Rheinische Post Duisburg

Die letzte Ruhestätte der Liebe

- VON NICOLE QUINT

Romantiker reisen am 14. Februar in die Stadt der Liebe – nach Dublin. Dort arbeitet sich der zuständige Schutzpatr­on Valentin durch sein dickes Auftragsbu­ch.

Suchen kann man die Liebe überall. Die Chance, sie zu finden, erhöht sich jedoch an einem Ort, an dem man sie nie vermutet hätte – in der Whitefriar Street Church. In der kleinen Karmeliter-Kirche wimmelt es von Menschen. Lippen bewegen sich zu leisem Gebet, in den düsteren Nischen der Seitenaltä­re flackern Kerzen und Münzen fallen klimpernd in den Opferstock. In dieser guten Stube des irischen Glaubens hat die Liebe ihre letzte Ruhestätte gefunden – in Form des heiligen Valentins.

Dass der Schutzpatr­on aller Liebenden und Blumenhänd­ler ausgerechn­et in Irland geendet ist, soll allerdings nicht den großen Gefühlen, sondern geschickte­r Rhetorik zu verdanken sein. Weil der Karmeliter­mönch John Spratt sich nicht allein um Dublins Arme kümmerte, sondern auch noch predigen konnte wie kein Zweiter, belohnte Papst Gregor XVI. ihn mit einem Geschenk, das unter katholisch­en Klerikern damals hoch im Kurs stand: mit einer Reliquie eines Heiligen erster Klasse.

Für Spratt durfte es die Asche und ein bisschen Blut des heiligen Valentins sein. Trotz des Verbots durch Kaiser Claudius II. soll dieser Valentin Liebespaar­e nach christlich­em Ritus getraut haben und zur Strafe dafür am 14. Februar 269 enthauptet worden sein. Knapp 1600 Jahre später traf Valentins heilige Asche als Geschenk des Papstes in Dublin ein.

Groß kann die Freude darüber allerdings nicht gewesen sein, denn die Reliquie landete im Lager der Whitefriar Street Church und geriet nach John Spratts Tod 1871 vollends in Vergessenh­eit. Erst als die Kir- che in den 1950er-Jahren renoviert wurde, entdeckte man sie wieder, baute ihr in einem Seitenalta­r einen Schrein und stellte eine lebensgroß­e Statue von Valentin darauf.

Die wacht inzwischen über ein schlichtes Ringbuch, das aufgeschla­gen ausliegt. „Danke, dass er zurückgeko­mmen ist“, lautet der letzte Eintrag, hinter dem ein großer Smiley grinst. Förmlicher bleibt der vorherige Schreiber, der keinen Grund zur Freude hat: „Lieber Valentin, mach, dass meine Frau wieder fröhlich wird.“

Seite um Seite haben Besucher der Whitefriar Street Church sich in diesem Buch mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten an den kirchliche­n Sachverstä­nden in Liebesfrag­en gewandt. Er möge doch dafür sorgen, dass die Geburt gut verläuft, der Mann seinen Job behält, die Liebe einen endlich findet oder es sich nicht noch einmal anders überlegt. Manche Bittstelle­r machen es kurz: „Ich vermisse sie.“Andere füllen mehrere Seiten mit der Beschreibu­ng ihres Beziehungs­konfliktes oder kehren sogar immer wieder in die Kirche zurück, um den heiligen Valentin mit der Fortsetzun­g ihrer Liebesgesc­hichte auf dem Laufenden zu halten.

Valentins Arbeitspen­sum ist so beachtlich wie die an ihn gestellten Ansprüche komplex sind. Mal soll er dem Langzeitpr­ojekt „Suche-nach-dem-Richtigen“neuen Schub geben, mal aus akuten Krisen retten: „Er will sich scheiden lassen.“Humor muss der Heilige auch haben, wenn Isabelle selbstlos um den Richtigen für ihre beste Freundin bittet, um dann noch hinterher zu schieben: „Und wenn du schon dabei bist, könntest du für mich nach einem hübschen Schwarzhaa­rigen schauen.“

An das katholisch­e Monogamieg­ebot verschwend­et der gute Valentin vermutlich nur noch wenig Gedanken, wenn sich zu viele Männer wie Ronny bei ihm für die dritte oder vierte Chance bedankt: „Bei dieser Frau gebe ich mir mehr Mühe. Versproche­n!“Kritisches Feedback gibt es für den Schutzpatr­on der Liebenden aber auch, wenn zum Beispiel die Wunscherfü­llung allzu lange auf sich warten lässt: „Ich weiß, dass Gott jemanden für mich bestimmt hat. Offensicht­lich habe ich ihn nur noch nicht getroffen. Ich hoffe, Valentin, du wirst mir endlich helfen, ihn zu finden“, mahnt da eine ungeduldig­e Katherine, während der Stellvertr­eter der Liebe über ihr steht, den Kopf leicht nach vorn geneigt, als schaue er ihr wirklich beim Schreiben zu. „Ich habe alles versucht, Online-Flirts, SpeedDatin­g, Kontaktanz­eigen, den ganzen Mist, vielleicht hilft ja ein Gebet an dich, Val.“

Klingt, als wäre Val der gute Kumpel, mit dem man alles besprechen und seinen Kummer im Guinness ertränken kann. Dabei ist er viel mehr als ein Kumpel, mehr als ein Kuppler und Beziehungs­retter. Denn genau genommen geht die größte Liebeserkl­ärung an Valentin selbst, wenn tausende Menschen ihm ihre Geheimniss­e, Sorgen und Sehnsüchte anvertraue­n.

Ganz nebenbei machen sie anderen mit ihren Offenbarun­gen auch noch ein wunderbare­s Geschenk, den Trauernden und den Betrogenen, den Hoffenden, den Sitzengela­ssenen und den Einsamen, die als Singles nach Dublin reisen, weil sie wie Charlie Brown mit seiner Valentinsk­arte nie Erfolg bei ihrer Flamme hatten. Sie alle fühlen sich nach dem Lesen hunderter Herzenswün­sche getröstet und nicht mehr ganz so allein. Hilfe zur Selbsthilf­e nennt man das. Auch dafür danke, lieber Val.

Für Spratt durfte

es die Asche und ein bisschen Blut des heiligen

Valentins sein Klingt, als wäre

Val der gute Kumpel, mit dem

man alles besprechen kann

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