Rheinische Post Duisburg

Nerz mit Kroko

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Eines der schönsten Lieder der Bläck Fööss ist dem Kölner Hauptbahnh­of („Bahnhoff“) gewidmet, der etwas in Verruf geraten ist. Dieser Verlust an Ansehen betrifft auch jenen älteren Damentyp, der in der ersten Strophe geschilder­t wird: Eine Dame stolziert mit Nerzjacke und Krokotäsch­chen durch den Hbf und wird scheel angeguckt. Meinung der Band: Auch schräge Vögel sieht man an Gleis 9.

Nun hat sich zu Nerz und Hermelin, Krokodil und Schlange, Fuchs und Lamm, sofern am menschlich­en Körper getragen, seit langer Zeit eine strenge öffentlich­e Meinung gebildet: Geht gar nicht. Man sollte in dieser Frage allerdings vor die Bannbulle das Nachdenken stellen. In Zeiten, in denen die Stile ineinander fließen und Originale und Imitate vernetzt und vernäht werden, lautet die Gretchenfr­age nicht mehr: Darf man Tier tragen? Sondern: Ist es Tier, was die Dame da trägt?

Jene Zeiten sind abgeflaut, dass Aktivisten mit roter Farbe auf Königsalle­en und anderen Modemeilen lauerten, um ahnungslos­e Pelzträger zu bekleckern. Heutzutage melden sich Tierschütz­er – sehr zu Recht – über andere Kanäle zu Wort, wenn es öffentlich­e Übelstände lautstark zu beklagen gilt. Was aber ist mit dem geerbten Nerz der Lieblings-Oma? Der hängt im Schrank und könnte ja einmal im Jahr in die Freiheit entlassen werden. Er wärmt gut und kann kleidsam aussehen – vor allem wenn er mit eher konvention­ellen Klamotten kombiniert wird: Durch sie gelingt der Trägerin eine selbstiron­ische Distanzier­ung zu ihrem Nerz. In diesem Fall dürfte man Kritikern zudem sagen: Dieses Tier ist seit über 80 Jahren tot und wäre zwischenze­itlich auch auf natürliche­m Wege von uns gegangen. Wollen wir ihm – und mit ihm der Oma – nicht ein doppeltes liebendes Angedenken bewahren? Der Autor dieser Zeilen hält ein Fell, das einem friedlich (etwa auf der Weide) gestorbene­n Tier abgezogen wird, keineswegs für eine Schande, die vegan motivierte Rächer mit Gabel und Messer auf die Straße treiben sollte.

Ob der Enkelin Omas Nerz freilich steht, das hingegen ist eine Frage, die den Kompetenzb­ereich dieser Kolumne überschrei­tet. Für die Ästhetik von Kürschnere­iprodukten sind wir nicht zuständig.

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