Rheinische Post Duisburg

Die Zukunft der Oberklasse

- VON THOMAS GEIGER

Um sich weiterhin von der Masse abzuheben, müssen sich die Luxusmarke­n schon etwas einfallen lassen. Das Ergebnis: radikal andere Entwürfe als heute.

Wenn der Rolls-Royce 103EX vorfährt, wird die Straße zum Laufsteg und der Bürgerstei­g zur Bühne. Denn wo heute allenfalls ein Chauffeur die gegen die Fahrtricht­ung angeschlag­ene Tür eines Phantom öffnet, klappt hier ein Flügel nach oben, es surrt elektrisch eine Treppe zu Boden und LED-Scheinwerf­er rollen einen roten Teppich aus Licht über den Asphalt.

„Viel auffällige­r kann man ein Auto nicht verlassen“, sagt Giles Taylor. Er ist Designchef bei Rolls-Royce und dieses Spektakel gehört zu einer Studie, mit der er die Luxuslimou­sine von Übermorgen skizziert. Das Design mit dem schmalen Bug, der Kabine eines Jets und hohen, aber dafür erschrecke­nd schlanken Kutschenrä­dern mag irritieren. Doch die Vorfahrt ist eine Show.

Taylor hat diese Studie nicht nur als Geschenk zum 100. Geburtstag der Konzernmut­ter BMW auf die Räder gestellt. Vor allem ist sie ein Gedankensp­iel über die Zukunft der absoluten Luxusklass­e, die sich vom tiefgreife­nden Wandel der Autowelt nicht abkoppeln kann – selbst wenn CO2-Emissionen bei den winzigen Stückzahle­n in der Liga von Bentley, Maybach oder Rolls-Royce keine Rolle spielen.

„Diese Marken müssen sich neu erfinden, wenn sie eine Zukunft haben wollen“, sagt der Automobilk­ritiker Paolo Tumminelli. „Denn das alte Koordinate­nsystem aus Luxus und Leistung taugt nur noch bedingt zur Differenzi­erung.“Das sieht Automobilw­irtschaftl­er Stefan Bratzel ganz genauso: „Nicht mehr das Ha- ben ist wichtig, sondern das Sein“, sagt der Professor aus Bergisch Gladbach. „Automobile­r Luxus wird künftig weniger über die Hardware, sondern mehr über weiche Faktoren definiert.“

Für Tumminelli hat so nicht mehr das stärkste, schnellste oder schrillste Auto automatisc­h das höchste Prestige, sondern zum Beispiel das smarteste: „Es geht zwar auch in Zukunft darum, aufzufalle­n, sich abzuheben und sich von anderen abzugrenze­n“, kommentier­t er Entwürfe wie den RollsRoyce 103EX oder das über sechs Meter lange Luxuscoupé Maybach 6. „Doch solche Extreme zeugen von einer tragischen Design-Dekadenz.“Größe und Glanz seien Statussymb­ole von gestern. „Den Klassenunt­erschied werden in Zukunft andere Werte machen, dazu die smarte Inszenieru­ng von Technologi­e.“

„Einer dieser Werte könnte Zeit sein“, sagt Bentleys Designchef Stefan Sielaff. Er glaubt, dass Zeit in immer hektischer­en Zeiten zu einem immer kostbarere­n Gut wird. Gewonnen wird diese Zeit in der Vision der Entwickler nicht nur durch exklusive Fahrspuren

für exklusive Autos, sondern vor allem durch intelligen­te Assistenzs­ysteme bis hin zum Autopilote­n.

„Damit wird Zeit, die man heute etwa im Stau als verschwend­et empfindet, zu einem Gewinn“, sagt MercedesCh­efentwickl­er Thomas Weber und erklärt damit, weshalb man in der autonomen Studie F 015 nicht mehr die ganze Zeit hinter dem Lenkrad sitzen muss und sich den anderen Passagiere­n zuwenden kann. Genau wie im Rolls-Royce 103EX oder in Sielaffs Ideen-

skizze „The Future of Luxury“, die eher an eine Lounge oder ein modernes Eisenbahn-Abteil erinnert als an den Innenraum eines Autos.

Zwar sind die Autos in diesen Visionen mit größeren Bildschirm­en, brillanter­en Displays, mit Hologramme­n und Virtual-Reality-Projektion­en ausgerüste­t wie Raumschiff­e in Science-Fiction-Filmen. Und statt Bedienknöp­fen gibt es virtuelles Personal oder Avatare, die Wünsche schon erfüllen, bevor man sie überhaupt ausgesproc­hen hat.

Doch so futuristis­ch Ambiente und Ausstattun­g, so traditione­ll sind manche Materialie­n und Fertigungs­prozesse. Die Karosserie, sagt Taylor, kann gerne im Sinne einer maximalen Individual­isierung nach Kundenvorg­aben aus dem 3D-Drucker kommen. „Aber wenn der Anzug vom Schneider genäht wird und die Schuhe vom Schuster, dann muss das Interieur eines Luxusautos nach Handwerksk­unst aussehen und darf nicht von einer seelenlose­n Maschine montiert werden.“Auch Wagener montiert im Maybach 6 als krassen Kontrast zur Hightech-Landschaft klassische Instrument­e hinter das Lenkrad: „Denn analoge Technik bekommt wieder einen höheren Stellenwer­t“, sagt er. Seine mechanisch­e Uhr, seine Schallplat­te oder seine Spiegelref­lexkamera – all das hege und pflege man und gebe es womöglich sogar an seine Kinder weiter. Er hat registrier­t, dass immer mehr Menschen immer höhere Preise für Geräte oder Produkte zahlen, die mit vermeintli­ch antiquiert­er Technik sogar weniger Funktionen bieten, und trotzdem damit glücklich sind. „Aber sein Smartphone wirft man einfach weg, sobald es ein neues gibt.“

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FOTO: ROLLS-ROYCE Den Rolls-Royce 103EX hat die Nobelmarke zum 100. Jubiläum der Konzernmut­ter BMW 2016 auf die schmalen Räder gestellt.
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FOTO: DAIMLER Mit der Studie Maybach 6 wirft Mercedes einen Blick auf die luxuriöse Welt von morgen. Doch laut Experten sind Größe und Glanz Statussymb­ole von gestern.
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FOTO: BENTLEY Lounge-Atmosphäre herrscht in Bentleys Studie mit der passenden Bezeichnun­g „The Future of Luxury“.

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