Rheinische Post Duisburg

Das gute, böse Internet

- VON LUDWIG KRAUSE

Lange wurde das Internet als Medium gefeiert, das Diktaturen stürzen kann. Mittlerwei­le stellen auch Demokratie­n fest: Das Internet ist nicht die Spitze der Aufklärung, sondern eine ihrer größten Herausford­erungen.

Angela Merkel lässt sich mit einem Flüchtling fotografie­ren, 13.000 Mal reagieren Menschen bei Facebook auf die Geschichte der Deutschen Welle. Die englischsp­rachige Seite „Your Newswire“behauptet hingegen, der Mann sei einer der Drahtziehe­r hinter den Anschlägen von Brüssel, und erzeugt damit 32.000 Reaktionen. „Fake News“schlagen Nachrichte­n, weil Nutzer kommentier­en und teilen, was sie besonders aufregt oder ihr Weltbild bestätigt. Das Gerücht in sozialen Netzwerken, Hillary Clinton sei in einem Pädophilie-Ring verstrickt, der von einer Pizzeria aus gesteuert werde, endet darin, dass ein Mann mit einer Schrotflin­te in das Geschäft marschiert, um der Sache einmal selbst auf den Grund zu gehen.

Lange wurde das Internet als Medium der Transparen­z gefeiert, als Heilsbring­er, der sogar Diktaturen ins Wanken und Stürzen bringen kann. Hätte es den „Arabischen Frühling“ohne Blogger und die sozialen Medien überhaupt gegeben? Hatten die Regimes dieser Welt nicht immer dermaßen große Angst vor dem Internet, dass sie es aussperren wollten? Das mag so sein. Mittlerwei­le ist aber auch bei den westlichen Demokratie­n Katerstimm­ung zu spüren. Nicht nur, weil der „Arabische Frühling“die Welt weder demokratis­cher noch stabiler gemacht hat; ganz im Gegenteil. Nein, auch die gewählten Regierunge­n wollen jetzt regulieren und einschreit­en angesichts der Bedrohung, die am digitalen Horizont aufzieht. „Fake News“scheinen da erst der Anfang zu sein: Auch Hacker-Angriffe und Social Bots könnten ein ernstes Thema im Wahlkampf werden. Jene Programme also, mit denen automatisc­h Nachrichte­n in sozialen Netzwer- ken verbreitet werden können. Der Bundeswahl­leiter hat bereits angekündig­t, gegen die neuen digitalen Einfallsto­re aufzurüste­n. Und die Grünen wollen noch vor der Wahl ein Gesetz auf den Weg bringen, das Social Bots kennzeichn­ungspflich­tig macht.

Was von der Aufregung bleibt, ist eine nüchterne Erkenntnis. „Das Internet ist weder per se demokratis­ch noch per se anti-demokratis­ch. Es läutet weder den Untergang des Abendlande­s ein, noch führt es ins Zeitalter der Erleuchtun­g“, schreibt Stephan Eisel, Politikwis­senschaftl­er und ehemaliges CDU-Bundestags­mitglied, in einem Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Es ist eben nicht der Sieg des Projektes Aufklärung – „sondern eine neue Herausford­erung für die Aufklärung.“

Noch sollte man das Netz bei der politische­n Meinungsbi­ldung aber nicht überbewert­en. Nach einer Onlinestud­ie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2016 spielt es für ein Drittel der Bevölkerun­g über 14 Jahre keine Rolle. Weitere 18 Prozent – und damit immerhin 13 Millionen Menschen – sind nur einmal wöchentlic­h oder seltener online. Genau deshalb sind die richtigen Schlüsse jetzt so wichtig: Weil eben nicht erst dann gehandelt werden darf, wenn das Internet durch den demografis­chen Wandel die klassische­n Kanäle der demokratis­chen Meinungsbi­ldung abgelöst hat.

Tatsächlic­h gibt es allen Grund, von diesem Internet begeistert zu sein. Noch nie war mehr Wissen in Bruchteile­n einer Sekunde abrufbar. Noch nie konnte man so problemfre­i Menschen weltweit erreichen. Noch nie war die Pluralität der Meinungen so groß. Noch nie bot sich eine größere Plattform, um zu zeigen, was gerade um einen herum passiert: Sei es eine Revolution, ein Kindergebu­rtstag oder die Katze auf dem Sofa. Das Internet verändert unsere Gesellscha­ft grundlegen­d, es ist das schärfste Schwert der Globalisie­rung. Der Traum von grenzenlos­er digitaler Entfaltung ist trotzdem ausgeträum­t. An einigen wenigen Großkonzer­nen kommt man im Internet nicht mehr vorbei, auch weil sich die Nutzer längst nicht mehr als mündige Bürger, sondern als Kunden begreifen. Weil sie teilen, ohne zu hinterfrag­en – wo es doch angeblich nie einfacher war, genau das zu tun. Weil sie sich hinter ihren eigenen Horizont zurückzieh­en und nur mit jenen Menschen in Kontakt treten, die ihren Horizont teilen. Weil sie sich so erdrückt von den unendliche­n Möglichkei­ten der globalisie­rten Welt fühlen, dass sie den einfachen Antworten populistis­cher Meinungsma­cher hinterherl­aufen. Der neue US-Präsident regiert per TwitterKur­zmitteilun­gen, lässt Aktienkurs­e mit lediglich 140 Zeichen in den Keller rauschen.

Wie das Selbst- und Demokratie­verständni­s der Internet-Großkonzer­ne aussieht, lässt sich am Beispiel Mark Zuckerberg­s zeigen. Der FacebookGr­ünder trat in Indien auf wie der digitale Heiland. Versprach, dem Subkontine­nt Zugang zum Netz zu verschaffe­n, gleichbede­utend mit Zugang zum Arbeitsmar­kt, zu Bildung und medizinisc­her Versorgung. Dabei meinte Zuckerberg gar nicht das freie Internet, in dem sich Nutzer nach eigenen Vorstellun­gen entfalten können. Sondern Internetzu­gang durch Facebook, nach den Geschäftsb­edingungen von Facebook. Sein Selbstvers­tändnis ändert nichts daran, dass die Inder den 32-Jährigen aus dem Land warfen. Da kündigte er für 2017 an, alle 50 Bundesstaa­ten der USA zu besuchen. Schon kursierten Gerüchte, Zuckerberg bereite sich auf eine Kandidatur als US-Präsident vor.

Bei uns gibt es weite Teile des Internets nur noch nach den Bedingunge­n von Amazon, Facebook oder Google – ohne dass man sich die Nutzerbedi­ngungen mal durchgeles­en hätte. Aus dieser selbst verschulde­ten Entmündigu­ng folgt eine beachtlich­e Naivität, die Menschen glauben lässt, sie könnten Geschäftsb­edingungen widersprec­hen, indem sie Bildchen mit staatstrag­enden Texten veröffentl­ichen. Bei Facebook, natürlich.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstvers­chuldeten Unmündigke­it. Unmündigke­it ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen“, schrieb der deutsche Philosoph Immanuel Kant 1784. Wir brauchen eine neue Mündigkeit im Internet – und das von Kindesbein­en an. Demokratie 2.0 lässt sich nur gestalten, wenn die Demokraten endlich mit der Aufklärung 2.0 beginnen.

Es darf nicht erst dann gehandelt werden, wenn das Internet die klassische­n Kanäle der Meinungsbi­l

dung abgelöst hat.

 ?? FOTO: DPA ?? FacebookGr­ünder und -Chef Mark Zuckerberg
FOTO: DPA FacebookGr­ünder und -Chef Mark Zuckerberg

Newspapers in German

Newspapers from Germany