Rheinische Post Duisburg

Die Diamanten von Nizza

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Wenn Ihr mögt, könnte ich Hervé bitten, einen Blick in die Polizeiakt­en zu werfen . . .“Hervé, ein Freund von Reboul, seit sie ihr gemeinsame­s Interesse an edlen Weinen und Marseilles dauerhaft glückloser Fußballman­nschaft entdeckt hatten, nahm im Polizeiapp­arat der Stadt eine Schlüsselp­osition ein.

„Hat er den denn nicht schon gesehen?“

Reboul lachte. „Meine liebe Elena. Vergessen Sie nicht, dass Marseille und Nizza ebenso gut zwei voneinande­r getrennte Staaten sein könnten, ein jeder mit seiner eigenen Ordnungsma­cht. Deshalb würde es mich überrasche­n, wenn das Schriftstü­ck auch nur in Hervés Nähe gekommen ist. Wenn Sie gestatten, zeige ich es ihm, dann werden wir sehen, was er davon hält.“

Der Abend endete, wie so viele Abende, mit einem Schlummer- trunk auf der Terrasse, einem samtigen Sternenhim­mel über ihnen und einem Blick auf die unendliche Weite des Mittelmeer­s, das sich dunkel und still unter ihnen erstreckte. „Wie im Paradies“, sagte Elena. „Schön, dass es Ihnen gefällt“, meinte Francis Reboul,“denn Sie werden bald ungefähr den gleichen Ausblick haben. Apropos – ich muss morgen unbedingt den notaire anrufen, damit wir einen Termin für die Unterzeich­nung des Kaufvertra­gs vereinbare­n. Er meinte, dass jetzt alles ganz schnell über die Bühne gehen wird.“„Ist das nicht ungewöhnli­ch?“„Kommt darauf an. Manchmal möchte der Käufer einen Teil der Verkaufssu­mme in bar erhalten, um Steuern zu sparen. Das ist natürlich gesetzeswi­drig, aber keine Seltenheit. Und gewöhnlich ist das der Auftakt zu einem rituellen Tanz – la valse des notaires genannt –, bevor die eigentlich­e Beurkundun­g stattfinde­t. Es liegt auf der Hand, dass sich ein Notar als Vertreter des Gesetzes nicht in unsaubere Geschäfte verwickeln lassen kann, also muss er, wenn der Augenblick der Vertragsun­terzeichnu­ng naht, einen dringenden Anruf in einem Nebenraum der Kanzlei entgegenne­hmen. Oder sich auf ein stilles Örtchen zurückzieh­en. Oder was auch immer – Hauptsache, er glänzt durch Abwesenhei­t, wenn die Scheine geprüft und gezählt werden, bevor sie den Besitzer wechseln.“

Sam grinste. „Und woher weiß er, wann seine Rückkehr geboten ist?“

„Nun, in fünf Minuten kann man eine Menge Geld zählen. Wird mehr Zeit benötigt, lässt man einen entspreche­nden Hinweis fallen. Wie dem auch sei, deswegen müssen Sie sich nicht den Kopf zerbrechen. Die Besitzerin hat erklärt, dass ihr ein Scheck genügt.“Reboul erhob sich, gähnte und reckte sich. „Morgen früh rufe ich den Notar an.“

Es war ein Telefonat mit überrasche­nd schnellen Ergebnisse­n. Die Besitzerin war plötzlich, nach so vielen Monaten des Zögerns und Zauderns, geradezu versessen darauf, den Vertrag so rasch wie möglich unter Dach und Fach zu bringen, vermutlich aus Angst, die beiden Interessen­ten könnten abspringen. „Keine Ahnung, was genau ihr der Notar erzählt hat“, meinte Reboul, als er den Hörer auflegte. „Aber es hat zweifellos gewirkt. Sie trifft heute mit dem Abendzug aus Paris ein, und die Beurkundun­g ist für morgen früh halb elf Uhr anberaumt.“

Elena und Sam suchten den Leiter von Rebouls Hausbank auf, der eingeschal­tet worden war, um den reibungslo­sen Transfer der Geldmittel von L. A. nach Marseille und den Umtausch von Dollar in Euro zu überwachen.

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