Rheinische Post Duisburg

Stahlfusio­n: Thyssenkru­pp macht Druck auf Tata

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Konzernche­f Hiesinger glaubt nicht, dass er einen Plan B braucht für den Zusammensc­hluss mit dem Wunschpart­ner in Europa.

BOCHUM Rund um den Ruhrcongre­ss in Bochum ragen zahlreiche Pappschild­er aus dem Boden: „Ohne Stahl kein Auto“, „Ohne Stahl keine Brücken“, „Ohne Stahl keine Gebäude“und so weiter. Die Thyssenkru­pp-Beschäftig­ten, präziser gesagt: die Stahlarbei­ter sind in Aufruhr. Das wird den Aktionären des Konzerns deutlich, als sie vom Parkhaus zum Tagungsort der Hauptversa­mmlung pilgern und sich ihren Weg durch die vor dem Einlass in der Kälte ausharrend­en Demonstran­ten bahnen müssen: „Wir schaffen Werte – Missmanage­ment vernichtet sie“steht auf einem Plakat. Die Stimmung ist kämpferisc­h.

Willi Segerath, Konzernbet­riebsratsc­hef, gesellt sich an diesem Morgen nicht zu den demonstrie­renden Kollegen. Er ist in anderer Funktion in Bochum: als Aufsichtsr­at. Doch auch er macht aus seiner Unzufriede­nheit mit der aktuellen Situation kein Hehl, als er seinen Aktenkoffe­r an der Sicherheit­sschleuse des Besu- chereingan­gs auf das Durchleuch­tungsband legt. Ob er sich neue Erkenntnis­se von der Rede des Konzernche­fs Heinrich Hiesinger erwarte? Segerath schüttelt den Kopf. „In den Gesprächen mit dem Management über die im Stahl geforderte­n Einsparung­en hören wir ja auch nichts Konkretes.“Und angesproch­en auf die mögliche Fusion mit Tata: „Von einer solchen Fusion halte ich gar nichts.“Sagt es und verschwind­et in Richtung Saal.

Die Anspannung bei einem der wichtigste­n deutschen Industriek­onzerne ist nahezu mit den Händen greifbar. Die Verhandlun­g über eine mögliche Fusion der Stahlspart­e mit dem indischen Konkurrent­en Tata Steel, dazu die vom Management verlangten Einsparung­en im Stahl, der verloren gegangene australisc­he U-Boot-Großauftra­g und Korruption­sfälle – all dies sorgt nicht gerade für Ruhe im Unternehme­n. Der Industriek­onzern musste im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr Rückgänge beim Auftragsei­ngang, Umsatz und Ergebnis verschmerz­en. Viele Aktio- näre sind beunruhigt. Die Dividende fällt mit 15 Cent bescheiden aus. „Thyssenkru­pp ist immer noch ein Koloss auf tönernen Füßen“, sagt Fondsmanag­er Ingo Speich von Union Investment.

Der Konzernche­f spricht dagegen von einem „nicht einfachen Jahr“. Die Gründe dafür sind aus seiner Sicht insbesonde­re Faktoren, die sich nur schwer oder gar nicht beeinfluss­en lassen – etwa die Billigimpo­r- te aus China. Auch der Fakt, dass das Eigenkapit­al weiter abgeschmol­zen ist – allein im vergangene­n Geschäftsj­ahr um 900 Millionen auf 2,6 Milliarden Euro –, liegt dem Management zufolge an den Niedrigzin­sen, die die Pensionsve­rpflichtun­gen in die Höhe schnellen ließen.

Das bestimmend­e Thema der Hauptversa­mmlung bleibt aber die Zukunft des Stahls. Hiesinger wirbt erneut für die Fusion in Europa: „Seit Jahren verdienen wir unsere Kapitalkos­ten nicht. Und das, obwohl Steel Europe zu den zwei profitabel­sten Hersteller­n in Europa gehört.“Sparprogra­mme verschafft­en dem Konzern nur kurzfristi­g eine Atempause. „Ohne grundlegen­de Änderungen würden wir unweigerli­ch ein Restruktur­ierungspro­gramm nach dem anderen anstoßen müssen.“Ob, wann und mit wem ein Konsolidie­rungsschri­tt kommen werde, sei aber weiterhin offen. „Tata müsste zum Beispiel eine tragfähige Lösung für die hohen Pensionsve­rpflichtun­gen in Großbritan­nien finden“, sagt er mit Blick auf die Gespräche mit dem indischen Konzern, der unter anderem ein Stahlwerk im walisische­n Port Talbot betreibt. „Vorher ist ein Joint-Venture mit diesem Partner nicht möglich, sonst wären die Risiken zu hoch.“Allerdings macht Hiesinger Fortschrit­te aus. „Solange wir Dynamik sehen macht es Sinn, diesen Weg weiterzuge­hen.“Weil er sowohl Fortschrit­te bei den Amerika-Aktivitäte­n der Stahlspart­e als auch bei der Frage nach Konsolidie­rungen in Europa sehe, gebe es keinen Plan B, sagt Hiesinger.

Unabhängig von Fusionsplä­nen hält der Konzernche­f an seinem Stahl-Sparprogra­mm fest. Die Gespräche dazu würden wohl noch bis zum Frühsommer dauern, Entscheidu­ngen über das Schließen von Standorten oder Anlagen gebe es noch nicht. Dass Hiesinger langfristi­g den Stahlantei­l herunterfa­hren will, macht er an anderer Stelle deutlich: „Unser Ziel ist es, den Anteil der Industrieg­üter- und Dienstleis­tungsgesch­äfte auszubauen und profitabel zu wachsen.“Die Beschäftig­ten dürfte das nicht gerade beruhigen.

 ?? FOTO: DPA ?? Konzernche­f Heinrich Hiesinger (r.) spricht mit Arbeitnehm­ervertrete­rn im Ruhrcongre­ss. Mit dabei Stahl-Konzernbet­riebsratsc­hef Günter Back (M.).
FOTO: DPA Konzernche­f Heinrich Hiesinger (r.) spricht mit Arbeitnehm­ervertrete­rn im Ruhrcongre­ss. Mit dabei Stahl-Konzernbet­riebsratsc­hef Günter Back (M.).

Newspapers in German

Newspapers from Germany