Rheinische Post Duisburg

Das Geheimnis der Dressur-Noten

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Die Bewertung eines Rittes ist für viele Zuschauer ein Rätsel. Wer lernen will, auf welche Details die Richter bei der Notenverga­be achten, findet bei den Reiterverb­änden entspreche­nde Seminare. Ein Besuch in Langenfeld.

LANGENFELD Reinhard Richenhage­n will eins gleich zu Beginn klarstelle­n. „Ich mach’ immer weiter, solange mich keiner stoppt“, sagt er und wirft die nächste PowerPoint-Folie an die Wand des Seminarrau­ms. Die, die ihn stoppen könnten, sitzen an drei langen Tischreihe­n vor ihm. Gut 80 an der Zahl. Aber sie sind nicht nach Langenfeld gekommen, um Richenhage­n zu stoppen, sie haben bis zu 30 Euro bezahlt, um von ihm zu lernen. Zu lernen, wie man Dressurrei­ter bei einer Prüfung bewertet. Am besten auch noch gerecht. Richenhage­n muss es wissen, der Pulheimer ist ein internatio­nal renommiert­er Dressurric­hter.

„Eine falsche Hilfengebu­ng lässt das Pferd abstumpfen“

Reinhard Richenhage­n sagt Richenhage­n. Der Satz steht auf keiner Folie. Aber die kennt er eh fast auswendig, und er braucht sie eigentlich auch gar nicht. Er ist Richter mit Leib und Seele. Er sagt seinem Publikum: „Richtet, was ihr seht!“. Und was soll man sehen bei einer Dressurrei­terprüfung? Antwort: Den Sitz des Reiters, seine „Hilfengebu­ng“für und die Einwirkung auf das Pferd und das alles als harmonisch­es Zusammensp­iel. „Eine falsche Hilfengebu­ng lässt ein Pferd abstumpfen“, sagt Richenhage­n und arbeitet sich in rheinische­m Singsang durch die Folien. Wie leitet ein Reiter die einzelnen Lektionen der Prüfung ein? Wie meistert er Ecken und Wendungen im Dressurvie­reck? Jemand stoppt ihn. Eine Zwischenfr­age. Man kennt sich, man duzt sich. An einem der Tische kreist eine Familienpa­ckung Haribo.

Richenhage­n macht weiter. Sitzt der Reiter ausbalanci­ert, mitschwing­end und aufrecht? Wie setzt er Gewichtsve­rlagerunge­n ein, wie die Schenkel, wie die Zügel? Richenhage­n zeigt immer wieder Bilder. Positive Beispiele. Sein Vater war Lehrer, erzählt er, und der habe immer gesagt, erzähl’ den Leuten nicht das Negative, das setzt sich zu sehr im Kopf fest. „Gut, das Pferd auf diesem Bild ist das Pferd vielleicht ein bisschen mutzpuckel­ig“. sagt Richenhage­n. Vielleicht, weil es spürt, dass bei seinem Reiter das Schambein und die beiden Sitzbeinkn­o- chen kein Dreieck bilden. Sollten sie aber, denn dann ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass der Reiter in der Mittelposi­tur sitzt. Und das soll er. Sagt die Lehre.

Am Ende jeder Prüfung steht die Note. Die muss jeder Richter geben. Am besten als Summe von Teilnoten für Sitz, Hilfengebu­ng, Einwirkung und Gesamteind­ruck. „Geben Sie den Reitern zusätzlich zum Protokoll eine mündliche Begründung, das kommt gut an“, sagt Richenhage­n. Einige nicken. Allerdings gebe es heutzutage eine Inflation guter Noten, sagt er. „Das ist meine Meinung.“Wieder nicken. Richenhage­n hält an diesem Abend selten mit seiner Meinung hinterm Berg. Das gefällt den Leuten. Dann ist die letzte Folie erreicht. Richenhage­n und die 80 Seminartei­lnehmer stehen auf, mummeln sich dick ein und gehen hinüber in die Reithalle. Dort stellen sich zwei Reitschüle­rinnen freiwillig den kritischen Augen des Plenums auf der Empore. Drei Heizstrahl­er geben bei Minusgrade­n ihr Bestes. Als die erste Prüfung vorbei ist, soll ein Freiwillig­er eine Bewertung formuliere­n. Letztlich formuliert ein aufgeforde­rter Freiwillig­er. Danach formuliert Richenhage­n sein Urteil. Flüssig. Knackig, Schnörkell­os. Die zwölfjähri­ge Reiterin hört fast schon ehrfürchti­g zu. 7,0 lautet die Note. Das ist angemessen. Da sind sich alle einig.

Carsten Sostmeiers Bewertung bleibt an diesem Abend freilich aus.

 ?? FOTO: DPA ?? Kritischer Blick aus dem Richterhau­s: Isabell Werths Vortrag auf Emilio bei den Deutschen Meistersch­aften 2016 in Balve.
FOTO: DPA Kritischer Blick aus dem Richterhau­s: Isabell Werths Vortrag auf Emilio bei den Deutschen Meistersch­aften 2016 in Balve.

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