Rheinische Post Duisburg

Roboter – die besseren Menschen

- VON TOBIAS JOCHHEIM

In der Serie „Westworld“leiden Maschinen mit Gefühlen unter Menschen und ziehen den Zuschauer so auf ihre Seite.

DÜSSELDORF Das Töten, im Zweifel ohne jeden Grund, ist ein Tabubruch, der den Menschen schon immer fasziniert hat. „I shot a Man in Reno – just to watch him die“, sang schon Johnny Cash im „Folsom Prison Blues“, und die Häftlinge beim Live-Konzert in ebendiesem Gefängnis grölten zustimmend. Fast 50 Jahre später erzählt die ScienceFic­tion-Serie „Westworld“von einem Freizeitpa­rk, in dem jeder Superreich­e seine dunkelsten Seiten ausleben kann: Nicht nur Stehlen, Schlagen und Schüsse in die Luft sind in der prächtigen Wildwest-Simulation ausdrückli­ch erlaubt, sondern auch Folter, Vergewalti­gung und eben Mord.

In den USA hat die erste Staffel von „Westworld“im Schnitt zwölf Millionen Zuschauer erreicht – mehr als selbst die erste Staffel „Game of Thrones“, mehr sogar als die allerletzt­e Folge des ersten globalen Serien-Hits „Breaking Bad“. Trotz des Mangels an Erklärunge­n, trotz der komplexen, verrätselt­en Handlung ist die Serie dort so populär wie der fiktive gleichnami­ge Park in der unbestimmt­en Zukunft.

Das Verkaufsar­gument heißt: Sünde ohne Sühne, Allmacht statt Alltag – und es zieht. Ein Abenteuers­pielplatz mit Knarren und Whiskey und einem Minimum an Spielregel­n, „Fight Club“für Jedermann! Der Kunde ist König und gewinnt immer. Kein Opfer wehrt sich, kein Verbrechen wird je gesühnt. Selbst jedes Schuldgefü­hl ist überflüssi­g. Denn die Opfer mögen bis ins Detail aussehen, sprechen und handeln wie Menschen – sie sind bloß Roboter, die handeln, wie es ihr Programmco­de vorschreib­t, hergestell­t in 3D-Druckern. Kaum „dienstunfä­hig“gestochen, gehängt oder geschossen, werden sie aufgesamme­lt und in unterirdis­chen Labors zusammenge­flickt – um so schnell wie möglich wieder einsetzbar zu sein. Als Verfügungs­masse für Menschen, die es genießen, täuschend echtes Kunstblut spritzen zu sehen und Todesröche­ln zu hören.

Der revolution­äre Moment der ersten Folge zeigt einen Roboter, der einen seiner Schöpfer anzulügen scheint und eine störende Fliege totschlägt. Es ist ein Triumph des Willens – und das Signal, dass diesen geschunden­en Kreaturen Isaac Asimovs legendäres erstes Roboterges­etz nicht mehr lange heilig blei- ben wird: „Ein Roboter darf kein menschlich­es Wesen verletzen...“Die Menschen haben es übertriebe­n – spätestens, als sie den Robotern Pseudo-Gefühle einpflanzt­en: Schmerzemp­finden, quälende Erinnerung­en an ersponnene Ereignisse, gegenstand­slose Schuldgefü­hle und unerfüllba­re Hoffnungen.

Ohne Scheu vor Pathos verhandelt „Westworld“die Natur von Konzepten wie Bewusstsei­n, Wille und Freiheit, Fluch und Segen des Vergessens, Nutzen und Gefährlich­keit von Emotionen – und die Berechtigu­ng der menschlich­en Auffassung der eigenen Einzigarti­gkeit.

Anthony Hopkins und Jeffrey Wright brillieren als Darsteller des „Westworld“-Schöpfers Dr. Ford und dessen Helfer Bernard, Ed Harris gibt den Superschur­ken „Man in Black“, die wichtigste­n Roboter werden stark verkörpert von Evan Rachel Wood und Thandie Newton.

Die Optik ist spektakulä­r; dass die Produktion­skosten 100 Millionen Dollar betragen sollen und allein 35 Kostümbild­ner beteiligt waren, überrascht kein bisschen. Größtes, ja einziges echtes Problem: Dass man nach Ende der zehnten Folge bis 2018 auf die Fortsetzun­g warten muss, mindestens. Bis zu fünf Staffeln soll es geben. Wenn sie auch nur annähernd so gut werden wie die erste, ist sie gefunden, die neue Über-Serie – mutig wie „Matrix“oder „Inception“, rau wie „Hell on Wheels“, beklemmend wie „Black Mirror“, klug wie „Ex Machina“.

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FOTO: HBO Ein Dasein programmie­rt auf das Vergnügen von Freizeitpa­rk-Besuchern – im Zweifel als Zielscheib­en oder Sexobjekte: Die Roboter Teddy (James Marsden) und Dolores (Evan Rachel Wood) entwickeln ein Bewusstsei­n und wollen Rache.

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