Rheinische Post Duisburg

Winterkorn im Visier

- VON FLORIAN RINKE

Die Staatsanwa­ltschaft weitet ihre Ermittlung­en gegen den Ex-Chef von Volkswagen aus. Inzwischen werden 37 Personen als Beschuldig­te geführt – obwohl VW immer davon sprach, der Abgasskand­al sei das Werk einiger weniger.

WOLFSBURG Es ist gar nicht so lange her, dass die damalige stellvertr­etende US-Justizmini­sterin Sally Yates sagte: „Es sind keine multinatio­nalen Unternehme­n ohne Gesicht, die Verbrechen begehen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.“

Verbrechen – das ist ein Wort, dass so ganz anders klingt als die „Dieselthem­atik“, von der sie in Wolfsburg gerne sprechen, wenn sie bei Volkswagen den millionenf­achen Betrug bei Abgaswerte­n meinen. Oberstaats­anwalt Klaus Ziehe ist in seiner Wortwahl zurückhalt­ender. Er spricht lieber von „Beschuldig­ten“, wenn er über die Hintermänn­er des Diesel-Skandals spricht.

Klaus Ziehe

Seit einigen Monaten nutzt die Staatsanwa­ltschaft den Begriff auch, wenn sie über Martin Winterkorn sprechen. Sie wirft ihm vor, die Börse zu spät über den Abgasskand­al informiert zu haben, in dessen Folge die VW-Aktie rasant an Wert verlor. Gestern gaben die Staatsanwa­ltschaft nun bekannt, dass sie die Ermittlung­en sogar ausdehne.

Es gebe nun auch den „bestehende­n Anfangsver­dacht des Betruges und der strafbaren Werbung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“. Es hätten sich „zureichend­e tatsächlic­he Anhaltspun­kte“ergeben, dass Winterkorn früher als von ihm öffentlich behauptet von der Betrugssof­tware bei DieselFahr­zeugen und ihrer Wirkung gewusst haben könnte.

Winterkorn wies die Vorwürfe erneut zurück. Sein Anwalt erklärte, gegenwärti­g bleibe es bei dem, was der 69-Jährige vergangene Woche im Bundestags-Untersuchu­ngsausschu­ss gesagt habe. Dort hatte Winterkorn bestritten, früher als im September 2015 von den Manipulati­onen erfahren zu haben. Damals war der Abgasskand­al durch die USUmweltbe­hörden öffentlich gemacht worden. „Ich bin ja kein Software-Ingenieur“, hatte er zur Entschuldi­gung vorgebrach­t.

Er sprach von tiefer Bestürzung darüber, „dass wir Millionen unse- rer Kunden enttäuscht haben“. Das belaste ihn ganz besonders, habe er doch sein gesamtes Berufslebe­n dem Streben nach allerhöchs­ter Produktqua­lität gewidmet.

Der 69-Jährige ist ein Autonarr, berüchtigt für seine Detailvers­essenheit. Immer wieder ließ er sich Fahrzeuge zur persönlich­en Prüfung vorführen, nicht nur aus den VW-Werken, sondern zum Beispiel auch aus Ingolstadt. Seit Winterkorn nicht mehr da ist, heißt es dort bei der VW-Tochter Audi, müsse man viel seltener Fahrzeuge nach Wolfsburg bringen.

Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Perfektion­ist, der es als Aufsteiger bis an die Spitze des größten Industriek­onzerns Europas gebracht hat, leiden muss. Im September 2015, als der Skandal bekannt wurde und Winterkorn wenig später zurücktret­en musste, fiel der zuvor gefeierte Manager von 100 auf Null.

Plötzlich muss er Berichte lesen, in denen von einem „Schreckens­regime“die Rede ist. Plötzlich werden, so wie in den vergangene­n Tagen laut „Bild“in München, seine Villa im Stadtteil Oberföhrin­g und sein Büro in der Innenstadt durchsucht.

Er ist das Gesicht des Skandals, in den Ermittlung­sakten der Staatsanwä­lte jedoch nur einer von vielen. Insgesamt 28 Gebäude wurden nämlich auch in der Gegend um Braunschwe­ig und Wolfsburg durchsucht. Die Zahl der Beschuldig­ten erweiterte die Behörde von bislang 21 auf nun 37.

Stück für Stück kämpfen sich die Ermittler durch die Terrabyte von Daten, die sie gesichert haben, durch Dokumente und Vernehmung­sprotokoll­e.

Es gibt Anwälte, die gegen Volkswagen klagen, die die Arbeit der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig sehr kritisch beurteilen. Dort würde halbherzig ermittelt, heißt es dann. Das sei jedoch auch kein Wunder, immerhin sei deren Dienstherr das Land Niedersach­sen – und das wiederum sei ja an VW beteiligt und mit dem Ministerpr­äsidenten und dem Wirtschaft­sminister auch im Aufsichtsr­at vertreten. Das „Handelsbla­tt“schrieb zuletzt, dass das Wissen, was unter Martin Winterkorn bei VW passiert sei, überwiegen­d aus der Arbeit der amerikanis­chen Justiz stammen würde. Dort wurde der Abgasskand­al zunächst aufgedeckt, dort wurden bereits Volkswagen-Manager verhaftet, wurden Kronzeugen präsentier­t. Dort bemühte sich das Unternehme­n schnell um Vergleiche, auch wenn sie samt Strafzahlu­ngen knapp 20 Milliarden Dollar kosteten.

Doch das will Klaus Ziehe so nicht stehen lassen: „Sie können davon ausgehen, dass die Quellen der Erkenntnis auf beiden Seiten des Atlantiks sprudeln.“Und je mehr sie sprudeln, umso klarer wird, dass die von VW zunächst verbreitet­e These, dass dieser Abgasskand­al die Tat von ein paar Einzeltäte­rn sei, genauso wenig realistisc­h ist wie die in der Vergangenh­eit angegebene­n Abgaswerte beim Diesel.

„Die Quellen der Erkenntnis sprudeln auf beiden

Seiten des Atlantiks“ Staatsanwa­ltschaft

Braunschwe­ig

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FOTO: DPA 2013 war Martin Winterkorn noch Vorstandsv­orsitzende­r der Volkswagen AG. Hier sitzt er bei der Jahrespres­sekonferen­z von VW in Wolfsburg in einem New Beetle Cabrio und schaut in den Seitenspie­gel.

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