon zahlreiche Freitagsge­bete erlebt. „Ich setze mich still an den Rand, auf den Teppich, hinter die Betenden“, sagt er. Der Polizist ist beeindruck­t vom Schultersc­hluss, der Art und Weise, wie die Muslime in der Moschee als Gruppe zusammenst­ehen. „Gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt stellt in den Herkunftsl­ändern dieser Menschen einen großen Wert dar“, sagt er. „Ganz anders als bei uns.“

Gibt es denn nun seiner Meinung nach ein Miteinande­r zwischen der nordafrika­nischen Community und den Deutschen im Stadtteil Oberbilk? Sauerborn überlegt kurz. Und gibt dann eine überrasche­nde Antwort. Das Miteinande­r, findet er, dürfe gar nicht das Ideal sein. „Ich glaube, mit einem friedliche­n Nebeneinan­der ist schon sehr viel erreicht.“

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Dirk Sauerborn im sogenannte­n Maghreb-Viertel im Düsseldorf­er Stadtteil Oberbilk. Oft ist er hier in Zivil unterwegs, aber wenn er etwa eine Moschee besucht, trägt der Polizist die Uniform – „das ist eine Frage des Respekts“.
FOTO: ANNE ORTHEN Dirk Sauerborn im sogenannte­n Maghreb-Viertel im Düsseldorf­er Stadtteil Oberbilk. Oft ist er hier in Zivil unterwegs, aber wenn er etwa eine Moschee besucht, trägt der Polizist die Uniform – „das ist eine Frage des Respekts“.

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