Rheinische Post Duisburg

Motto: „Euer Hass ist unser Ansporn“

- VON OLAF REIFEGERST­E

Der aktuelle NSU-Prozess als szenisch-musikalisc­he Dokumentat­ion im EarPort.

Der Duisburger „EarPort“und das Schlossthe­ater Moers (STM) arbeiten seit anderthalb Jahren mit unterschie­dlichen ästhetisch­en Mitteln an der künstleris­chen Auseinande­rsetzung mit dem seit Mitte 2013 andauernde­n NSU-Prozess und den Auswirkung­en rechtsextr­emer Gewalt in Deutschlan­d. Nach der Premiere unter dem Titel „233ff“im Oktober 2015 im Moerser Peschkenha­us und einer zweiten Staffel im Oktober 2016 in Würzburg, war die Aufführung am Mittwochab­end im „EarPort“die dritte Fortschrei­bung dieses außergewöh­nlichen Musik-Theater-Projektes. Der Spielort der Aufführung war symbolhaft für das Thema, liegt „EarPort“doch mitten im „Garten der Erinnerung“und in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zur Synagoge. So ließ es sich Duisburgs Kulturdeze­rnent Thomas Krützberg nicht nehmen, bei seiner Begrüßung ein Zitat von Bundespräs­ident Joachim Gauck zu verwenden, um der Aufführung ein gesellscha­ftspolitis­ches Motto mit auf den Weg zu geben: „Wir schenken Euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn.“

Und so ist es den Duisburger Komponiste­n und Performern Gerhard Stäbler und Kunsu Shim für „EarPort“sowie dem Intendante­n und Regisseur Ulrich Greb, der Dramaturgi­n Annika Stadler als auch den beiden Schauspiel­ern Frank Wickermann und Patrick Dollas vom STM zu verdanken, dass sie jenem Appell ein künstleris­ches Gesicht mit der Inszenieru­ng verleihen und politisch nicht aufgeben, Licht in das Dunkel rechter Gesinnung und Gewalt zu bringen.

Der Aufführung­stag am Mittwoch in Duisburg war zugleich der 334. Prozesstag in München. So war das Datum der Vorstellun­g, einen Tag nach Wiederaufn­ahme des Verfahrens gegen Beate Zschäpe und andere, zeitgenau und aktuell. 90 Prozent der vorgetrage­nen Texte sind Auszüge aus Protokolle­n des NSUVerfahr­ens in der Zeit 6. Mai 2013 bis 9. Januar 2017.

Wickermann und Dollas sitzen an zwei Tischen, auf denen sich Aktenordne­r und je eine manuelle Schreibmas­chine befinden. Dahin- ter steht ein „Reißwolf“zum Vernichten von Altpapier. Das ist alles. Und das ist gut, bleibt so doch der Fokus der Rezeption weitgehend auf der Dokumentat­ion. Dieser auch räumliche Teil der Inszenieru­ng symbolisie­rt vermutlich die formale Ebene der Prozessaus­einanderse­tzung. Vis-à-vis davon agieren Stäbler und Shim musisch an zwei Laptops und/oder performen mit Pflanzen verschiede­ner Art. Dieser Teil der Inszenieru­ng soll wohl das Leben und dessen Zerstörung, zugleich aber auch den Weg auf ein Leben danach symbolisie­ren, wenn beide nämlich die zerrupften Ranken als neue Triebe in kleine Blumentöpf­e einpflanze­n und allen Besuchern für ihren Heimweg mitgeben.

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