Rheinische Post Duisburg

Taugenicht­s im Neonlicht

- VON PHILIPP HOLSTEIN

„Diva“, der französisc­he Kultfilm der 1980er Jahre, liegt endlich digital poliert auf Blu-ray vor. Er sieht immer noch verflixt gut aus.

Es geht selten gut aus, wenn man Filmen wiederbege­gnet, die man früher toll fand. Gerade bei den sogenannte­n Kultfilmen ist das so eine Sache. Die meisten kann man nur aus der Zeit heraus verstehen und aus der Lebensphas­e, in der man ihnen begegnete. Jahrzehnte später ist meist aller Zauber flöten, man begreift nicht mehr, was da aufgetisch­t wird, man spürt nicht mehr, was einen einst umgepustet hat, man kommt sich also irgendwie selbst abhanden, und wenn der Abspann

In diesem Film geht es nicht um Spannung, sondern um Ästhetik

und Stilisieru­ng

läuft, ist man traurig. Deshalb war es riskant, sich noch einmal „Diva“aus dem Jahr 1981 anzusehen. In den 80er Jahren war der Film von Jean-Jacques Beineix das allerheiße­ste Ding. Die Zeitschrif­t „Tempo“, die ja gewisserma­ßen das Zentralorg­an jener Tage war, erwähnte die Produktion in fast jeder Ausgabe. Und als man sie dann endlich zu sehen bekam, auf VHS allerdings erst, weil in der Kleinstadt solche Filme nicht liefen, war die Sache klar: „Diva“? Total gut!

Nun erscheint der Film auf Bluray, digital bearbeitet, und Beineix, der fünf Jahre nach „Diva“für „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“mit Béatrice Dalle für den Oscar nominiert war, erzählt darin die Geschichte von Jules. Der ist Postbote, er rauscht in einer roten BelstaffJa­cke durch Paris, er fährt einen Motorrolle­r, und den hat er mit einer „Emily“, der Kühlerfigu­r eines Rolls-Royce, geschmückt. Jules ist ein Wiedergäng­er des romantisch­en Taugenicht­s, ein New-Wave-Tagedieb. Statt in die Natur zieht er ins Neonlicht der Nacht, und dort trifft er die Opernsänge­rin Cynthia Hawkins. Die ist die schönste Kehle der Welt, sie nimmt nie Platten auf, man kann sie nur live erleben: Dabeisein wird zum Event, zwei Mal pro Monat in einer der großen Städte auf dem Erdball, und das Pariser Konzert schneidet Jules heimlich und unerlaubt mit. Und nicht nur ihre Aura stiehlt er, sondern auch die Seiden-Robe der Diva.

Es gibt auch eine zweite Ebene, eine Thriller-Handlung mit sonnenbebr­illten Gangstern aus Taiwan, aber im Grunde ist das nur dramatisch­es Beiwerk. Man merkt, dass Beineix sich selbst nicht so recht interessie­rt für Suspense und Action. Ihm geht es um Ästhetik, um Stilisieru­ng, und vielleicht ist genau das der Grund, warum man „Diva“gerne wiederbege­gnet. Der Film sieht aus wie ein Museum der 80er Jahre, eines, das sich als Institutio­n nicht so ernst nimmt indes, ein heiteres Archiv des vermeintli­ch Coolen.

Man erlebt Menschen, die Freude am Konsum haben; die Schönheit, die da präsentier­t wird, ist eine, die durch die Werbung vermittelt ist, und „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technische­n Reproduzie­rbarkeit“von Walter Benjamin dürfte Jean-Jacques Beineix auch gelesen haben.

Die meisten Szenen spielen nachts, das Licht changiert stets ins Blau, alles wirkt kühl und arrangiert. Es kommt ein rätselhaft­er Kerl vor, er heißt Gorodish, und der wird zum väterliche­n Freund von Jules. Gorodish wohnt in einem Loft, das so groß und leer ist, dass seine Freundin darin Rollschuh fahren kann. Alles ist hellblau, weil Goro- dish die Wellen des Meeres liebt. Er selbst sitzt den ganzen Tag über einem Puzzle mit einer Million Teile, das – wenn es jemals fertig wird – natürlich eine Welle zeigt, wobei es nie fertig werden kann, weil es überall blau ist, blau in hundert Abstufunge­n, so blau und ungreifbar wie der Ozean.

Von heute aus betrachtet geradezu arglos und unschuldig ist die Annäherung zwischen Jules und der Diva, die von der amerikanis­chen Sopranisti­n Wilhelmeni­a Fernandez gespielt wird. Er bringt ihr das Kleid zurück, weil die Zeitungen schon über den Diebstahl berich- ten, und sie findet Gefallen an diesem Kerl. Sie lässt ihn als ersten Menschen überhaupt an ihren morgendlic­hen Sangesübun­gen teilhaben, und in der Nacht schreiten sie durch die Parks von Paris. Dazu erklingt die schrecklic­h schöne und unglaublic­h kitschige Musik von Vladimir Cosma. Der rumänische Komponist hat Soundtrack­s für fast alle großen französisc­hen Produktion­en der 70er und 80er Jahre geschriebe­n, darunter auch das Lied „Reality“aus dem Film „La Boum“, das ja das allertolls­te und allerklebr­igste Lied der europäisch­en Kinogeschi­chte ist.

So lustwandel­n sie also durch die Stadt der Liebenden, jemand spielt Cosmas „Promenade sentimenta­le“auf dem Klavier, und es bahnt sich etwas an. Doch als wir Jules und Cynthia Hawkins am nächsten Morgen wiedertref­fen, liegt sie im Bett und er bekleidet auf dem Sofa. Man leidet ein bisschen mit ihm, „ach, schade!“, und zugleich weiß man, dass sie einander noch mal begegnen werden, zum Schluss, wenn er ihr das Tonband mit dem illegalen Mitschnitt vorspielt. Da hört sie sich selbst zum ersten Mal singen.

„Diva“sieht verflixt gut aus, und wer den Film nun in HD erlebt, wird verblüfft sein, wie wenig die polierten Oberfläche­n der Bilder gelitten haben. Das ist einer jener Filme, deren Einfluss größer ist, als seine Popularitä­t vermuten lässt. Er hatte starke Wirkung auf die Video-Ästhetik, auf die Vorstellun­g davon, was schick ist und begehrensw­ert.

„Diva“. Immer noch total gut.

Diva,

 ?? FOTOS: UNITED ARCHIVES ?? Sein Moped hat er mit der Kühlerfigu­r eines Rolls-Royce geschmückt: Postbote Jules beim Flirten in Paris.
FOTOS: UNITED ARCHIVES Sein Moped hat er mit der Kühlerfigu­r eines Rolls-Royce geschmückt: Postbote Jules beim Flirten in Paris.
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