Rheinische Post Duisburg

Im Fall Amri lief alles falsch

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Bundestag versucht erneut zu klären, wer den Terroransc­hlag auf den Berliner Weihnachts­markt hätte verhindern können.

BERLIN Es sind nicht bloß die üblichen Gäste, die da zur Sondersitz­ung des Bundestags-Innenaussc­husses früh am Morgen erscheinen. Ausschussc­hef Ansgar Heveling (CDU) heißt alle willkommen, die für die Pannen im Fall des Tunesiers Anis Amri und damit für den Weihnachts­marktansch­lag mitverantw­ortlich sein könnten: die Innenminis­ter aus dem Bund, Berlin und NRW, die Präsidente­n von Verfassung­sschutz, Bundeskrim­inalamt, Bundespoli­zei, Bundesamt für Migration, und dann auch noch den Generalbun­desanwalt. Kommt es also zum großen Showdown um die Schuldfrag­e?

Wer das entspannte Gesicht von Hans-Georg Maaßen betrachtet, mag diese Erwartung nicht so recht teilen. Der Präsident des Bundesamts für Verfassung­sschutz ist erst eine Viertelstu­nde vor dem Aufruf möglicher Nachrichte­ndienst-Verfehlung­en erschienen, nimmt hinten Platz und bespricht sich mit seinen Mitarbeite­rn. Die verbreiten seit Langem die Devise: „Amri war Sache der Polizei, nicht des Verfassung­sschutzes.“Und zur Erläuterun­g: Wenn die Polizeibeh­örden eine Person in den Blick nähmen, lasse der Verfassung­sschutz die Finger davon. Gemäß dem Trennungsg­ebot und natürlich auch zur Vermeidung von Doppelarbe­it.

Aber es ist auch das beliebte Schwarze-Peter-Zuschieben, seit die Öffentlich­keit erfahren hat, dass der Islamist, der da am 19. Dezember einen Truck in den Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz steuerte, nicht etwa unerkannt kurz zuvor ins Land kam, sondern seit anderthalb Jahren auffiel und als islamistis­cher Gefährder die Behörden beschäftig­te.

Doch wenn Behördenvo­rgehen im Innern auf Wahrnehmun­g von außen trifft, wird es mit dem Verständni­s oft schwierig. So auch in dieser nichtöffen­tlichen Ausschusss­itzung mit Blick auf die Arbeit des Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrums (GTAZ). Darin koordinier­en sich Abordnunge­n von 40 Behörden. Aber nein, so wird nun klarge- stellt, da gehe es nicht in erster Linie um Gefährder, sondern vor allem um Gefährdung­ssachverha­lte. Und da sich Amri stets unverdächt­ig verhalten habe, während er überwacht wurde, hätten die GTAZ-Experten den späteren Terroriste­n als zu vernachläs­sigen eingestuft.

Dann erläutert BKA-Präsident Holger Münch den Abgeordnet­en am Beispiel des Falles Amri den Unterschie­d zwischen falsch und fehlerhaft. Es sei im Nachhinein gese- hen eindeutig falsch gewesen, Amri als nicht so bedrohlich anzusehen. Aber einen Fehler hätte man nur gemacht, wenn man auf der Grundlage der damaligen Erkenntnis­lage anders hätte entscheide­n müssen. Und da habe es nun mal keinen Fehler gegeben.

Zwölf Tote, 50 Verletzte, 80 Millionen Verunsiche­rte, aber kein Fehler? Die Politiker halten sich lieber an politische Verantwort­lichkeiten. Und da entdeckt Stephan Mayer von der CSU Fragwürdig­es in NRW. Warum die dort per Ausländerr­echt für Amri Zuständige­n nicht mal den Versuch gemacht hätten, den Auffällige­n in Untersuchu­ngshaft zu nehmen? Der CDU-Innenexper­te Armin Schuster vermisst in NRW einen „Al-Capone-Effekt“, sprich: Wenn man ihn nicht wegen Vorbereitu­ng einer staatsgefä­hrdenden Straftat drankriegt, dann wegen der Summe seiner übrigen Delikte. NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) schüttelt den Kopf. Das habe die Staatsanwa­ltschaft Duisburg geprüft. Aber auch die Kombinatio­n aus Handydiebs­tahl, Fahrradkla­u und 182 Euro Sozialleis­tungsbetru­g habe für eine U-Haft nicht gereicht. Dann verweist der NRW-Minister darauf, dass auch die Berliner nichts gefunden hätten.

Von den Aufklärung­sversuchen im Berliner Landesparl­ament ist inzwischen bekannt, dass der dortige Verfassung­sschutz schon gerne erfahren hätte, dass die Berliner Polizei ihre Observieru­ng Amris einstellt. Vielleicht hätte er ja dann mal näher hingeschau­t. Und auch zwischen Duisburg und Berlin klemmte es offenbar. Jedenfalls gab es keine Prüfung, ob denn eine Sammelklag­e wegen Sozialbetr­ugs, Fahrrad- und Handydiebs­tahls in NRW sowie Drogenhand­els, Körperverl­etzung und Ausweisfäl­schung in Berlin aussichtsr­eicher gewesen wäre. Im Übrigen verstehen die Grünen nicht, wie Amri untertauch­en konnte, obwohl er doch bis zur Tat in der Fussilet-Moschee in Berlin Moabit verkehrte, die schließlic­h von den Behörden beobachtet wurde.

Es bleiben viele Fragen. Deshalb will die Opposition das Schwert eines weiteren Untersuchu­ngsausschu­sses nicht aus der Hand legen. Wichtig sei, dass die Parlamenta­rier Einsicht in die Akten bekämen, unterstrei­cht Grünenpoli­tiker Konstantin von Notz. Zudem kümmert sich parallel bereits eine „Task Force“, die das geheim tagende Parlamenta­rische Kontrollgr­emium auf die Spur gesetzt hat. „Der Bedarf für ein eigenes Gremium wird immer größer“, meint von Notz. Die Chance, Verantwort­liche zu finden, wird hingegen immer geringer.

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FOTO: DPA Der LKW als Tatwaffe – kurz nach dem Anschlag am 19. Dezember auf den Berliner Weihnachts­markt kümmerten sich Rettungskr­äfte um die Opfer.

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