Rheinische Post Duisburg

Kaarster im Wartestand

- VON HEIKO OLDÖRP

Im Super Bowl ist Sebastian Vollmer zum Zuschauen verdammt.

FOXBOROUGH Sebastian Vollmer sieht ungewöhnli­ch aus. Wer ihn längere Zeit nicht gesehen hat, erschreckt ein wenig. Seine Körpergröß­e von 2,03 Metern ist immer noch imposant, aber das Gesicht ist schmaler geworden, die graue Trainingsh­ose und der weiße Sweater wirken eine Nummer zu groß. Es ist unübersehb­ar – der 32-jährige Football-Profi der New England Patriots hat einiges an Masse verloren. Wie viele Kilos es genau sind, will der Offensive Lineman nicht verraten. Nur soviel: „Wenn man halt verletzt ist, dann klappt das mit dem Gewichte heben eben nicht so gut”, betont der gebürtige Kaarster.

Vollmer muss schon seit Sommer kürzertret­en, hat aufgrund von hartnäckig­en Schulterun­d Hüftproble­men die gesamte Saison in der National Football League (NFL) verpasst. So etwas ist immer ärgerlich, in seinem Fall aber doppelt. Zum einen spielen die Patriots am Sonntag im Super Bowl gegen die Atlanta Falcons um Amerikas wichtigste SportTroph­äe. Zum anderen wird das Finale in Houston ausgetrage­n. Die texanische Metropole war eine wichtige Etappe auf Vollmers Weg zum NFL-Profi.

„Houston hat natürlich eine besondere Bedeutung für mich. Ich habe da fünf Jahre gelebt. Das Stadion ist zehn Minuten von der Uni weg, an der ich studiert und gespielt habe”, sagt er. 2004 verließ Vollmer seine Heimat Richtung Houston. Es war ein Ausflug ins Ungewisse. Er sprach Schulengli­sch, was im Alltag ausreichte, ihm auf dem FootballFe­ld aber nicht weiterhalf. Seine amerikanis­chen Mit- und Gegenspiel­er hatten mitunter hochklassi­ge Football-Programme durchlaufe­n, wurden an High Schools auf das College vorbereite­t, das in den USA die Vorstufe zur NFL ist. Sie hatten gegenüber Vollmer, der mit 14 Jahren bei den Düsseldorf Panther mit Football begann, nicht nur sprachlich einen Vorsprung, sondern auch sportlich. „Die Anfänge waren echt

Sebastian Vollmer schwer”, erinnert sich Vollmer. Doch er machte Überstunde­n, legte Extraschic­hten ein, büffelte Englisch und Spielzüge gleichzeit­ig.

Der Rest ist bekannt: Vollmer wurde 2009 bei der Talenteaus­wahl (Draft) von den Patriots verpflicht­et. Als erster Deutscher, der in Deutschlan­d das Footballsp­ielen erlernt hat, etabliert sich der rheinische Riese in der Liga der kräftigen und kompromiss­losen Kerle. Die Krönung folgt 2015 – er gewinnt mit New England gegen die Seattle Seahawks den Super Bowl.

Sein Werdegang hat den Touch des oft zitierten amerikanis­chen Traums. Vielleicht bietet er sogar Stoff für eine typisch amerikanis­che Kino-Schnulze. Doch dafür fehlt das perfekte Happy End. Dafür hätte Vollmer nun in Houston auf dem Rasen stehen und mit den Patriots das Endspiel gewinnen müssen. Zwar hat er noch reichlich Kontakt zu seinem Teamkolleg­en, doch sein Alltag sieht so ganz anders aus als der von Quarterbac­k-Star Tom Brady, dem Vollmer jahrelang die Gegner vom Leib gehalten hat.

Während sich Brady und Co. auf die Falcons vorbereite­n, quält sich Vollmer in der Reha. Es gehe „klar bergauf” sagt er. Bereits zu Saisonbegi­nn wurde der Deutsche auf die Liste der Langzeitve­rletzten gesetzt. Als er Anfang November immer noch keine entscheide­nden Fortschrit­te gemacht hatte, war klar, dass Vollmer die komplette Saison ausfallen wird.

Sein Vertrag endet im Frühjahr, Ersatzmann Marcus Cannon hat ihn eindrucksv­oll vertreten. Er ist vier Jahre jünger und wurde für seine starken Leistungen kürzlich mit einem Fünf-Jahres-Vertrag belohnt. Was bedeutet das für Vollmer? Bleibt er in New England oder wechselt er erstmals den Verein? „Alles hypothetis­che Fragen”, sagt er. Er weiß, um eine Zukunft in der Liga zu haben, muss er die Gegenwart nutzen und wieder gesund werden. Deshalb stand er gestern auch nicht vor dem heimischen Gillette-Stadium, wo die Patriots von ihren Fans Richtung Houston verabschie­det werden. Während das Team zum Flughafen fuhr, schwitzte Vollmer beim Physiother­apeuten. Er fliegt nach. Die Durchschni­ttskarrier­e in der NFL dauert 3,3 Jahre, Vollmer ist seit acht Jahren dabei. Ihm ist bewusst, dass er „eher am Ende” seiner Karriere stehe „als am Anfang.”

In Houston will Vollmer bei seiner ehemaligen Uni vorbeischa­uen und Freunde treffen. Houston war für ihn nicht nur sportlich ein Glücksfall, sondern auch privat. Dort lernte er Lindsey Force kennen. Mittlerwei­le ist sie seine Ehefrau. Und seit sechs Monaten auch die Mutter von Tochter Annabelle.

„Wenn man verletzt ist, dann klappt das mit dem Gewichte heben eben

nicht so gut”

 ?? FOTO: IMAGO ??
FOTO: IMAGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany