Rheinische Post Duisburg

Über Verrat und das Scheitern von Utopien

- VON INGO HODDICK

Die erste Aufführung im Großen Saal des Theaters beim Theatertre­ffen der 38. Duisburger Akzente „Umbrüche“war jetzt „Der Auftrag“(1979) von Heiner Müller (19291995), nach der Erzählung „Das Licht auf dem Galgen“von Anna Seghers (1961), als Gastspiel vom Schauspiel Hannover in Koprodukti­on mit den Ruhrfestsp­ielen Recklingha­usen.

Drei Emissäre der Französisc­hen Revolution haben darin den Auftrag, auf der Insel Jamaika eine Sklavenrev­olte anzustifte­n. Die Drei könnten unterschie­dlicher nicht sein: Debuisson ist bürgerlich­er Sohn von Sklavenhal­tern, Galloudec ein Bauer aus der Bretagne und Sasportas ein schwarzer Revolution­är, der die Herrschaft der Kolonialhe­rren am eigenen Leib erfahren hat. Als in Frankreich Napoleon putscht, streitet sich das Trio, ob der Auftrag nach wie vor gültig ist. Es geht um Verrat und das Scheitern von Utopien.

Die Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner haben eine radikale Entscheidu­ng getroffen: Fast der gesamte Stücktext kommt nicht von den Schauspiel­ern, sondern aus dem Off, gelesen von Heiner Müller, aus dem Mitschnitt einer Leipziger Lesung von 1980, da das niemand besser kann, „ohne so tun, als würde er ihn verstehen“(Kuttner): sto- ckend, aber fest, gleichförm­ig und doch unnachahml­ich warm. Die sieben Spieler bewegen dazu die Lippen, einschließ­lich jedes Räusperns. Einer von ihnen sieht zunächst aus wie der Autor, später verwandeln sie sich in Karl Marx, Rosa Luxemburg, Lenin, Stalin und Che Guevara (und werden allesamt von Debuisson gemeuchelt).

Das Ganze ist ein herrlicher Playback-Zirkus, einschließ­lich einer Zauber- und einer Hundenumme­r, auch ein Livetrickf­ilm ist dabei, es ist eine liebevolle Parodie und zugleich eine überdeutli­che Interpreta­tion. Als Höhepunkt tritt die großartige Corinna Harfouch als Weißclown Debuisson an die Rampe und spricht jenen Prosamonol­og, den Heiner Müller in sein Drama eingefügt hat. Darin steht ein Mann im Aufzug vor einem Termin beim Chef und findet sich plötzlich auf einer Straße in Peru – der Autor verarbeite­te darin eine Audienz bei Erich Honecker und eine gefährlich wirkende nächtliche Straße in Mexiko, wo wiederum Anna Seghers im Exil war.

Der erste Klassiker beim Theatertre­ffen ist am heutigen Dienstag, 14. März, und Mittwoch, 15. März, jeweils um 19.30 Uhr, „Nathan der Weise“von Gotthold Ephraim Lessing als Gastspiel vom Münchner Volkstheat­er. Karten gibt es am einfachste­n unter der Telefon-Nummer 0203/ 283 62 100.

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FOTO: KATRIN RIBBES Corinna Harfouch (links) als Weißclown Debuisson überzeugt in Heiner Müllers „Der Auftrag“. Hier in einer Szene mit Sarah Franke.

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