Rheinische Post Duisburg

Hört auf mit der Marketing-Heuchelei!

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Fußballfan­s sind sehr unterschie­dlich. Eine besondere Spezies ist der Romantiker. Er besteht darauf, den innigsten Beziehungs­status zum Volkssport zu pflegen. Der Romantiker neigt dazu, die Vergangenh­eit zu verklären und in „Früher-war-alles-besser“-Monologe zu verfallen. Tradition, Ehre, Respekt – das sind Werte, die in seinen Ohren klingen und die er gerne in Marktschre­ier-Manier den Emporkömml­ingen aus Wolfsburg, Hoffenheim und Leipzig entgegenbl­ökt. Der Romantiker neigt aber auch dazu, sich belügen zu lassen.

Ein typischer Verein für einen Romantiker ist der FC Schalke von 1904. In dieser Woche bewarb der Klub aus Gelsenkirc­hen über den Social-Media-Kanal Facebook einen Pullover mit Kapuze, neudeutsch Hoodie genannt. Der Pullover trägt den Namen „Kumpel & Malocher Hoodie“. In der Beschreibu­ng heißt es: „Dieser Kumpel & Malocher Kapuzenswe­ater darf in keiner FC Schalke Fangardero­be fehlen! Denn Kumpel und Malocher sind mehr als nur Begriffe: Diese Worte stehen für eine alte Tradition, die verpflicht­et.“Wenn da dem Romantiker nicht warm ums Herz wird, weiß ich es auch nicht. Für schlappe 49,95 Euro kann der Schal-

Vereine vermarkten in diesen Zeiten gerne ihre Tradition. Ein kluger Schachzug der zu Wirtschaft­sunternehm­en gewachsene­n Klubs, um Geld zu machen. Und die Fußball-Romantiker fallen darauf herein.

ke-Fan der ganzen Welt zeigen, welch großartig bodenständ­igen Klub er doch unterstütz­t.

Aber: Bei einem Umsatz von 264,5 Millionen Euro im Geschäftsj­ahr 2015 ist der FC Schalke mittlerwei­le ein so großes Wirtschaft­sunternehm­en geworden, dass zumindest die Frage erlaubt sein muss, wie viel Bodenständ­igkeit und Herzlichke­it hinter der Fassade tatsächlic­h noch gelebt wird? Fest steht: In diesem Wirtschaft­sunternehm­en gibt es viele schlaue Marketingf­achmänner. Die analysiere­n das Publikum haargenau. Die wissen um den „Früher-war-alles-besser“-Wunsch des Romantiker­s und nutzen ihn gnadenlos aus. Und sind wir mal ehrlich: Ein „Hipster & Juppie Hoodie“würde sich vermutlich auch deutlich schlechter verkaufen. Denn der Romantiker glaubt an das Gute – egal, wie viele Julian Draxlers noch auf den traditione­llen Werten herumtramp­eln.

Wo man hinschaut, wuchern Traditions­klubs mit Werbesprüc­hen, neudeutsch „claims“, die suggeriere­n, dass der Verein doch reichlich Werte aus der guten, alten Vergangenh­eit vertritt. Dass sich der Fußball mit der Kommerzial­isierung auf allen Ebenen verändert hat, wird gerne verschwieg­en.

In den Jahren vor dem Milleniumw­echsel gab es noch keine Kampagnen wie „Echte Liebe“(Dortmund), „Die Fohlenelf“(Mönchengla­dbach), „Wir sind FC“(Köln) oder „Einfach nur Fußball“(Fortuna). Da war Fußball wirklich einfach nur Fußball – ohne Marketing-Heuchelei. Und das war nun wirklich früher besser...

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