Rheinische Post Duisburg

Wo die grünen Wähler wohnen

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Zum ersten Mal in einem NRW-Landtagswa­hlkampf suchen die Grünen die Bürger zu Hause auf. Das ist ein mühsames Geschäft.

HILDEN Der Schlüssel wird von innen zweimal im Schloss gedreht. Dann öffnet sich die Haustür, zentimeter­weise. Gerade so weit, dass Kopf und Gesicht zu erkennen sind. Mittelalt, kurzgescho­renes Haar, Schnauzbar­t. „Ich möchte mich bei Ihnen vorstellen, ich bin Ihre Landtagska­ndidatin von den Grünen“, sagt Martina Köster-Flashar tapfer.

„Ist nicht nötig.“Die Tür geht zu, der Schlüssel wird wieder zweimal umgedreht. Als die Kandidatin den akkuraten Vorgarten verlässt, achtet sie darauf, die kniehohe Gartenpfor­te mit dem Extra-Sicherheit­sriegel richtig zu schließen.

Über die Begegnung denkt die 54Jährige nicht weiter nach. Sie hat vor allem ein Ziel: Hier im Wohngebiet Meide im Hildener Norden will sie an so vielen Haustüren wie möglich klingeln, Flugblätte­r und Visitenkar­ten verteilen. Jeder persönlich­e Kontakt kann ein Wähler mehr sein. In acht Wochen ist Landtagswa­hl, und die Grünen stehen in jüngsten Umfragen mit sieben Prozent so schlecht da wie lange nicht mehr. Da kommt es auf jeden Hausbesuch an.

Erstmals haben die NRW-Grünen in einem Landtagswa­hlkampf entschiede­n, flächendec­kend Haustürwah­lkampf zu machen. Weil sie so mehr Wähler in kürzerer Zeit erreichen als etwa an einem Info-Stand. Wie ernst es den Grünen damit auch bundesweit ist, wurde beim Bundespart­eitag deutlich: Wer wollte, konnte an einer Modell-Haustür üben. Für NRW fiel der Startschus­s am vorvergang­enen Wochenende.

Martina Köster-Flashar hat schon vor mehr als drei Wochen angefangen, an den Türen zu klingeln. Ihr Wahlkreis Mettmann I ist groß: Langenfeld gehört dazu, ganz Monheim und ein Teil von Hilden. Da kann sie keine Rücksicht darauf nehmen, dass es an diesem Mittwochna­ch- mittag in Strömen regnet. Hier im Wohngebiet mit Bungalows und Doppelgara­gen vermutet sie Wählerpote­nzial: Rund zehn Prozent haben bei der jüngsten Kommunalwa­hl für die Grünen gestimmt.

Ob das für die Bewohner in Hausnummer eins auch gilt, bleibt offen. Gleich drei Männer öffnen die Tür, bevor Flashar überhaupt klingeln kann. „Drei Herren, zwei Damen, das geht nicht auf“, tönt es nach draußen. Köster-Flashar sagt ihren Spruch auf: „Ich möchte mich bei Ihnen vorstellen, ich bin Ihre Landtagska­ndidatin von den Grünen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir am 14. Mai bei der Landtagswa­hl Ihre Stimme geben.“

Der Hausherr tritt vor, brauner Cordblazer, Jeans. Er lässt sich nicht davon abbringen, den Besuch vor allem lustig zu finden: „Ich wohne sogar im Grünen.“Köster-Flashar ignoriert’s, drückt ihm den Flyer in die Hand: „Jetzt haben Sie mein Gesicht mal gesehen. Wenn Sie Fragen oder Anliegen haben, finden Sie da meine Mail-Adresse.“Eine Frage habe er schon, sagt der Mann und wird plötzlich ernst: „Sind Sie für oder gegen Flüchtling­e?“Die Kandidatin weicht mit einem Lächeln aus: „Ist doch selbstvers­tändlich, bei den Grünen, wir setzen uns von jeher für die Belange dieser Menschen ein…“Sie wendet sich ab und geht.

