Vor 100 Jahren wurde der Turnschuh zum Massenprodukt. Heutzutage gibt es Schuhe für zehntausende Euro.
Zwei Dinge haben ein OpelAstra und ein Turnschuh gemeinsam: Beide bringen einen von A nach B, und man bekommt sie – neu – für 17.000 Euro. So viel brachte ein Paar Schuhe, als es im vergangenen Sommer in New York verkauft wurde. Der Schuh ist eine Art Blaue Mauritius mit Schnürsenkeln und anderem Namen: „Air Jordan 4 Undefeated“. Weltweit gibt es nur 72 Paare.
Als das seltene Exemplar im Juli 2016 beim Schuhhändler „Stadium Goods“in Manhattan über die Theke ging, war das der vorläufige Höhepunkt einer rasenden Entwicklung – der Drehzahlmesser scheint seit Jahren am Anschlag. Turnschuhe sind heute längst nicht mehr nur bequeme Treter für den Alltag oder die Minister-Vereidigung. Sie sind auch Geldanlagen, Sammlerobjekte und Museumsexponate. Das Verrückte daran ist, dass viele Modelle wohl nie getragen werden. Schuhe für tausende Euro sind nichts zum Auslatschen. Der „Air Jordan“Schuh aus Manhattan war übrigens aus zweiter Hand. Ursprünglich wurden die wenigen Paare 2005 an Ausgewählte verschenkt. Von null auf 17.000 in elf Jahren.
Die Geschichte der Turnschuhe reicht indes noch viel weiter zurück und fällt zusammen mit der Erfindung des Fahrradreifens. Das eine wie das andere wurde Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, und beides stützt sich auf die Entdeckung des Werkstoffs Gummi. 1832 wurde in den USA das erste Patent auf Gummi-Schuhsohlen angemeldet, die ersten Schuhpaare waren zur Ertüchtigung gedacht, vor allem fürs Tennisspielen. Erst 1916 bekamen die Schuhe schließlich den Namen, den sie in den USA bis heute tragen und der auch hierzulande immer geläufiger wird: Sneaker.
Sneaker kommt von „to sneak“– ranschleichen. Die Gummisohlen machten beim Laufen kaum ein Geräusch. Ein Jahr später begann die Revolution auf leisen Sohlen.
Vor 100 Jahren erlebte der Turnschuh seinen Durchbruch, damals produzierte das US-amerikanische Unternehmen Converse die ersten Schuhe seines Modells „All Star“. Es war ein Basketballschuh für die Massen, den man auch tragen konnte, wenn man nicht Basketball spielte. Ein Schuh aus Leinen und Gummi, der bis heute produziert wird und gigantisch erfolgreich ist. Mehr als 600 Millionen Paare sollen bislang weltweit verkauft worden sein, also ungefähr 16.000 Paar pro Tag.
Genannt wird der „All Star“heute allerdings nur noch selten „All Star“, viel bekannter ist er bei seinem Rufnamen: „Chucks“. Ab den 20er Jah- ren machte Converse gemeinsame Sache mit dem Basketballtrainer Chuck Taylor und gab dem Schuh dessen Namen. Schuhe nach Sportstars zu benennen, ist seitdem keine Seltenheit mehr. Es gibt zum Beispiel einen Beckenbauer und einen Stan Smith. In einem Interview für den Katalog der epochalen Ausstellung „Out Of The Box: The Rise Of Sneaker Culture“, die derzeit durch die USA tourt, hat die einstige Nummer eins der Tennis-Weltrangliste, Smith, freimütig bekannt: Heute hielten viele „Stan Smith“bloß für einen Schuh und wären bass erstaunt, wenn sich ihnen plötzlich ein Mensch vorstelle.
An anderen Schuhpaaren lässt sich die Zeit ablesen: Mit einem Schraubstollen-Schuh von Adidas gewann die deutsche National- mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954. Die Schuhe mit drei weißen Streifen sind auf vielen Fotos von damals gut sichtbar. Und 1968 wurden zwei Schuhpaare von Puma – die wie Adidas bekanntlich aus Herzogenaurach stammen – verewigt: Als die US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen in Mexico City in Socken zur Siegerehrung schritten, stellten sie ihre „Puma Suede“gut sichtbar auf dem Treppchen ab. Das Foto mit ihren zum „Black Power“-Gruß erhobenen Fäusten ist heute eine Ikone.
Und dann gibt’s noch den „Turnschuh-Minister“, Joschka Fischer, der bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister weiße Nike-Schuhe im Landtag trug. Das durfte man 1985 in der Bundesrepublik noch als Provokation begreifen. Verstehen kann man Fischer: In Turnschuhen marschierte es sich ganz bestimmt bequemer durch die Institutionen. Die Schuhe soll er sich erst am Tag vor der Vereidigung gekauft und danach nie wieder angezogen haben. Als er ab 1998 schließlich mitregierte, trug der Außenminister und Vizekanzler dann