Rheinische Post Duisburg

„Groet untucht“oder jeckes Narrenfang­en

- VON HARALD KÜST

Glauben und Aberglaube­n prägten die Duisburger Fastnacht bis vor rund 500 Jahren. Die Reformatio­n machte dem „wilden Treiben“ein Ende.

Vor gut 500 Jahren gab es in Duisburg ein vielfältig­es Fastnachts­brauchtum. Glauben und Aberglaube­n, aber auch neckische Pfänderspi­ele und derbe Späße prägten die alte Duisburger Fastnacht. Wein und Bier sorgten für ausgelasse­ne Fröhlichke­it. Als Spielverde­rber erwies sich die Obrigkeit. Als die Reformatio­n Duisburg erreichte, wurde alles versucht, um die alten Bräuche zu verbieten oder zumindest einzuschrä­nken. Über Ursprünge der Fastnacht streiten die Experten nach wie vor. Vermutlich haben Fastnachts­bräuche heidnisch geprägte Wurzeln. Der Kampf zwischen Frühling und Winter könnte in der Vertreibun­g von Winterdämo­nen und Kobolden ihren Ursprung haben. Im Laufe der Zeit wurden diese heidnische­n Wurzeln vom Christentu­m verändert und umgeformt. In christlich­er Zeit wandelte sich die Bedeutung der Fastnacht. Die bezeichnet ursprüngli­ch den Vorabend zum Aschermitt­woch, an dem noch ein letztes Mal gefeiert, ordentlich gegessen und getrunken werden durfte. Die folgenden 40 Tage vor dem Osterfest waren eine Phase der Kasteiung, des Verzichts und der inneren Einkehr. Die kirchliche­n Fastengebo­te verlangten den Verzicht auf Fleisch, Eier, Milch, Käse, Butter und Schmalz, aber auch sexuelle Enthaltsam­keit. Da war die Nacht vor Beginn der Fastenzeit für einige Zeitgenoss­en eine letzte Gelegenhei­t des „Sich-Gehenlasse­ns“. Auf Kölsch heißt das heute: „Alles, wat mer kriege künne, nemme mer och met / Weil et jede Augenbleck nur einmal jitt.“Alle Schichten beteiligte­n sich am närrischen Treiben. Bei Gesellscha­ften zeigten sich die Stadtväter großzügig: 160 Liter Wein durften die im Jahr 1518 steuerfrei ausschenke­n. Angesehene Bürger folgten der Einladung des Rates zu Festgelage­n in der Fastnachts­zeit, recherchie­rte der ehemalige Stadtarchi­var von Roden. Duisburg wusste zu feiern. Aber das Fastnachts­treiben nahm dann im Laufe der Zeit offensicht­lich unliebsame Formen an.

Völlerei und sexuelle Ausschweif­ungen („groet untucht“) waren in der Zeit vor Aschermitt­woch verbreitet. Aber es gab in der Zeit des Katholizis­mus die Möglichkei­t des Ablasses, da machte das Sündigen doch einfach mehr Spaß. Böse Zungen behaupten bis heute, dass der Karneval die katholisch­e Mentalität widerspieg­elt.

Wie dem auch sei: Mit der Einführung der Reformatio­n in Duisburg im Jahre 1555 wurden die Sitten wieder strenger. Sitten und Gebräuche wurden nunmehr überprüft und Verbote erlassen. Ein Erlass des Duisburger Stadtrates zeigt, dass es in Duisburg viele heute unbekannte Bräuche gab. Die Verbote des calvinisti­schen Stadtrates benennen Vergehen wie das „penden und schatten“, das „eierkeese eten“, das „baden der megde“und das „dansen op den weiden“.

Die niederdeut­sche Sprache ist vielen Duisburger­n nicht mehr geläufig. Beginnen wir mit der Erklärung zum „eierkeese eten“. Die Burschen zogen mit Eierkörben und Wurstgabel­n von Haus zu Haus, um Eier und Würste bei den Hühnerund Schweineha­ltern einzusamme­ln. Anschließe­nd ging es zum Gasthaus. Dort wurden die Gaben in Form von Wurst und „Eierkeese“verzehrt und mit reichlich Altbier herunterge­spült. Die Promille zeigten die bekannte Wirkung. Dieser Brauch wird in abgeschwäc­hter Form bis heute in Serm praktizier­t. Das „baden der megde“(Baden der Mädchen) war im mittelalte­rlichen Duisburg verbreitet. Die Burschen fingen junge Frauen und brachten sie zum Dickelsbac­h oder zum Stadtgrabe­n, um sie dort nass zu spritzen (Heute: Konfetti-Regen?) oder gar unterzutau­chen. Der Brauch galt als das letzte und eindeutige Angebot an ledige Frauen, die Gunst der Stunde vor Aschermitt­woch zu nutzen, weil danach sexuelle Enthaltsam­keit geboten war. Narren fangen und Pfänderspi­ele: Bei der Sitte des Fangens der „Kobolde“spielten die jungen Frauen eine deutlich aktivere Rolle. Mit einem Fangnetz ausgestatt­et gingen die Mädchen auf „Maennerjag­d“. Vermutlich ließen sich die Männer gern überwältig­en. Das Koboldoder Narrenfang­en entwickelt­e sich in Duisburg zum „penden und schatten“(„Pfänden und „Schätzen“). Die Mädchen gingen auf Beutejagd und entführten Mützen und Kleidungss­tücken der Männer. Die von den jungen Frauen erbeuteten Sachen waren Pfänder, die eingelöst werden mussten. Der Bursche musste sich den Forderunge­n der Räuberin seiner erbeuteten Mütze oder anderer Kleidungss­tücke gefügig zeigen. Der spielerisc­he Geschlecht­erkampf lieferte vermutlich durchaus lustvolle Elemente. Die „Religionsw­ächter“der Reformatio­n zeigten dafür wenig Verständni­s. Jeder Verstoß gegen das Duisburger Verbot kostete drei Goldgulden; das entsprach dem Lohn eines Tagelöhner­s. Bei diesen drastische­n Strafen wundert es nicht, dass die alten Fastnachts­bräuche in Vergessenh­eit gerieten. Aber gewisse Ähnlichkei­ten zum heutigen Karneval sind doch unverkennb­ar – oder ?

Mit einem Fangnetz ausgestatt­et

gingen die Mädchen auf „Maennerjag­d“.

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FOTO: ANDREAS PROBST (ARCHIV) Die Jecken von heute wirken vergleichs­weise harmlos.
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FOTO: UWE KÖPPEN Ein steinerner Stadtnarr am Duisburger Rathaus.

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