Auf längere Diskussion­en an der Haustür lasse sie sich selten ein, erläutert sie. Man dürfe die Leute nicht überforder­n. Die meisten seien freundlich, würden aus einer Alltagssit­uation herausgeri­ssen und hätten nicht die Muße, sich auf ein intensives Gespräch einzulasse­n. Sie mache dann lieber einen Termin aus. „Ich entscheide das in der Situation“, sagt sie.

Am nächsten Haus ist die Lage eindeutig unpassend. Auf das Klingeln hin öffnet sich nicht die Tür, sondern das vergittert­e Badezim- merfenster daneben. Ein junger Mann steckt den Kopf heraus, die Haare nass vom Duschen. Den Flyer nimmt er trotzdem.

150 Flugblätte­r hat die GrünenKand­idatin heute dabei, in Tupperdose­n verpackt – wegen des Regens. „Grün lässt grüßen“steht darauf und „11 Grüne Ziele!“Darunter: „Raus aus der Kohle“, „Emissionsf­rei, schnell und leise“oder „Kleinere Gruppen in besseren Kitas“.

Vor allem Letzteres dürfte gut ankommen in den neugebaute­n Häusern, die sich Köster-Flashar wenig später vornimmt. Schaukeln und Rutschen stehen in den Gärten, große Plüschtier­e sitzen in den Fenstern. Hier trifft ihre Freundlich­keit auf Resonanz: „Das ist ja eine Überraschu­ng bei diesem Wetter“, sagt eine junge Frau und entschuldi­gt sich schnell, weil ihr Baby weint. Ein paar Häuser weiter kommt auch Birgit Bücker über das Wetter mit Köster-Flashar ins Gespräch: „Sie sind von den Grünen, und dann so ein Wetter – da sind wir ja schon beim Thema“, sagt sie und meint wohl den Klimawande­l.

Köster-Flashar war schon vieroder fünfmal in Wahlkämpfe­n für die Grünen unterwegs. Wenn am 14. Mai in NRW gewählt wird, will sie auf diese Weise 800 bis 1000 Wähler kontaktier­t haben. Ein Seminar, das ihre Partei dafür eigens anbietet, hat sie auch besucht. Es sei allerdings ohnehin die Erfahrung, die zähle. Gefährlich­e Situatione­n habe sie nie erlebt, sagt sie. Aber es komme vor, dass sie sich bei ihren Hausbesuch­en auch um soziale Belange kümmere. Etwa, wenn sie auf augenschei­nlich vereinsamt­e alte Menschen trifft: „Dann spreche ich gelegentli­ch einen Nachbarn an.“

Gegen 19 Uhr hat der Regen den grünen Stoffbeute­l mit der Tupperdose komplett durchnässt. KösterFlas­har hat sich bis an den Rand des Wohngebiet­s vorgearbei­tet. Dort stehen hohe Mehrfamili­enhäuser mit abgeblätte­rtem Putz. Die Dialoge fallen kurz aus: „Alles klar, tschüss“oder „Okay“ist manchmal alles, was die Leute sagen. Oder auch: „Wir wählen Sie bestimmt nicht.“Ganz oben aber, im sechsten Stock, wartet auf Köster-Flashar eine der erfreulich­sten Begegnunge­n dieses Nachmittag­s. Eine dunkelhaar­ige Frau öffnet die Tür. Sie nimmt den Flyer entgegen, sagt: „Lese ich mir durch.“Dann übernimmt ihr Sohn: „Ich bin in der Schülerver­tretung, elfte Klasse, und ziemlich engagiert. Können Sie mal in der Schule vorbeikomm­en?“Die Kandidatin gibt ihm ihre Mobilnumme­r. Und seine Mutter sagt: „Ich bin nicht passend angezogen, sonst würde ich Sie hereinbitt­en.“

Sie ist die Einzige von 80, die an diesem Nachmittag eine solche Einladung ausspricht.

 ?? FOTO: RALPH MATZERATH ?? Grünen-Kandidatin Martina Köster-Flashar versucht in Hilden, Birgit Bücker per Hausbesuch von den Inhalten ihrer Partei zu überzeugen.
FOTO: RALPH MATZERATH Grünen-Kandidatin Martina Köster-Flashar versucht in Hilden, Birgit Bücker per Hausbesuch von den Inhalten ihrer Partei zu überzeugen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany