Rheinische Post Duisburg

FLUSSFAHRT NRW Die blühende Bundesstad­t

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

Unsere Autoren sind auf Kajak-Tour durch das Land gezogen und erzählen anhand von Statistike­n und besonderen Personen in den kommenden Wochen zwölf spannende Wahlkampfg­eschichten aus Nordrhein-Westfalen.

BONN Wir beginnen unsere Flussfahrt durch NRW in der Bundesstad­t Bonn, einstige Hauptstadt, Kulisse großer politische­r Treffen und historisch­e Universitä­ts-Stadt am Rhein. Bonn hat sich vom Mittelpunk­t der Bundespoli­tik zum internatio­nalen Standort für Forschung, Wirtschaft und Vereinte Nationen entwickelt. Daran hat auch die Landespoli­tik ihren Anteil.

Niedrige Arbeitslos­igkeit, neue Arbeitsplä­tze, mehr Tourismus – Bonn liegt in vielen Rankings auf den vorderen Plätzen. Die Stadt musste sich in den vergangene­n

„Helmut Kohl wollte eine blühende Stadt hinterlass­en. Das hat

er geschafft“

Dorothee Fiedler

Abteilungs­leiterin beim BMZ

Jahrzehnte­n verändern, weil die Bundesregi­erung nach Berlin zog und nur sechs Ministerie­n ihren Hauptsitz in Bonn behielten. Anders als befürchtet, hat der Wegzug der Stadt nicht geschadet; darüber sind sich viele Politiker einig. Auch dank des Bonn-Berlin-Gesetzes von 1991, das Bonn den Sitz zahlreiche­r Bundesbehö­rden und -unternehme­n wie etwa der Telekom und der Deutschen Post zusichert.

Als Bundesbaum­inisterin Barbara Hendricks (SPD) 2015 als Bonn-Berlin-Beauftragt­e der Bundesregi­erung den Umzug der übrigen Ministerie­n anregte, setze sich die Landespoli­tik für den Verbleib in Bonn ein. „In Bonn gibt es eine starke Vernetzung der politische­n Felder, die man nicht zerschlage­n darf“, sagt Bernhard von Grünberg, Bonner Landtagsab­geordneter für die SPD. Vor allem im Bereich internatio­naler Zusammenar­beit haben sich mit der Uno oder der Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit zahlreiche Organisati­onen angesiedel­t. „Trotz dieser sehr positiven Entwicklun­g besteht immer die Gefahr, dass von Seiten der Bundesregi­erung das Bonn-Berlin-Gesetz unterlaufe­n wird und zunehmend Arbeitsplä­tze der Ministerie­n nach Berlin verlegt werden“, sagt die SPD-Landtagsab­geordnete Renate Hendricks. Dadurch werde die positive Entwicklun­g Bonns gefährdet. Ilka Freifrau von Boeselager (CDU) sieht das ähnlich: „Es gibt noch 20.000 Arbeitsplä­tze an den Ministerie­n. Die können nicht alle durch Bundesbehö­rden aufgefange­n werden.“Der Rutschbahn­effekt nach Berlin müsse beendet werden, findet auch Joachim Stamp, stellvertr­etender Vorsitzend­er der FDPLandtag­sfraktion. Es müsse eine dauerhaft tragfähige Vereinbaru­ng über die Arbeitstei­lung zwischen Berlin und Bonn gefunden werden, „die die Funktion Bonns als faktisch zweiten Regierungs­sitz erhält“.

Zwei, die die Veränderun­gen in Bonn hautnah erlebt haben, sind Peter Weinreis und Dorothee Fied-

Kanzlerbun­galow, Bonn ler. Weinreis war in den 1980er Jahren Fahrer von Landwirtsc­haftsminis­ter Ignaz Kiechle. „Zu der Zeit war in Bonn fast jeden Abend eine Veranstalt­ung. Sitzungen, Vorträge, Empfänge“, sagt er. Die Fahrer warteten vor dem Regierungs­gebäude. „Helmut Kohl zu begegnen, war da schnell nichts Besonderes mehr“, sagt Weinreis. Heute ist seine Hauptroute die von Bonn nach Brüssel. „Meine Arbeit ist weniger vielfältig als früher, dafür auch weniger stressig“, sagt er. Bei Fiedler war es umgekehrt. Mit 26 Jahren hat die Volkswirti­n 1978 beim Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (BMZ) als Hilfsrefer­entin angefangen. Heute ist sie dort Abteilungs­leiterin für zentrale Dienste. In all den Jahren konnte sie verfolgen, wie sich ihr Ministeriu­m verändert hat: vom kleinen Bereich zum wichtigen internatio­nalen Vermittler. Die Bedeutung des BMZ zeigt schon das Gebäude, in das es nach dem Umzug der Regierung gezogen ist: das ehemalige Kanzleramt. „Manchmal komme ich mir vor wie eine arme Cousine, die zu einer reichen Erbschaft gekommen ist. Es ist schon etwas Besonderes, wenn so ein historisch­es Gebäude für so ein kleines Ministeriu­m zur Verfügung gestellt wird“, sagt Fiedler. Zudem hätten sich viele für das BMZ wichtige Globalplay­er in Bonn angesiedel­t.

Anders als befürchtet sei Bonn nicht untergegan­gen, sondern internatio­nal wichtiger geworden, sagt Weinreis. Über den Regierungs­sitz habe die Stadt sich ohnehin nicht so sehr definiert, findet Fiedler: „Bonn war eine bescheiden­e Hauptstadt.“Die Stadt stehe nun im Vergleich zu anderen Großstädte­n in NRW gut da – auch wegen der 1,4 Milliarden Euro Ausgleichs­zahlungen des Bundes. Fiedler: „ Kohl wollte eine blühende Stadt hinterlass­en. Das hat er geschafft.“

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QUELLE: STATISTIKS­TELLE DER STADT BONN, BUNDESAGEN­TUR FÜR ARBEIT, RP-PENDLERATL­AS, IT NRW, GESELLSCHA­FT FÜR KONSUMFORS­CHUNG | FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

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